Historische Kalkkaseintechnik

Der seit Jahrhunderten geschätzte Werkstoff Kalkkaseinfarbe kommt auch im heutigen Handwerk noch zur Anwendung. Das gilt nicht nur für Arbeiten am Denkmal, sondern auch im Bestand und im Neubau – einerseits für gesundes Wohnen, andererseits für eine gestalterisch attraktive Oberfläche.

Bereits in prähistorischen Höhlenmalereien finden sich Milcheiweiße, deren Hauptbestandteil Kasein ist. Die ältesten bekannten Kaseinmalereien aus dem römischen Reich kann man in den Felskirchen von Lalibela sehen. Ab dem frühen Mittelalter wurde mit unterschiedlichen Kalkkaseintechniken gearbeitet. Da sind neben der Tafelmalerei auf Holz die großflächigen farbigen Holzdecken in den Hallendecken der Kirchen zu nennen. Die Maler jener Zeit nannten diese Farben treffend „Käsequark“. Aus dieser Epoche stammen auch die herrlichen Arbeiten in Kalksecco- und Freskotechniken. Einige der Techniken sind bis heute erhalten geblieben. Der Autor selbst hat beispielsweise in den fünfziger Jahren Gipsfiguren mit einer Mischung aus Magermilch und Zinkweiß aufgefrischt. Strichziehfarben bestanden damals aus Trockenfarbe und Milch, die rund drei Prozent Kasein enthält.

 

Kasein und Sumpfkalk

Zum Aufschließen des Kaseins ist lang abgelagerter Sumpfkalk am besten geeignet. Dessen Lagerzeit sollte etwa drei Jahre betragen, für Freskoarbeiten sechs Jahre. Noch in den sechziger Jahren besaß aus diesem Grund jeder gute Malerbetrieb selbst noch eine oder sogar mehrere Kalkgruben.

Das Produkt Kasein wird in Pulverform aus Magermilch durch Säuerung, anschließende Trennung und Trocknung gewonnen. Dieses leicht gelbliche Pulver ist neben Sumpfkalk die erforderliche Komponente für Kalkkaseinfarben, -grundierungen und -leime. Sumpfkalk als Aufschlussmittel vernetzt das Kasein besser als Borax.

Schon lange wird mit unterschiedlichen Zusätzen zu der klassischen Kalkkaseinfarbe experimentiert. Das können Leinölfirnis, Marmormehl oder gut deckende Pigmente wie Titandioxid sein. Die Lieferformen der Hersteller unterscheiden sich:

Keimfarben liefert Keim-Romanit-Kaseinpulver, empfohlen als Zusatz zu drei Jahre altem Sumpfkalk. Die Kalkkaseinfarbe HP 5000 von Kalkwerke Hessler in Pulverform braucht nur in Wasser nach Vorschrift aufgelöst werden. Caparol liefert Histolith-Kalk-Kaseinfarbe für Innen auf Basis von nur natürlichen Inhaltstoffen bereits streichfertig im Eimer, als Pulver wiederum bietet Auro die „Kalkcaseienfarbe Nr.751“ an, zum farbigen Abtönen wird Kalk-Buntfarbe 350 vom Hersteller empfohlen.

 

Historische Rezepturen aus der Denkmalpflege

Am Denkmal arbeitet der Restaurator allerdings oft noch nach überlieferten oder eigenen Rezepten für den Sofortverbrauch mit nur kurzen Lagerzeiten. Hier einige Beispiele:

Eiöltempera: 1 Teil Eigelb + 1 Teil Leinölfirnis. Pigmente anreiben und etwas Essig zur Konservierung zugeben. Einige Tropfen Spülmittel als Emulgator.

Wachstempera: 1 Teil Bienenwachs + 1 Teil echtes Terpentinöl. Wachs im Wasserbad warm auflösen. Zugabe von einem oder zwei Eigelb auf etwa 1 Liter fertige Farbe. Pigmente anreiben und untermischen.

Milchtempera: In 0,4 Liter Milch ein Ei einrühren. Pigmente in Teilmengen einsumpfen und zugeben (Farbe nur ein bis zwei Tage lagerfähig).

Honigtempera: 2 Teile Honig + 1 Teil Eigelb + 0,5 Teile Leinölfirnis. Wenige Pigmente in einem Teil der Mischung anteigen. Einige Tropfen Spülmittel als Emulgator zugeben.

Kalk-Kaseintempera: 1 Teil Sumpfkalk + 3 Teile Magerquark + maximal 2,5 Prozent Leinölfirnis. Höchstens 3 Prozent angeteigte Pigmente zugeben. Einige Tropfen Spülmittel als Emulgator hinzufügen.

Bei diesen Rezepturen achten die Restauratoren darauf, nur kalkechte Pigmente in denkmalgerechten Farbtönen auf neutralen Untergründen einzusetzen. Die Lasureffekte dieser Farben sind typisch und in der Denkmalpflege auch gewollt.

 

Malgrund für Fresko- und Seccotechniken

Spritz- und Ausgleichsbewurf: 3 Teile Sand + 1 Teil Sumpfkalk.

Grobe Malschicht: 2 Teile Feinsand + 1 Teil Sumpfkalk.

Feinputz als Malschicht: 1 Teil Marmormehl + 1 Teil Sumpfkalk.

Beim Fresko erfolgt die Malerei nass in nass. Es darf deshalb nur soviel Putzfläche angelegt werden, dass sie auch innerhalb eines Tages bemalt werden kann. Pralles Sonnenlicht sollte vermieden werden, um die Trocknung für eine gute Verbindung der Schichten ausreichend zu verzögern.

 

Kalkkasein- und reine Kalkfarben

In ihren Eigenschaften stehen gute Kalkkaseinfarben reinen Kalkfarben kaum nach. Sie enthalten auch keinerlei synthetische Binde- oder Konservierungsmittel und sind lösungsmittelfrei. Die Wasserdampfdurchlässigkeit ist hoch. Die ästhetisch unverwechselbaren klassischen Oberflächen unterscheiden sich kaum von reinen Kalkoberflächen. Am Denkmal wird die Ausführung mit der Streichbürste verlangt, die auch sonst eingesetzt werden sollte.

Kalkkaseinfarbe hat eine berechtigte Stellung neben der klassischen Kalkfarbe. Der Vorteil besteht darin, dass sie dort hilfreich ist, wo der Einsatz reiner Kalkfarbe kritisch sein kann. Das gilt beispielsweise für nicht porenreine mineralische Untergründe.

Kalkkaseinflächen sind desinfizierend, schimmelwidrig und enthalten darüber hinaus keinerlei Schadstoffe. Sie quellen auch im Gegensatz zu Leimfarben nicht auf. Mit ihnen ist eine intensivere Farbigkeit möglich, gegenüber reiner Kalkfarbe können mehr alkalibeständige angeteigte Pigmente oder Pigmentpasten zugesetzt werden.

Kaseingrundierungen kommt neben Kalkkaseinbauklebern und -kitten eine besondere Bedeutung zu. Diese lassen sich ideal als Sicherheitsgrundierungen für nachfolgende Kalk- oder Lehmoberflächen einsetzen. Kaseingrundierungen ermöglichen den Kalkkaseinanstrich auf kritischen Untergründen, wie nicht porenreiner neutraler Kalkputz, trockener Gipsputz, Lehmputz und Gipskartonplatten, ausgenommen die „grüne“ (hydrophobierte) Platte. Nicht möglich als Untergrund sind Beton, Dispersionsputze und -anstriche, sowie Lackflächen und Fliesen.

Einsatzgebiete für Kalkkaseinfarben finden sich nicht nur am Denkmal, wo die Denkmalämter Sumpfkalk für unterschiedliche Kalktechniken vorschreiben. Auch im Neubau und in der Sanierung wird die unverwechselbare Optik geschätzt. Sehr gute Umweltverträglichkeit, die gute Feuchteregulierung und die Unbedenklichkeit für die meisten Allergiker sind weitere Gründe für diese Farben.

 

Praktische Anwendung

Aber das Material ist sensibel und erfordert eine spezielle Verarbeitung. Untergründe müssen fest und trocken sein. Schimmelbefallene Flächen müssen nass gereinigt werden. Bewährt hat sich nach Trocknung die satte Tränkung mit Caparol-Histolith-Algenentferner. Darauf darf allerdings auch erst nach voller Durchtrocknung weitergearbeitet werden.

Zwischen den einzelnen Anstrichen sollten 24 Stunden Trockenzeit eingehalten werden. Aus Pulver angerührte Kalkkaseinfarben müssen innerhalb von 24 Stunden verarbeiten werden. Bei farblosen Grundierungen lässt ein geringer farbiger Zusatz Streichspuren besser erkennen. Eine besonders feste Verbindung geht Kalkkaseinfarbe mit frischem Kalkputz
(1 bis 2 Tage) ein.

Aufgrund der starken Alkalität der Kalkkaseinfarben sollte der Handwerker bei der Verarbeitung von Kalkkaseinfarbe seine Haut und Augen schützen. Glas- und Keramikflächen, Natursteine, Metall und Holz müssen ebenfalls vor der Arbeit sorgfältig abgedeckt werden. Dennoch kann das Material unbesorgt umweltfreundlich entsorgt und sogar kompostiert werden. 

 



Farben nicht nur für Arbeiten am Denkmal, sondern auch im Bestand und im Neubau

Die Farben verfügen über eine gute Feuchtregulierung und sind unbedenklich für die meisten Allergiker

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