„Für Blechbaracken fehlt mir jedes Verständnis!“
Achim Zielke: Herr Hörrmann, Sie begleiten für proHolzBW den Bau von Flüchtlingsunterkünften in Baden-Württemberg. Was sollten Vertreter einer Gemeinde bei der Standortwahl beachten?
Hörrmann: Ich habe mit vielen Ortsbürgermeistern gesprochen, die unsicher waren, wo die Unterkünfte am besten aufgestellt werden sollten. Ich kann nur dringend raten, den Neubürgern eine Chance auf echte Integration ins Gemeindeleben zu geben. Irgendwo weit draußen auf dem Feld, am Rande einer lauten Schnellstraße oder in einem unwirtlichen Industrie- oder Gewerbemischgebiet haben Wohnungen für Menschen nichts zu suchen – egal, woher sie stammen. (...) Das sollten Bürgermeister und Ratsherren ihren Bürgern vor Augen führen, bevor sie über die Standortfrage für den Bau von Flüchtlingsunterkünften entscheiden.
Zielke: Welchen Beitrag kann die Architektur zur gesellschaftlichen Integration von Flüchtlingen leisten?
Hörrmann: Da sprechen Sie einen immens wichtigen Punkt an! Für uniforme Blechbaracken mit ihrem oft abweisenden Aussehen fehlt mir jedes Verständnis. Es gibt in Deutschland rund 107 000 Hochbauarchitekten, von denen, da gehe ich jede Wette ein, jeder einzelne etwas Anmutigeres und Ansehnlicheres zustande bringt als diese einfallslosen Schuppen. Ich plädiere aus innerster Überzeugung dafür, auch Flüchtlingsunterkünfte von Anfang an so zu bauen, dass sie a) wohnlichen Charakter haben, b) keinen stereotypen Einheitslook aufweisen, der nur der Ghettobildung Vorschub leistet, c) in Einklang mit der Energieeinsparverordnung gedämmt sind und d) aus nachhaltigen und robusten Baumaterialien – vor allem aus heimischem Holz – bestehen.
Zielke: Warum gerade aus Holz?
Hörrmann: Weil Bauholz in Deutschland im Überfluss zur Verfügung steht: Aus nur einem Drittel der Holzernte eines Jahres lassen sich alle Neubauten errichten, die wir in Deutschland brauchen! Zudem sind Holzunterkünfte unterm Strich viel preiswerter als die extrem energieaufwändig produzierten Metallcontainer. Ein weiteres wichtiges Argument dafür ist die Möglichkeit zur modularen Vorfertigung von Wand- und Deckenelementen aus Holz. Man braucht sie auf der Baustelle nur noch mit ein paar Handgriffen zu einem vollwertigen Wohngebäude zu verbinden. Der Holzbau ist heute schneller und genauer, als sich die meisten Bundesbürger vorstellen können: Die „typische deutsche Zimmerei“ ist längst ein kleines High-Tech-Unternehmen, das Holzelemente auf computergesteuerten Abbundanlagen millimetergenau bearbeitet. (...) Es kommt nur auf den Willen an, die Mittel stehen im Holzbau zur Verfügung.
Zielke: Sie empfehlen für den Bau von Flüchtlingsunterkünften die Einhaltung der energetischen Standards, die die Energieeinspar-Verordnung (EnEV) für alle Wohngebäude vorschreibt. Führt das nicht automatisch auch zu einer Verlängerung der Bauzeit und zu deutlich höheren Kosten, die am Ende vom Steuerzahler aufzubringen sind?
Hörrmann: Ich kann nur jedermann raten, sich in einem modernen Zimmerei- oder Holzbaubetrieb ein eigenes Bild von der Fertigung zu machen. Da kann man mit eigenen Augen sehen, wie schnell eine Wand oder eine Geschossdecke gezimmert und gedämmt ist. Das Ausdämmen der Gefache und das Aufbringen von Fassadendämmplatten sind bei Holzbauunternehmen täglich geübte Praxis. Auch sind die Mehrkosten für eine EnEV-gerechte Dämmung der Gebäudehülle relativ zu sehen. Sie sollten im Blick auf die dauerhafte Nachnutzung betrachtet werden.
Zielke: Wie kann eine solche Nachnutzung aussehen?
Hörrmann: Eine von Anfang an konsequente Gebäudedämmung ermöglicht die Nachnutzung von Wand- und Deckenelementen ehemaliger Flüchtlingsunterkünfte zum Beispiel im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Der Aufwand, den das Demontieren und nachträgliche Dämmen ursprünglich nicht gedämmter Wand- und Deckenmodule verursachen würde, käme den Steuerzahler erheblich teurer zu stehen. Deshalb rate ich, gleich das Richtige zu tun und die EnEV auch auf Flüchtlingsunterkünfte ohne Wenn und Aber anzuwenden. Der Holzbau bietet dafür allerbeste Voraussetzungen und eine echte Langzeitperspektive.
Zielke: Herr Hörrmann, danke für das Interview.
Wissenswertes über die proHolzBW GmbH, ihre Aufgaben und Ziele finden sich im Internet auf www.proholzbw.de. Das Interview mit Joachim Hörrmann, proHolzBW-Koordinator für den Bau von Flüchtlingsunterkünften in Holzbauweise, führte Achim Zielke vom Medienbüro Textify.de aus Bad Honnef.