Sauber gerechnet mit Lehm
Sanierung eines Fachwerkhauses in Halbersatdt mit Lehm und Mineraldämmplatten

Viele Jahre fristete das Kolpinghaus in Halberstadt ein kümmerliches Dasein. Nach zwölf Monaten Bauzeit und 1,1 Millionen Euro Investitionen ist das 1671 errichtete Fachwerkhaus dank einer Innendämmung aus Mineralplatten und Lehm wieder ein Schmuckstück in der Altstadt.

Das Haus, seit 1921 in kirchlichem Besitz, hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Es war Kaufmannshaus, beherbergte 1870/1871 französische Kriegsgefangene und danach vor allem verschiedene Handwerker. Seit 1921 betreuten Karmelitinnen heimatlose Kinder im „Josefsheim“ genannten Gebäude. Seit den 1970er Jahren hatte die Halberstädter Kolpingsfamilie das Haus genutzt und unter großen Mühen versucht, es zu erhalten. Nach einigen Jahren des Leerstandes wurde das markante Fachwerkgebäude 2011 vom Kolping Berufsbildungswerk Hettstedt übernommen. Die Modernisierung wurde im Rahmen der „Modellstadt für die Stadtsanierung“ gefördert durch Stadt, Land und Bund.

Neue Nutzung: Barrierefreies Wohnen

Durch ein neues Nutzungskonzept sind seitdem insgesamt zwölf Wohneinheiten entstanden. Acht behinderte Jugendliche haben hier eine Wohnung gefunden, um den Schritt in ein selbstständiges Leben zu wagen. Zwei weitere Wohnungen sind privat vermietet, zwei Dachgeschosswohnungen wurden vor kurzem ausgebaut. Im Erdgeschoss entstand ein großer Gemeinschaftsraum – vermietet an einen Verein.

Die geringen Kosten der Sanierung erklären sich auch daraus, dass hier Azubis des Kolpingwerks bei der Arbeit waren: Tischler, Maler und Zimmerer, die in Hettstedt und Walbeck ihr drittes Lehrjahr absolvieret haben.

Nach der Entkernung des Gebäudes folgte die komplette Erneuerung von Heizungen und Sanitäranlagen, gefolgt von Dachsanierung und Innendämmung. Der Anbau eines Fahrstuhls an der Rückseite des Hauses sowie die Überarbeitung der Fassade erfolgten im Sommer.

Herausforderung Fachwerksanierung

Nach Freilegung des Fachwerks zeigten sich erhebliche Schäden an den Fachwerkbauteilen und im Dachstuhl, die selbst der hinzugezogene Holzschutz-Sachverständige vor der Freilegung nicht erkennen konnte. Diese Schäden mussten von einem spezialisierten Zimmererei-Fachbetrieb instand gesetzt werden. Dieser verwendete für die Fachwerkinstandsetzung Holz mit einer Dicke von etwa 20 cm und Lehm für die Gefach. Das Ziegelmauerwerk des Hauses variiert dagegen zwischen 115 und 365 mm Dicke.

Der maßgebende Unterschied des Fachwerks zu herkömmlichen Ziegelkonstruktionen besteht darin, dass der Baustoff Holz sich der relativen Feuchte der umgebenden Luft anpasst. Diese Feuchte wiederum beeinflusst erheblich das Schwinden und Quellen des Holzes. Das macht eine schlagregendichte Fugenausbildung der Fachwerkfassade unmöglich.

Mineralische Innendämmung

Alle Außenwände, die nicht von außen gedämmt werden konnten wie beispielsweise die Fachwerkwände, wurden mit dem TecTem Historic-System von Knauf Aquapanel gedämmt. Dazu zählen neben der mineralischen Dämmplatte der kapillarleitende und flexible Grundputz Lehm als Ausgleichsputz für Sichtfachwerkwände oder bei größeren Unebenheiten und der Klebespachtel Lehm zum Anbringen der Dämmplatten. Die Dämmplatte ist in jeder Hinsicht auf Fachwerkgebäude abgestimmt. Sie nimmt durch ihre Diffusionsoffenheit und ihre Kapillaraktivität die genannten Herausforderungen an. Auch die ideale Dämmstärke muss nicht erst ermittelt werden: Die 60 mm dicke Dämmplatte hat sich als optimal für Fachwerkkonstruktionen herausgestellt. Es konnte in vielfachen Simulationen nachgewiesen werden, dass nicht nur die Anforderungen aus dem Mindestwärme- und Feuchteschutz erfüllt sind und eine Schimmelwahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, sondern dass mit TecTem Historic auch die Anforderungen der EnEV 2009 (U-Wert ≤ 0,84 W/m²K) für Sichtfachwerk erfüllt werden.

Verarbeitung der Innendämmung mit Lehm

Gebäude mit Sichtfachwerk haben nur selten ebene Wände. Gefache und Holz zeigen Versprünge, die eine sorgfältige Dämmung erschweren. Diese Unebenheiten müssen zunächst mit einem Material ausgeglichen werden, das ein ähnliches Feuchteverhalten wie Holz aufweist, zudem möglichst plastisch sein sollte, um Bewegungen aus dem Untergrund auszugleichen und in großen Schichtdicken aufgetragen werden kann. Hier kommt der Grundputz Lehm zum Einsatz – kapillar leitfähig, wasserdampfdurchlässig und mit hoher Verbundhaftung.

Der Klebespachtel Lehm wiederum wird zum Verkleben der Dämmplatten eingesetzt. Er überzeugt durch eine hohe Verbundhaftung und Abrutschsicherheit und ist dabei kapillaraktiv und wasserdampfdurchlässig.

Sollte es zu einem Tauwasserausfall innerhalb des Wandaufbaus oder einem Feuchteeintrag über die Fugen von außen kommen, garantieren diese Systemkomponenten in Verbindung mit der Platte durch ihre kapillare Leitfähigkeit, dass Auffeuchtungen sowohl nach innen als auch nach außen schnell wieder abgegeben werden können.

Berechnung der Anschlussdetails der Dämmung

Im Vorfeld wurde das Institut für Bauklimatik der TU Dresden mit Analysen und Simulationen zu den
Wandaufbauten, insbesondere auch zu folgenden Anschlussdetails, beauftragt: Ausbildung der Fensteranschlüsse, Gebäudeeckausbildung zum Giebel und Erkersituation mit Versatz. Um die Komplexität der Sanierung realitätsnah abbilden zu können, wurde das wissenschaftliche Simulationsprogramm Delphin für den gekoppelten Wärme-, Feuchte-, und Stofftransport in kapillarporösen Baustoffen eingesetzt. Die Simulationen berücksichtigten objektspezifisch zum Beispiel die Schlagregenbelastung, aufsteigende Feuchte und eingebrachte Baufeuchte am Objekt. Beim Kolpinghaus in Halberstadt wurde unter Berücksichtigung der Bestandsituation, des Einflusses der umgebenden Bebauung, vorhandener Vorsprünge des Hauses und eines großen Dachüberstandes die Schlagregenbelastung mit 30 Prozent definiert. So wurden die Detaillösungen der Anschlüsse geprüft und falls erforderlich angepasst. Darüber hinaus folgten Empfehlungen zur Wahl des Farbanstrichs auf der Außenseite, der schlagregendicht, diffusionsoffen und wasserabweisend sein muss.

Vorbereitung des Untergrundes

Für die Montage der Dämmplatten mussten die Handwerker zunächst einen tragfähigen und ebenen Untergrund schaffen. So mussten zahlreiche Rücksprüngen und Unebenheiten der Wand erst ausgeglichen werden. Bei Gefachen, die vollständig erneuert werden mussten oder große Rücksprünge aufwiesen, verwendeten die Handwerker Lehmziegel und überspannten die Holzbalken mit Schilfrohrgewebe – ein traditioneller Putzträger schon im 18. Jahrhundert. Heutzutage wird Schilfgewebe als Putzträger vor allem beim biologischen Bauen, im Fachwerk und in der Denkmalpflege eingesetzt.

Dann brachten die Handwerker den Grundputz Lehm vollflächig über Gefache und Holz auf. Auf diesen planen Untergrund konnte einfach und schnell die 60 mm dicke Dämmplatte mit dem für das Fachwerk entwickelte Klebespachtel Lehm aufgeklebt werden.

Dämmung der gesamten Innenschale

Auch die Flächen unter den Heizkörpern wurden mit den mineralischen Platten gedämmt. Die Befestigung der Heizkörper erfolgte mit Spezialdübeln, um Wärmebrücken zu vermeiden. Auf den Innenseiten der Außenwände wurden Steckdosen so weit wie möglich vermieden. Da die Innenwände neu errichtet wurden, konnten sie problemlos dort untergebracht werden. An den wenigen Stellen, wo die Handwerker dennoch Steckdosen an den Außenwänden einbauen mussten, achteten sie darauf, dass immer noch Dämmmaterial hinter den Dosen lag und keine direkte Verbindung mit der Außenwand bestand.

Geprüft wurden vom Institut für Bauklimatik außerdem die Wärmebrücken im Bereich der gedämmten Ecken an Erkern und an den Versatzstellen vom ersten zum zweiten Obergeschoss. Im Ergebnis konnte eine Schimmelbildung nach dem DIN-Nachweis 4108-2 im kritischen Punkt ausgeschlossen werden. Die Trocknungszeiten der eingebrachten Materialien wurden genauestens eingehalten, damit keine unnötige Feuchte im Bauwerk verbleibt und gegebenenfalls die Holzbauteile beeinträchtigt.

Die Dämmung der Fensterlaibungen erfolgte mit der 25 mm dicken Laibungsplatte aus dem TecTem System. Eine noch dickere und damit vorteilhaftere Laibungsdämmung konnte aufgrund der baulichen Voraussetzungen nicht eingesetzt werden. In besonders kalten und langen Wintern besteht nun allerdings ein erhöhter Lüftungsbedarf, um die Schimmelbildung tatsächlich auszuschließen. Auch eine Kalkglätte mit Kalkfarbe oder Sumpfkalk minimieren das Schimmelrisiko in den Laibungen. Die Wandoberflächen wurden zum größten Teil mit einer diffusionsoffenen Farbe gestrichen.

Mit dem Simulationsprogramm Delphin konnte man die Komplexität der Sanierung realitätsnah abbilden

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