Malen mit Farben auf Basis von Kalkkasein
Kalkkasein ist ein wässriges, organisches Binde- und Klebemittel, das zu den ältesten Bindemitteln in der Wandmalerei zählt. Ohne synthetische Zusätze aus frischem Quark und Sumpfkalk hergestellt ist es für deckende Anstriche, Bemalungen und Lasuren geeignet und kann sogar außen eingesetzt werden.
Neugestaltung, Rekonstruktion und Restaurierung von Putzflächen und Wandgestaltungen gehören seit jeher zum Berufsbild des Kirchenmalers. Dabei werden Arbeitstechniken angewendet, wie sie in der Entstehungszeit der zu sanierenden oder zu gestaltenden Oberflächen üblich waren und Werk- und Hilfsstoffe verwendet, die nach historischen Rezepturen hergestellt werden. Kirchenmaler und Kirchenmalerinnen reinigen, konservieren, festigen, retuschieren, rekonstruieren und gestalten Oberflächen von Decken, Wänden und Fassaden, Wandmalereien und Stuck.
Das Bindemittel
Malereien auf der Basis von Milcheiweißen lassen sich bereits bei den Höhlenmalereien des Jungpaläolithikums nachweisen und wurden auch im Römischen Reich ab dem 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung angewandt. Ihre Hochblüte fand die Technik neben der Wandmalerei auch in der Tafelmalerei auf Holz. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die romanische Decke der Michaeliskirche in Hildesheim.
Kalkkasein wird zu den natürlich modifizierten Farben und Bindemitteln gerechnet. Das heißt, die Rohstoffe kommen in der Natur vor, müssen aber vor ihrer Verarbeitung als Bindemittel aufbereitet werden. Sei es durch Brennen im Fall von Kalk, das Pressen bei Ölen oder das Aufschließen wie beim Kasein.
Im Fall von Kasein ist der Ausgangsstoff Milcheiweiß – Topfen, Quark oder Käsestoff – ein phosphorhaltiges Eiweiß (Phosphorprotein), das aus frischer, fettarmer Milch gewonnen wird. Aus dem wasserunlöslichen Milchsäureeiweiß wird durch Zugabe von alkalischem Kalkhydrat ein kolloidal wasserlösliches Kaseinbindemittel.
Der Vorgang selbst wird als „Aufschließen“ bezeichnet. Das bedeutet einen schwerlöslichen Stoff mit Hilfe geeigneter Substanzen in eine lösliche Verbindung zu überführen.
Herstellung
Zur Herstellung von Kalkkasein werden etwa 100 Gramm Quark – Magerstufe (0,05 Prozent Fett) durch ein feines Sieb gestrichen, um Klumpen im späteren Bindemittel zu vermeiden. Anschließend fügt man 20 g Kalkhydratbrei (Sumpfkalk) hinzu und rührt das Gemisch gut durch. Bereits nach wenigen Augenblicken beginnt sich die Masse leicht zu verflüssigen. Aus den beiden weißen, buttrigen Ausgangsstoffen entsteht eine leicht bläulich schimmernde, dickliche Flüssigkeit. Diese wird nochmals gesiebt und etwa im Verhältnis 1 : 3 mit Wasser verdünnt.
Die Mischungsmengen werden in der Praxis selten exakt abgemessen, sondern lediglich geschätzt. Das Mischungsverhältnis 5 : 1 ist ein Anhaltspunkt und auf der Baustelle dadurch leicht umsetzbar. Werden jedoch mehr als 5 Teile Sumpfkalkbrei auf 1 Teil Quark verwendet, verringern sich Abriebfestigkeit und Witterungsbeständigkeit, die Farbe kann abkreiden.
Als Ausgangsstoff kann selbstverständlich, anstelle von frischem Quark, auch getrocknetes Kaseinmilchpulver verwendet werden. Dieses sollte aber einige Stunden vor Gebrauch mit Wasser angequollen werden.
Eigenschaften
Kalkkasein ist sofort einsatzfähig und sollte umgehend verdünnt werden, um ein mögliches frühzeitiges Abbinden (Gallertbildung) zu vermeiden. Es sollte kühl gelagert und bei geringer Verdünnung am selben Tag, spätestens aber innerhalb weniger Tage verbraucht werden, da es aufgrund der organischen Inhaltsstoffe nur eine geringe Haltbarkeit aufweist.
Kalkkasein wirkt alkalisch, das heißt, bei der Auswahl der Farbmittel muss darauf geachtet werden, dass nur alkalibeständige Pigmente zum Einsatz kommen. Ein großer Vorteil gegenüber reiner Kalkmilch, die nur maximal 5 Prozent Pigment binden kann, ist, dass Kalkkasein eine extrem hohe Bindekraft besitzt und so kräftige und intensive Farbtöne hergestellt werden können. Auch beim Auftrocknen verändern sich die gemischten Farbtöne kaum.
Kalkkasein eignet sich zum Grundieren, Lasieren oder zum Malen auf mineralischen Untergründen und auch auf Holzoberflächen. Es trocknet unlöslich, wasser- und wetterbeständig und matt auf. Dadurch ist Kalkkasein auch im Außenbereich problemlos einsetzbar.
Seine Beständigkeit, das angenehme Arbeiten und die Farbtiefe zählen zu den Vorzügen der Kalkkaseinfarben. Die Farben sind untereinander gut mischbar. Einerseits kann – wie in der Ölmalerei – „nass-in-nass“ gearbeitet werden, aber auch – bedingt durch die zügige Trocknung – lasierend in Schichten. Geringe Beigaben von Leinöl beziehungsweise Leinölfirnis sind möglich, um die Verarbeitung gegebenenfalls zu verbessern und die Eigenschaften anzupassen.
Hohe Bindekraft
Da die Bindekraft des Kalkkaseins sehr hoch ist, trocknet es mit starker Oberflächenspannung auf, so dass besondere Sorgfalt in der Verarbeitung nötig ist. Zweckmäßig ist es daher, vor dem Verarbeiten Proben anzusetzen. Bei deckendem Auftrag ist auf ausreichend Füllstoff zu achten, um ein Abblättern zu verhindern. Lasierende Farben können sehr dünn ausgearbeitet werden.
Nachteile bei der Verwendung von Kalkkasein als Bindemittel ist die kurze Haltbarkeit in konzentrierter Form und bei hohen Temperaturen sowie die relativ unberechenbare Konsistenz. Kalkkasein kann willkürlich gelieren, so dass eine Verdünnung nicht mehr möglich ist. Ebenso kann sich auch das Kalkkasein in pastöser Konsistenz plötzlich verflüssigen.
Eine weitere Erscheinung bei Kalkkaseinfarben ist die Thixotropie. Lässt man Kalkkaseinfarbe eine längere Zeit stehen, bildet sich am Boden des Gebindes eine extrem zähe, sulzige Masse. Diese lässt sich zwar mit einem gewissen Aufwand wieder gut verrühren, und die Farbe nimmt wieder ihre ursprüngliche Konsistenz an, jedoch bildet sich der Bodensatz sofort wieder, sobald man die Farbe kurze Zeit stehen lässt. Diese Erscheinung sollte nicht durch Verdünnen mit Wasser behoben werden, sonst verändert sich der Farbton oder die Oberflächenwirkung. Die thixotrope Wirkung kann unter Umständen bereits während der Arbeitsphase einsetzen. Ein wiederholtes Umrühren ist daher zweckmäßig, um Farbtonveränderungen im Verarbeitungsprozess zu vermeiden.
Verarbeitung in der Malerei
Kalkkasein eignet sich wie oben bereits erwähnt für deckende wie auch lasierende Farbaufträge. Es kann direkt auf Putzmörteln, aber auch auf Kreidegrundgrundierungen und Holzoberflächen verarbeitet werden. Empfehlenswert ist es, auf neue und vorher unbehandelte Untergründe mit un- oder nur sehr schwach pigmentiertem und stark verdünntem Kalkkasein als Voranstrich vorzubehandeln. Wie stark Kalkkasein verdünnt werden soll, entscheidet in der Regel der gegebene Untergrund. Durch eine Aufstrichprobe wird das Saugverhalten des Untergrundes überprüft und dementsprechend die Verdünnung des Kalkkaseins eingestellt.
In Wasser angeteigte Pigmente werden in das verdünnte Kalkkasein eingerührt. Mit Borst- oder Haarpinseln, je nach Größe und Art der Malerei, wird die Farbe auf den Untergrund aufgemalt.
Empfehlenswert ist es dabei in mehreren dünnen Schichten die Farbe übereinander zu legen. Zu pastöse Farbaufträge neigen zu Rissbildungen und Abplatzungen.
Da Kalkkasein bereits im Augenblick des Trocknens wasserunlöslich wird, sind Korrekturen nur möglich, so lange die Farbe noch frisch aufgetragen ist. Ein stets bereitgehaltener, nasser Schwamm kann unter Umständen verhindern, dass Oberflächen noch einmal neu gefasst werden müssen.
Verarbeitung als Anstrich
Für die Verarbeitung auf größeren Wandflächen im Innen- und Außenbereich gelten im Prinzip die selben Verarbeitungsregeln. Auch hier ist auf eine ausreichende Verdünnung der Farbe, bedingt durch die hohe Oberflächenspannung, zu achten. Typischerweise kommt es bei der Verarbeitung auf größeren Flächen zum Teil zu Ungleichmäßigkeiten im Farbauftrag. Eine gleichmäßig deckende Oberflächenstruktur ist fast nicht erreichbar. Das macht zum einen den Charme von Kalkkaseinfarbe aus, könnte aber im anderen Fall zu Unzufriedenheit des Auftraggebers führen, da wir durch die modernen Farbsysteme gewohnt sind, flecken- und ansatzfreie Wandbeschichtungen herstellen zu können. Kunden sollten daher vor der Ausführung darauf hingewiesen werden, dass diese Ungleichmäßigkeit keinen Mangel darstellt. Idealerweise lässt man sich vorab schriftlich bestätigen, dass der Kunde über diesen Umstand aufgeklärt wurde.
Zum Ausgleich kann man ihn mit den zahlreichen Vorteilen einer Beschichtung mit Kalkkasein-Farbe trösten: Bedingt durch die leichte Alkalität verhindert Kalkkasein auf Wandflächen Schimmelbildung und ist, da es absolut frei von synthetischen Zusätzen ist, ein perfektes Bindemittel für alle, die gerne in mit natürlichen, emissionsfreien und ökologischen Farben gestalteten Räumen wohnen möchten.
AutorinMargarete Hauser ist gelernte Fassmaler- und Vergolderin, Kirchenmalermeisterin, Restauratorin im Handwerk und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige im Kirchenmaler- und Vergolderhandwerk. Als Fachlehrerin unterrichtet sie an der Städtischen Meisterschule für das Vergolderhandwerk in München.