Die zwei Türme
Sanierung des Nord-Ost-Turms der Andreaskirche in Worms

1000 Jahre nach der ersten Grundsteinlegung der Andreaskirche in Worms sollen 2020 die umfangreichen Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sein. Mit der Wiederherstellung des Nord-Ost-Turms konnte in diesem Jahr eine wichtige Sanierungsetappe abgeschlossen werden.

Die Andreaskirche steht mitten im historischen Stadtkern von Worms in Sichtweite des Doms. Die dreischiffige romanische Basilika wurde nach einem Brand zwischen 1180 und 1200 etwa zur selben Zeit wie der Dom neu aufgebaut. Die ursprüngliche Vorgängerkirche entstand schon 1020 am heutigen Platz. Eine seit 2005 laufende Bestandsaufnahme hatte bestätigt, dass im Laufe der Jahrhunderte erhebliche Schäden an der Kirche entstanden waren. Daher begann man 2007 mit umfassenden Restaurierungsarbeiten. Die Bauschäden waren auch durch ausgebliebene Sanierungsarbeiten seit der Erstinstandsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden.

 

Der Bimsstein der Kirche zerkrümelte

Nach der Zerstörung des Daches bei einem Bombenangriff in den letzten Kriegstagen lagen die im Zuge der Umwidmung zum Museum wiederhergestellten, gemauerten Gewölbe aus Bimsstein damals zwei Winter lang frei. Unter dem Witterungseinfluss zerkrümelten sie regelrecht. Von ursprünglich 15 cm Dicke war kaum noch die Hälfte erhalten. Die Oberfläche der Bruchsteine von Mittelschiff und Osttürmen war im Laufe der Zeit vor allem auf der Wetterseite stark zerfallen. Nicht zuletzt weil die einer romantischen Vorstellung geschuldete freigelegte Ansicht des Bruchsteinmauerwerks von den bauzeitlichen Werkleuten sicherlich nie vorgesehen war. Das belegen die eingesetzten Steinmaterialien und deren Lageorientierungen.

 

Türme neigen sich um 20 cm nach Osten

Im Mauerwerk selbst zeigten sich zudem deutliche Risse und Verformungen. Die Fundamente der beiden Osttürme gaben nach, so dass sich diese an die 20 cm nach Osten neigten. Ein in der Nachkriegszeit errichteter Straßenkanal führte einige Meter unter dem Fundament der Türme an diesen entlang. Der Untergrund verlor dadurch seine Stabilität und ließ die Türme einsinken. Mittlerweile ist die Neigung gestoppt und die Türme stehen stabil. Zunächst gab es Überlegungen, sie vollständig durch Unterfangungen zu ertüchtigen. Aber da die bisherige Neigung sich nicht weiter verstärkte, beschlossen Architekt, Fachleute und Denkmalbehörden, darauf zu verzichten. Stattdessen dient ein umfangreiches, kontinuierliches Monitoring durch das Münchner Ingenieurbüro Barthel & Maus dazu, erneute Lageveränderungen rechtzeitig zu erkennen.

Das Planungsteam um den Architekten Jürgen Hamm vom Mainzer Büro Hamm + Kowalewsky entwickelte ein Sanierungskonzept entsprechend der Dringlichkeit der einzelnen Bauabschnitte. Aufgeteilt in einzelne Module, wird es nach und nach umgesetzt.

 

Wechselvolle Geschichte mit profaner Nutzung

Die Andreaskirche und das Stiftsgebäude können auf eine turbulente Geschichte zurückblicken: Gegründet wurde das Stift zunächst als Bergkloster vor den Mauern der Stadt. 1020 ließ Bischof Burchard Kirche und Stift an der heutigen Stelle errichten. Nach einem vernichtenden Brand wurde zwischen 1180 und 1200 der heute noch erhaltene romanische Kern des Bauwerks errichtet, parallel zu den Arbeiten am staufischen Dom. Im Laufe der Jahrhunderte brannte die Kirche noch mehrmals, wurde aber immer wieder aufgebaut oder restauriert. Im Rahmen der von Napoléon Bonaparte verordneten Säkularisierung endete die sakrale Nutzung um 1800. In der folgenden Zeit dienten die Bauten als Kaserne, Getreidelager, Fruchthalle sowie als Unterstellplatz für Feuerwehr und städtische Leichenwagen – schließlich dann ab 1930 als Stadtmuseum. Für die Wormser Bevölkerung ist der ehemalige Sakralbau trotzdem bis heute die „Andreaskirche“ geblieben.

Auch im Zweiten Weltkrieg wurden Kirche und Stift noch einmal stark beschädigt, konnten aber in den folgenden Jahren wieder aufgebaut werden. Danach gab es lange Zeit keine weiteren Bauunterhaltung.

 

Einsturzgefahr und Beginn der Restaurierung

Seit knapp fünf Jahren läuft nun die Restaurierung. Zunächst erforderte die akute Einsturzgefahr Arbeiten an Gewölbe, Dach und Dachstuhl, um diese statisch zu sichern und tragwerkstechnisch instand zu setzen. Den Dachstuhl befestigten die Handwerker durch zusätzliche, oberhalb der Gewölbekappen verlaufende Stahlzugbänder. Im nächsten Arbeitsschritt wurde ab 2009 der Nord-Ost-Turm gesichert. Dafür entfernten die Handwerker zunächst die in der Nachkriegszeit eingebauten Holzdecken und ersetzten die-se durch statisch wirksame Decken. Auch die bislang steinsichtige Fassade erforderte eine Instandsetzung. Die akute Gefahr herabfallender Steinteile markierte den Turm innerhalb des Gesamtkonzepts als eine der dringendsten Aufgaben nach der Sicherung der Gewölbe. Nach intensivem Abwägen entschieden die fachlich Beteiligten – der Architekt, die Denkmalbehörden und das Mainzer Institut für Steinkonservierung e.V. (IFS) – einen flächenhaften Verputz des Sichtmauerwerks zu beproben. Ausschlaggebend für die abschließende Materialwahl bei der Sanierung des Turmes waren die angelegten Musterflächen. Der Bauherr, die Stadt Worms, schloss sich schließlich den Empfehlungen von Architekt, Denkmalbehörden und IFS an. Aufgrund der Untersuchung des historischen Mörtels, wurden für die Sanierungsarbeiten Mörtel und Putze mit natürlich hydraulischem Kalk als Bindemittel eingesetzt. Durch die Verwendung von Kalk sind die Baustoffe sehr nah an den historischen Bestand angepasst. Hersteller ist die Firma tubag aus Kruft (eine Marke der quick-mix Gruppe).

 

Restaurierung mit natürlich hydraulischem Kalk

Das gesamte Turmmauerwerk wurde zur Stabilisierung zunächst mit Verfüllmörtel verpresst. Dafür verfüllten die Mitarbeiter der August Wolfsholz Ingenieurbau GmbH aus Leonberg das marode Steingefüge drucklos mit einer Mörtelsuspension. Um die richtige Mörtelrezeptur zu finden, wurden aus den bis zu 1 m dicken Mauern Bohrkerne entnommen und analysiert. In enger Abstimmung mit dem Architekt und der Denkmalbehörde erarbeitete das IFS aus Mainz gemeinsam mit den Experten von tubag das Materialkonzept. Konsistenz und Eigenschaften des Verfüllmörtels wurden an die Bauwerksgegebenheiten angepasst und objektbezogen hergestellt. An die siebeneinhalb Tonnen NHLV-g Verfüllmörtel brachten die Handwerker in das Mauerwerk ein. Auch für die Verfugung des Mauerwerks wurde ein Mörtel auf Basis von natürlich hydraulischem Kalk genutzt. Diese Arbeiten führten ebenfalls die Mitarbeiter der August Wolfsholz Ingenieurbau GmbH aus.

Das Bruchsteinmauerwerk der beiden Osttürme ist historisch sehr unterschiedlich aufgebaut. Der Sockel, der als Sichtmauerwerk vorgesehen war, wurde sorgfältig restauratorisch gesichert und die Werksteine entsprechend präzise vermauert. Oben, wo sich auch ein später aufgesetztes barockes Geschoss befindet, wurden die Steine nur nachlässig und unregelmäßig versetzt. Diese Art der Vermauerung zeigt deutlich, dass die Flächen im oberen Teil ursprünglich für einen schützenden Verputz vorgesehen waren und die Erbauer deswegen keinen Wert auf ein sorgfältig eingepasstes Mauerwerk gelegt hatten. So fiel die Entscheidung leicht, den seit langer Zeit komplett steinsichtigen Turm wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen und im oberen Abschnitt gänzlich zu verputzen – nicht zuletzt deshalb, weil ein Teil des Schadensbildes am Mauerwerk sich daraus ergeben hatte, dass der schlecht gemauerte Teil des Turms jahrzehntelang unverputzt der Witterung ausgesetzt war.

Vor Beginn der Sicherungsarbeiten mussten daher an den Turmfassaden etwa 70 Prozent der stark beschädigten und absturzgefährdeten Steinoberflächen des Mauerwerks entfernt werden. Die Handwerker trugen eine Schicht von 6 bis 7 cm von den Außenseiten der Steine ab, bevor der verbleibende Rest beständig genug war, um einen neuen Putz zu tragen.

Auf die sorgfältig vorbehandelte Fläche brachten die Mitarbeiter der Ochsenfarth Denkmalpflege GmbH per Hand zwei Lagen historischen Kalkputz NHL-P auf. Dabei arbeiteten sie abschnittsweise Stück für Stück. Jeweils am Tagesende kämmten die Handwerker den Putz sorgfältig mit einem Besen auf, um ihn möglichst zeitnah nach dem Auftrag aufzurauen. Die-se erste Lage erforderte entsprechend der Schichtdicke eine Standzeit von etwa 14 Tagen. Die zweite Lage Putz wurde nach Farbgebung und Struktur dem Bestand angepasst und in der Wasseraufnahme etwas gehemmt. So konnte mit dem leicht verringerten Saugverhalten des Oberputzes der exponierten Lage Rechnung getragen werden. Der Putz weist einen Teil des Regenwassers ab, erlaubt aber gleichzeitig einen Feuchtigkeitstransport vom Mauerwerk an die Oberfläche. Auf Wunsch der Handwerker und der Denkmalpflege wurde der natursandfarbene Putz als „Handputz klassisch“ aufgebracht. Dafür haben ihn die Handwerker per Hand an die Wand geworfen und mit kleinen Holzbrettchen verdichtet, um ihn entsprechend zu verfestigen. Mit dem Verputzen einer Gesamtfläche von etwa 430 m² wurde der komplette Nord-Ost-Turm Zug um Zug mit feuchten Jutebahnen abgehängt. Diese bewahrten den Putz davor, zu schnell an Feuchtigkeit zu verlieren. Der Aushärtungsprozess der Putze auf Basis von natürlich hydraulischem Kalk erforderte Zeit. NHL Putze benötigen an die 70 Tage Standzeit bis zur ausreichenden Karbonatisierung. Erst dann erreichen sie eine Festigkeit von etwa
2 N/mm². „Da Kalkputz diese verhältnismäßig lange Standzeit braucht, sollte man möglichst frühzeitig im Jahr mit den Arbeiten anfangen“, so Architekt Jürgen Hamm, „und man braucht einen guten Handwerker.“ Denn dieser weiß, wie wichtig es ist, den Putz sorgfältig an die Wand zu bringen und Geduld zu üben. Eine zu kurze Standzeit bringt nur kurzfristig einen Zeitgewinn, die Ungeduld wird jedoch später in Bauschäden münden. Das gilt besonders, wenn noch ein Farbaufstrich erfolgen soll. Einen solchen erforderte der Nord-Ost-Turm der Andreaskirche allerdings nicht, da der Putz selbst durch Werkszugabe von gel-bem und rotem Natursand eingefärbt war. Für das IFS haben die Arbeiten den Beweis erbracht, dass ein „NHL-Putz auch ohne Anstrich funktioniert“.

 

Bis 2020 bleibt noch viel zu tun

Am Nord-Ost-Turm der Andreaskirche sind die Sanierungsarbeiten nun nach zwei Jahren abgeschlossen. Sowohl die Wahl der Handwerker als auch die des Materials haben sich bislang als richtig erwiesen. Dem Turm sieht man seine wechselvolle Geschichte kaum mehr an, und das trotz eines extrem baufälligen Zustands vor Beginn der Sanierungsarbeiten. Alle Beteiligten sind zuversichtlich, dass die sehr gut ausgeführten Putzarbeiten an die 80 Jahre halten können und damit die obere Grenze der Lebensdauer eines Putzes erreichen. Die Zeit drängt allerdings. Die bisher unsanierten Teile der Andreaskirche halten viele dringende Aufgaben bereit. Und der zweite Ostturm erhebt sich noch genauso unverputzt direkt neben seinem instandgesetzten Zwilling wie das Kirchenschiff.


 

Autor


Guido Wollenberg ist als Fachjournalist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit Schwerpunkt Bauwesen bei der Agentur Wollenberg-Frahm PR in Frechen tätig.

Durch die Verwendung von Kalk sind die Baustoffe sehr nah an den historischen Bestand angepasst

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