Neue Vertrautheit

Ungewöhnliche Fensterformate prägen das Fassadenbild des neuen Hospitalhofs in Stuttgart. Das Ummauern der Öffnungen und die Erweiterung einer Kirchenmauer aus dem Bestand verlangte von den Maurern hohe Präzision und handwerkliches Geschick.

Ursprünglich standen auf dem Grundstück des neuen Hospitalhofs in Stuttgart eine 1493 vollendete Kirche und ein dreiflügeliges Dominikanerkloster. Nach der Reformation gingen Kirche und Kloster in den Besitz der Stadt über, die im Kloster ein Bürgerspital einrichtete – daher der Name Hospitalhof. Im Zweiten Weltkrieg brannte die Kirche aus, die Klosteranlage wurde vollständig zerstört. Einzig der Chor und Turm der Kirche wurden wieder aufgebaut. Vom Langhaus der Hallenkirche blieben nur fünf Joche der Südwand stehen. 1960 ergänzte der Architekt Wolfgang Irion die Anlage um einen Bürotrakt und einen Saalbau. Doch der in die Jahre gekommene Neubau wies konstruktive Mängel auf und war den Anforderungen an Brandschutz, Technik und Raumprogramm nicht mehr gewachsen.

Die Stuttgarter Architekten Lederer Ragnarsdottir Oei (LRO), die aus dem im Jahr 2009 durchgeführten Realisierungswettbewerb als Sieger hervorgingen, nutzten die Chance, mit dem Neubau an die Historie des Ortes inmitten der Innenstadt von Stuttgart anzuknüpfen. Ein geschlossener, L-förmiger Baukörper nimmt die leicht zum Stadtraster gedrehten Fluchten des Klosters auf. Im Erdgeschoss zitieren großzügige Flure mit Fenstertüren den Kreuzgang. Im Innenhof ließen die Architekten sechs schlanke Säulenbuchen pflanzen – exakt dort, wo einst die Pfeiler des Mittelschiffs standen. Das im neuen Hospitalhof untergebrachte Evangelische Bildungszentrum bietet auf sechs Geschossen Platz für die Kirchenverwaltung, Konferenz-, Gruppen- und Besprechungsräume sowie Kunstausstellungen. Ein Veranstaltungssaal mit 850 Plätzen bildet das Zentrum des Neubaus.

Neue Mauern mit Spitzbögen

Das Sichtmauerwerk des Neubaus aus hellem Klinker erscheint vertraut und dennoch neu. Die Maurer verarbeiteten die Stoßfugen ohne senkrechte Mörtelfugen und betonen so die horizontale Lagerung der Steine. Unterschiedliche, aufwendig gestaltete Öffnungen prägen die Fassade. Der erhaltene Teil der Kirchenmauer wurde um zwei Joche auf seine ursprüngliche Länge erweitert – einschließlich der Spitzbogenfenster, der Kaffgesimse darunter und der Strebepfeiler. Die Handwerker mauerten Bögen, Pfeiler und Gesimse mithilfe von Wasserwaage und Lotstange exakt nach. Für die beiden Spitzbögen wurden im Steenfelder Betonwerk zwei jeweils 7,21 m hohe und 1,76 m breite Betonfertigteilrahmen als Schalung gegossen, auf der Baustelle vormontiert, ummauert und das Mauerwerk im Verband angepasst.

Trotzdem ist die Ergänzung keine Rekonstruktion: Für die neuen Joche verwendeten die Maurer 11,5er Standard-Ziegel im Format 240 x 115 x 71 mm, die sie in der Fläche in einem Binderverband vermauerten. Dieser besteht aus Läufern sowie 12 bis 16 Steinköpfen pro Quadratmeter. „Wir haben darauf geachtet, die Steine unregelmäßig zu platzieren. Sonst besteht die Gefahr, dass unschöne Abtreppungen entstehen“, sagt Norbert Kuntz, Geschäftsführer der Firma Klinker Kuntz aus Ilmenau. Die Handwerker mauerten die Pfeiler ohne Verband mit einer Viersteinüberdeckung und schlämmten sie – ebenso wie die Spitzbögen und Gesimse – mit einem Vormauermörtel. Durch die Schlämme entsteht ein klarer Kontrast zum altersdunklen, gelben Sandstein der historischen Kirchenmauer. Auf eine Imitation des gotischen Maßwerks wurde verzichtet. Stattdessen montierten die Handwerker als Sonnenschutz schlichte, um 45 Grad geneigte Vierkantleisten in den Laibungen der Bogenfenster, hinter denen sich das Fluchttreppenhaus verbirgt.

Vor dem Hochziehen des Mauerwerks fand eine ausführliche Bemusterung statt. „Wir haben lange untersucht, welcher Stein zu welcher Schlämme passt“, sagt Projektleiter Daniel Steinhübl vom Büro Lederer Ragnarsdottir Oei. Um die Farbigkeit zu prüfen, erstellte die Firma Klinker Kuntz 14 Muster von je 1,5 x 1 m Größe. Darunter waren ganz unterschiedliche Farbtöne und Ziegelarten – von Wasserstrichziegeln über Loch- bis hin zu Vollsteinen. Die Wahl fiel schließlich auf einen beigen Wasserstrichklinker von der Ziegelei Hebrok. „Der Stein hat farblich am besten gepasst und die Schlämme gut aufgesaugt“, sagt Norbert Kuntz.

Als Schlämme trugen die Maurer den gleichen Vormauermörtel MG2a für schwach saugende Verblendsteine auf, mit dem sie die Steine zuvor aufmauert hatten. „Wenn die Mörtel ein ungleiches Ausdehnungsverhalten haben und ein geschmeidiger auf einen harten Mörtel trifft, können Risse entstehen“, erklärt Kuntz: „Das wollten wir unbedingt vermeiden.“ Da ein nachträgliches Verfugen zudem zum Verbrennen der Fugen führen kann, wenn der Mörtel nicht richtig nass ist, verfugten die Handwerker Mauer- und Vormauermörtel nass-in-nass in einem Stück.

Hierzu strichen sie den Mörtel fett auf die Fugen und verrieben ihn mit einem angefeuchteten Gummischwammbrett auf dem Stein. Zwei Mann bearbeiteten zügig die beiden Joche – in gleichmäßiger Schichtdicke, ohne An- und Absätze oder doppellagigen Auftrag. Dank der gleichmäßig überdeckenden Schlämme wirkt die Struktur homogener als bei einer herkömmlichen Ziegelwand und nimmt sich gegenüber der Altbausubstanz wohltuend zurück. Das handliche Maß der Steine bleibt trotzdem ablesbar.

Bullaugen ummauern

Die Bühne des Saals im Obergeschoss belichten 39 runde, in drei Reihen angeordnete Bullaugenfenster. Als Sonnenschutz dienen schiefsitzende, halbrunde „Sonnenkrempen“ aus Beton. Von innen lassen sich die Fenster zudem an der Bühnenrückwand durch halbrunde Faltklappen aus Holz verschließen und wirken dann wie kleine Sonnenfinsternisse mit leuchtender Korona. Die um 40 cm auskragenden Sichtbetonfertigteile, Außendurchmesser 120 cm, wurden auf der Baustelle mit jeweils drei Stahlkonsolen pro Fenster an der tragenden Innenwand befestigt. „Das Anarbeiten war eine Herausforderung, da wir um die Rundung herummauern mussten“, sagt Norbert Kuntz. „Jeder Stein wurde mit der Schmiege einzeln zugeschnitten, damit er ins Fugenbild passt.“

Gewölbte Deckenwelle

Einer der schönsten Innenräume im Neubau ist der große Veranstaltungssaal im ersten Obergeschoss mit seiner elegant geschwungenen Deckenwelle aus Holzlamellen. Die Decke wölbt sich mittig unter einem Oberlicht auf; die Holzlamellen filtern das Tageslicht und verteilen es gleichmäßig im Saal. Um diese zu befestigten, verschraubten die Handwerker der Firma Ries Akustik Innenausbau zunächst eine Stahlunterkonstruktion aus 80 x 40 mm großen Rechteckrohren an Trägern und Stürzen der Stahlbetondecke. Gebogene, in Richtung Bühne im Abstand von 80 cm montierte Stahlrippen zeichnen die Wölbung nach. An den Rippen befestigten die Handwerker kleine, je nach Krümmung der Decke unterschiedlich geneigte Stahlwinkel. An diesen verschraubten sie anschließend rückseitig die 40 mm breiten und bis zu 2,75 m langen, stumpf gestoßenen Lamellen aus Birkenfurnier.

Die Höhe der Lamellen variiert zwischen 50 und 200 mm: Für die waagerechten Abschnitte verwendeten die Handwerker niedrigere Profile, für die vertikalen höhere, um die Unterkonstruktion gleichmäßig abzuschirmen. Deren Schwung bleibt hinter dem Holzspalier trotzdem erkennbar und die Konstruktion ablesbar. Eines von vielen sorgsam geplanten und handwerklich perfekt umgesetzten Details, die den neuen Hospitalhof zu einem Ort machen, an dem man sich gerne aufhält.

Autor
Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt außerdem als freier Autor unter anderem für stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.

Stoßfugen ohne senkrechte Mörtelfugen betonen die
horizontale Lagerung der Steine

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