Sanierung und Ausbau des historischen Rathauses in Tübingen

Die Statik des historischen Rathauses in Tübingen hatte durch Modernisierungen gelitten. Bei der Sanierung wurden nicht nur frühere Bausünden beseitigt, sondern auch der Brandschutz verbessert. Dazu mussten die Trockenbauer vor Ort maßgefertigte Lösungen entwickeln.

Das historischen Rathaus am zentralen Marktplatz in Tübingen wurde in kleinerer Form bereits 1435 errichtet und in den Jahren 1495/1496 um ein zusätz­liches Obergeschoss ergänzt. In seiner heutigen Form verfügt das Gebäude über vier Voll- sowie drei Dachgeschosse. Im Rahmen einer letzten umfassenden Modernisierung in den 1960er-Jahren wurde baujahrtypisch viel Beton und Stahl in das streng nach funktionalen Aspekten umgebaute Fachwerkgebäude eingebracht – zu Lasten der historischen Anmutung der Innenräume. „Erdrückende“ Auswirkungen auf die Statik machten vor einiger Zeit eine tiefgreifende Sanierung des gesamten Rathauses dringend notwendig – eine Sanierung, im Rahmen derer auch der ursprüngliche Charakter des Rathauses Stück für Stück wiederhergestellt werden sollte. Mit dem trockenen Innenausbau, der unter anderem ein ausgefeiltes Konzept für den vorbeugende Brandschutz gemäß heutigen Anforderungen umfasste, sicherte sich die Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG, Niederlassung Stuttgart, den Sieg bei der 10. Rigips Trophy in der Wettbewerbskategorie Brandschutzsysteme.

Einer archäologischen Ausgrabung ähnlich

Dass die Sanierung nicht zu einem plumpen „Alles Neu“-Prozess wurde, sondern mit viel Augenmaß und Flexibilität dazu beigetragen hat, den historischen Charakter der Räume wieder erfahrbar zu machen, ist dem planerischen Ansatz des verantwortlichen Architekturbüros weinbrenner.single.arabzadeh zu verdanken: „Ein Projekt, bei dem, ähnlich einer archäologischen Ausgrabung, auf eine Vielzahl von baulichen Überraschungen bei der Freilegung des Bestandes reagiert werden musste“, so BDA-Architekt Jörg Weinbrenner.

Für Besucher des Rathauses wird die Wandlung im Erdgeschoss besonders deutlich: Dessen ursprünglich drei große Hallen wurden im Laufe der Jahrhunderte immer weiter zugebaut, so dass eine nahezu geschlossene Fassade entstand, was zusammen mit einer schweren Holzeingangstür wenig einladend auf Bürger und Touristen wirkte. Heute finden sich hinter der durchgehenden Glasfront in der weitestgehend zurückgebauten Eingangshalle das Rathausfoyer, der Empfang sowie die touristische Information und eine Ausstellungsfläche. Rolf  Trautwein, verantwortlicher Projektleiter der Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG, erinnert sich gut an die umfangreichen Rückbau- und Sanierungsarbeiten: „Im Erdgeschoss ging es vor allem darum, wieder einen großen, offenen und transparent wirkenden Raum zu schaffen. Ein Großteil der alten Trennwände wurde hierfür komplett demontiert. Ansonsten beschränkten sich die neu eingebrachten Konstruktionen auf die Abteilung der öffentlichen Sanitärbereiche sowie die Bekleidung der Decken­flächen mit unterschiedlichen Materialien.“

Weitere Aufgaben warteten in den oberen Geschossen: Im ersten Obergeschoss befinden sich der Große Sitzungssaal mit historischem Fachwerk sowie kleinere Besprechungszimmer, Büroräume und eine Cafeteria. Das zweite Obergeschoss beherbergt unter anderem den alten Empfangssaal mit historischen Fresken sowie einen weiteren, etwa 70 m2 großen, ringsum mit bemaltem Holz getäfelten Sitzungssaal, der künftig vom Tübinger Standesamt als schmuckes Trauzimmer genutzt werden soll. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt eine kleine Gerichtsstube, in der das Amtszimmer des Oberbürgermeisters untergebracht ist. „Überall traten nach und nach historisches Gebälk und Mauer­werk zutage. Bei der Umsetzung der zahlreichen Wand­bekleidungen, Vorsatzschalen, Trenn- und Schacht­wände sowie Deckenbekleidungen haben wir eng mit den Planern, dem Bauherrn, unseren Ansprechpartnern bei Rigips und dem Landesamt für Denkmalpflege zusammengearbeitet, da sich die meisten Fragen erst bei den laufenden Sanierungsarbeiten stellten und gemeinsam vor Ort gelöst werden mussten“, erinnert sich Rolf  Trautwein.

Brandschutzanforderungen bis F 60

Trennwände und Wandbekleidungen mit Brandschutzanforderungen bis F 60, deren Installationsebenen viele hundert Meter Haustechnikleitungen und Elektroinstallationen aufnehmen mussten, wurden größtenteils mit einer doppelten Lage „Rigidur H“-Gipsfaserplatten ausgeführt. Mit F-60-Schachtwänden wurden unter anderem die Löschmittelleitungen sowie die Hydrantenkästen und Lüftungskanäle in den Vorräumen verkleidet. Die Lage der Löschmittelleitungen und die unmittelbar anschließenden Brandschutzelemente ergaben sehr beengte Platzverhältnisse. Hier wurde quasi um jeden Zentimeter Platz gerungen. Kaum hatten die Handwerker in den Vorräumen eine Lösung vor Ort erarbeitet, musste wieder eine neue Wandansicht gezeichnet werden. Dadurch ergaben sich teilweise wieder Anpassungen für die geplanten Einbauschränke, die die Kollegen von der Bohle Schreinerei in Bad Waldsee errichten sollten.

Ein weiteres kniffliges Detail ergab sich im großen Treppenhaus: Dort trifft der älteste Gebäudeteil auf ein jüngeres, aus dem 17. Jahrhundert stammendes Bauteil, allerdings an keiner Stelle im rechten Winkel. Hier wurden die Wände nicht in der Flucht der vorhandenen Unterzüge montiert, sondern spitzwinklig unter dem Unterzug, so dass sich ein Teil der Wände neben dem Unterzug befanden. Jedes Mal, wenn die Wand neben dem Unterzug „weglief“, lagen die Handwerker außerhalb der zulässigen Wandhöhe. „Hier haben wir dann eine Sonderkonstruktion seitlich am Unterzug befestigt und mit ,Glasroc F 25’-Brandschutzplatten verkleidet, damit waren wir dann wieder in der zulässigen Höhe. Ein hilfreicher Neben­effekt: Durch diese Sonderkonstruktion konnten auch die Elektroleitungen ohne weitere Maßnahmen zulassungskonform abgeschottet werden“, erklärt Rolf Trautwein.

Komplexe Haustechnik­führung in Brandschutzdecken

Ebenso aufwendig und komplex gestalteten sich die Deckenarbeiten. In den öffentlich genutzten Räumen des Erdgeschosses etwa sollte die Holzbalkendecke (eingestuft nach Bauart IV) brandschutztechnisch auf F 60 ertüchtigt werden. Als Sichtdecke war darüber hinaus eine vom Schreiner gefertigte Holzlamellendecke vorgesehen. Aufgrund des Gewichts der Sichtdecke von immerhin rund 30 kg/m2 wurden zunächst die Noniusabhänger für die Lamellendecke an den Holzbalken der Rohdecke montiert. Erst danach wurde die Unterkonstruktion für die eigentliche Brandschutzdecke zwischen 0 und 250 mm tief abgehängt und mit einer Lage Brandschutzplatten „Glasroc F“ in einer Dicke von 20 mm beplankt. Erst danach folgte in Abstimmung mit dem Schreiner die Montage der CD-Unterkonstruktion für die Sichtdecken.

Insbesondere das Thema Haustechnik erforderte Flexibilität und viel Ideenreichtum von Rolf Trautwein und seinem Team. „Kabeltrassen, Medienleitungen und die gesamte Haustechnik sollten komplett über den Sichtdecken verschwinden und mussten zwingend so untergebracht werden, dass die historischen Holzkonstruktionen weder beschädigt noch angebohrt werden mussten, was letztlich eine Bekleidung der Leitungen verlangte.“ In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde habe man hierfür zunächst die genauen Leitungswege festgelegt. Alle Leitungen, die eine Balkenlage oder das Tragwerk querten, mussten bekleidet werden. Wo das aufgrund einer zu geringen Raumhöhe und mangelnder Abhängtiefe nicht möglich war, kamen erneut die „Glasroc F“-Platten zum Einsatz, aus denen die Handwerker dann vor Ort Kabelkanäle auf Maß anfertigten und oberhalb der Balkenlage verlegten.

Hochwertige Optik betont historische Bausubstanz

In den diversen Büroräumen, Besprechungszimmern und Sitzungssälen erhielten die abgehängten Deckenflächen eine 40 mm die Mineralwolleauflage und eine Beplankung mit „Rigips Bauplatten RB“. Um die Noniusabhänger an den Holzbalken befestigen zu können, mussten in allen Räumen „Sondierungsöffnungen“ hergestellt werden, die vor der Beplankung der Decke wieder verschlossen und verspachtelt wurden. Im Großen Sitzungssaal wurden zwischen den repräsentativen Balkenlagen Deckenfelder aus einer Lage „Rigips Bauplatten RB“ erstellt und in den Lüftungsbereichen mit umlaufenden Schattenfugen versehen. In anderen Räumen mussten die Sichtdecken sehr exakt an Holzbalken oder die Bestandswände angearbeitet werden, was aufgrund der gegebenen, für ein Bauwerk dieses Alters normalen Maßabweichungen mit erheblichem Aufwand verbunden war.

Der ehemalige württem­bergische Hofgerichtssaal

In einigen Räumen wurde mithilfe von „Rigidur Es­trichelementen“ auch noch ein neuer Fußbodenaufbau inklusive hochwertigem Brand- und Trittschallschutz geschaffen. Im 1495 nachträglich errichteten dritten Obergeschoss befanden sich zu Beginn unserer Arbeiten noch sieben kleinere Büroräume, die im Zuge der Renovierung in den 1960er-Jahren mit Trennwänden geschaffen wurden. Erst nachdem diese komplett zurückgebaut waren, zeigte sich die ganze Pracht und Dimension der Fläche: des ursprünglich als Festsaal errichteten württembergischen Hofgerichtssaals, direkt über dem Dienstzimmer des Oberbürgermeisters. Der ursprüngliche und im wahrsten Sinne des Wortes historische Charakter des Raums prägt nun den hier neu eingerichteten Sitzungssaal.

10. Rigips Trophy 2015 I 2016 gewonnen

Die Achtsamkeit und die Professionalität, mit denen sich das Team der Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG der historischen Bausubstanz und ihren Herausforderungen annahm, überzeugten die Fachjury der 10. Rigips Trophy 2015 I 2016  als technisch und handwerklich hoch anspruchsvolle Arbeit im historischen Bestand. Auch die zahlreichen, heute nicht mehr sichtbaren Details, zum Beispiel bei der Führung der Haustechnikleitungen, wurden mit großem Einfallsreichtum und in enger Abstimmung mit den Planern und dem Landesamt für Denkmalpflege gelöst.

Autoren

Martin Büsch ist Leiter Kommunikation und Marketing, Karin Melder Projektmanagerin für Messen, Events und Promotion bei der Saint-Gobain Rigips GmbH in Düsseldorf.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Universitätsstadt Tübingen

Planung weinbrenner.single.arabzadeh. Architektengemeinschaft, Nürtingen, www.architekten-asw.de

Trockenbau Bohle Innenausbau, Niederlassung Stuttgart, Steinenbronn, www.bohle-gruppe.com

Trockenbausysteme Saint-Gobain Rigips,

Düsseldorf, www.rigips.de

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