Sgraffito: Kratzen in farbigem Putz
Das Sgraffito ist eine Kratzputztechnik, die bis in die Antike zurückreicht. Die Ausführung hat sich bis heute nicht wesentlich geändert: Der Handwerker trägt mehrere farbige Putzschichten übereinander auf und kratzt davon im noch feuchten Putz Flächen wieder ab.
Je nachdem, wie tief man bei der Sgraffitotechnik in den noch feuchten mehrlagigen Putzaufbau hineinkratzt, kommt eine andere Farbe zum Vorschein. Hierzu verwendet man spezielle Werkzeuge aus Eisen wie Schlingen, Nägel und Spateln. Durch das Abkratzen einer Schicht, kommt die jeweils darunterliegende Farbschicht zum Vorschein. Das muss alles zügig vonstattengehen, noch bevor der Putz anzieht und zu erhärten beginnt. Daher ist es ratsam, sich vorher nicht nur Skizzen, sondern möglichst genaue Zeichnungen von den Motiven anzufertigen.
Planung eines Sgraffito
Heute kommen Sgraffiti nur noch vergleichsweise selten zur Ausführung – ganz zu Unrecht, wie wir finden. Denn das Sgraffito führt mit einigem handwerklichen Geschick und Entwurfstalent zu einem gestalterisch einzigartigen Ergebnis bis hin zu einem Kunstwerk.
Vor der Ausführung des Sgraffito ist eine akribische Planung Voraussetzung für ein qualitativ gutes Ergebnis. Das beginnt schon beim Entwurf und der Reinzeichnung der Motive im Maßstab 1:1 auf eine Folie oder auf Papier. Diese müssen vor Ausführung der Arbeiten komplett fertig sein, denn sobald der Putz aufgetragen ist, muss alles ganz schnell gehen. Man hat dann keine Zeit, die Zeichnung von Hand aufzureißen. Auch die Abfolge der farbigen Putzschichten muss vorher sinnvoll und logisch geplant sein.
Vorbereitungen für den Putzauftrag
Vor der Ausführung der eigentlichen Putzarbeiten muss zunächst der Untergrund vorbereitet werden, also Mörtelreste entfernt, Fugen ausgekratzt und aufgefüllt werden. Gegebenenfalls muss auch ein Ausgleichsputz aufgetragen werden. Erst dann kann man mit dem Auftrag des Unterputzes auf Kalkzementbasis beginnen. Dieser muss gut saugend sein. Moderne, wasserabweisende Unterputzsysteme eignen sich daher nicht als Unterputz für ein Sgraffito.
Auftrag der farbigen Putzschichten
Nun kann man den unterschiedlich farbigen Kratzputz in einer Kornstärke von 1 mm Schicht für Schicht frisch in frisch auftragen. Wichtig ist es, dass man hierbei den richtigen Zeitpunkt erwischt: Denn hat der vorherige Putz bereits zu stark abgebunden, gehen die beiden Schichten keine richtige Verbindung miteinander ein. Zieht man den Putz aber schon zu früh auf, kann es sein, dass sich die Putzschichten untereinander vermischen und dadurch hässliche Farbschlieren entstehen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die gesamten Putzschichten abrutschen und somit die ganze Arbeit umsonst war.
Übertragen des Motivs auf den Putz
Nachdem die letzte Putzschicht abgebunden hat, kann man im Grunde genommen schon mit den Kratzarbeiten beginnen. Vorher muss natürlich noch das im Maßstab 1:1 vorbereitete Motiv auf den Putz übertragen werden. Üblicherweise überträgt man die mit einer Nadelrolle in Folie oder Papier perforierten Linien der Zeichnung mit einem Farb- oder Aschebeutel getupft auf den Putz. Man kann das Motiv aber auch direkt vor Ort mit der Nadelrolle perforiert auf den Untergrund übertragen. Die Linien der Zeichnung kann man im Putz noch gut als Lochreihe erkennen.
Auskratzen der farbigen Putzschichten
Nun erst beginnt die eigentliche Sgraffitoarbeit, denn der Begriff Sgraffito leitet sich vom italienischen sgraffiare, zu deutsch kratzen, her. Man kratzt also die einzelnen Putzschichten soweit ab, bis die gewünschte Farbe zum Vorschein kommt. Ein einziger Fehler macht hierbei die Arbeit von Tagen zunichte. Höchste Konzentration ist vom Handwerker daher bei dieser Arbeit gefragt. Zudem wird die Arbeit gegen Ende immer mühseliger, da der Putz weiter abbindet und immer härter wird. Zum Schluss wird die Fläche mit einem feinen Besen abgekehrt, um lose Partikel zu entfernen. Erst dann sieht man, dass sich die Arbeit gelohnt hat: ein handwerkliches Kunstwerk, das ohne Qualitätseinbußen Jahrzehnte übersteht und daher nach einem halben Jahrhundert noch so aussieht, als hätte man es gerade eben erst fertiggestellt.
Renaissance des Sgraffito in den 1950er und 1960er Jahren
Das Sgraffito ist schon seit der Antike bekannt. In den 1950er und 1960er Jahren erlebte es auch im deutschsprachigen Raum eine Renaissance. In Österreich widmeten sich Maler wie Hans Wulz (1909 – 1985) dieser Handwerkstechnik an der Fassade. In Deutschland verhalfen Maler und Grafiker wie Sepp Semar (1901 – 1971) und Philipp Dott (1912 – 1970) der Kratzputztechnik zu neuer künstlerischer Geltung. Eigentlich Zimmerer, beschäftigte sich Philipp Dott schon früh mit der Malerei und Bildhauerei. Er malte in Öl sowie Aquarelle und Gouachen. Ab 1950 entdeckte er für sich die Hausfassade als „Leinwand“ und hinterließ im Großraum Koblenz ein opulentes Werk, das sich auch heute noch an einfachen Wohnhäusern findet, denn Philipp Dott beherrschte diese Handwerkstechnik so gut, dass seine Sgraffiti an den Fassaden kaum gealtert scheinen.
Weitere Informationen zum Werk von Philipp Dott finden Sie unter www.philipp-dott.de
AutorenStuckateurmeister Michael Detemple ist Ausbildungsmeister im Ausbildungszentrum AGV Bau Saar gGmbH in Saarbrücken, Dozent für die Meisterausbildung der Stuckateure bei der HWK Saarland, Mitglied im Gesellenprüfungsausschuss Stuckateur Saarland und stellvertretender Vorsitzender des Meisterprüfungsausschusses Stuckateur Saarland.
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.