Rekonstruktion der Fassadenbemalung des Münchner Brunnenhof in Keim-A-Technik

Die Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk in München begab sich auf die Suche nach einer beständigen, rein mineralischen Maltechnik für Fassaden. Die Schüler rekonstruierten Ausschnitte aus der Fassadenbemalung des Münchner Brunnenhof in Keim-A-Technik von 1959.

Der längsoktogonale Brunnenhof entstand um 1612 bis 1616 aus damals bestehenden und zum Teil neu errichteten Bauteilen der Münchner Residenz. Seine Diagonallage ist bedingt durch die Lage des Antiquariums, dem repräsentativen Festsaal, der einige Jahre zuvor entlang des ehemaligen Burggrabens außerhalb der mittelalterlichen Neuveste errichtet wurde.

Im 2. Weltkrieg wurde der Brunnenhof stark zerstört. Beim Wiederaufbau in den Jahren 1959 bis 1960 erneuerte die Münchner Malerfirma Kunze die Bemalung in Keim-A-Technik. Der Münchner Professor Hermann Kaspar entwickelte dazu in Anlehnung an erhaltene Stiche die Entwürfe und Vorlagen.

Die Bemalung der Fassade ist größtenteils noch heute so erhalten wie sie 1959 in Keim-A-Technik ausgeführt wurde. Instandsetzungsarbeiten fanden bisher nur teilweise statt, zum Beispiel an den Giebeln der Schmalseiten in den Jahren 2003 und 2010. Die heute noch am deutlichsten sichtbaren Schäden an der Nordost- und Ostwand wurden durch den verheerenden Hagelschlag am 12. Juli 1984 verursacht.

Keim-A-Technik

Das Bindemittel der Keim-A-Technik ist Kaliumsilikat, das nach dem Malprozess mit dem Untergrund, in der Regel ein Putz der Mörtelgruppe P II, chemisch reagiert. Diese chemische Reaktion wird als Verkieselung bezeichnet. Kaliumsilikat war den Naturwissenschaftlern bereits im Mittelalter bekannt. Im Jahr 1648 beschrieb der Chemiker Rudolph Glauber eine in Wasser gelöste Kieselsäure und nannte die Flüssigkeit „liquor silicium“.

Nachweislich experimentierte auch Johann Wolfgang von Goethe 1768 mit der mineralischen Flüssigkeit, die aus Quarzsand und Pottasche hergestellt wurde. Um 1800 entwickelte der Münchner Mineraloge und Chemiker Johann Nepomuk von Fuchs zusammen mit den Kunstmalern Josef  Schlotthauer und Wilhelm von Kaulbach eine Maltechnik auf  Silikatbasis, die so genannte Stereochromie. Durch einen hohen Quarzanteil ging dabei der Feinputz mit dem auf die fertige Malerei gesprühten Wasserglas eine chemische Reaktion ein. Daher wurden die Pigmente, die nur mit destilliertem Wasser angeteigt wurden, zumindest erheblich besser fixiert als bei Kalkfresken.

Firma Henkel stellt 1889 Kaliwasserglas her

Eines der ältesten bekannten und sehr gut erhaltenen stereochromen Wandgemälde ist die Nymphendarstellung am Casino auf der Roseninsel im Starnberger See von Philipp Foltz aus dem Jahr 1853. Nach einem Auftrag König Ludwig I. von Bayern an die Wissenschaft, eine neue beständige Farbe zu entwickeln, arbeitete Adolf Wilhelm Keim in seinem Laboratorium für Maltechnik an einer exakten Formulierung für eine dauerhaft haltbare Mineralfarbe. Mit der Entdeckung der verkieselungsfördernden Zusätze, die eine industrielle und technisch einwandfreie Produktion des Bindemittels ermöglichte, gelang dem gelernten Töpfer der entscheidende Schritt zu einem beständigen Farbsystem.  Auf das daraus entwickelte Verfahren zur Anfertigung witterungsbeständiger Wandgemälde erhielt A. W. Keim im Jahr 1878 das Patent. Bereits im Jahre 1884 stellte die Firma Henkel in Düsseldorf das Bindemittel Kaliwasserglas für Silikat-Anstrichstoffe her und 1889 übernahm die Steingewerkschaft Offenstetten die fabrikmäßige Herstellung der Keim´schen Mineralfarben.

Bestandteile

Die Keim-A-Technik wird für kunstvolle Malereien von hoher Lebensdauer eingesetzt und besteht aus zwei rein silikatischen Komponenten:

1. Mineralische Pigmente: Mineralpigmente, die mit feinsten Verkieselungshilfsstoffen, wie beispielsweise Ton oder Aluminiumsilikat angereichert sind und in destilliertem Wasser vor dem Malprozess angeteigt werden.

2. Fixiermittel (Fixativ): Kaliumsilikat ist ein rein silikatisches Bindemittel aus Quarzsand und Kaliumcarbonat, zum nachträglichen Fixieren fertiggestellter Malereien.

Untergrundvorbereitung

Idealerweise wird die Keim-A-Technik auf einem Putz der Mörtelgruppe P II ausgeführt, das heißt mit Anteilen aus Kalk und Zement, im klassischen 3-Lagenputz, um eine ausreichende Oberflächenfestigkeit und Putzdicke zu gewährleisten.

Silikatische Bindemittel trocknen sehr spannungsreich auf und sind durchaus in der Lage zu dünne oder zu weiche Putzschichten vom Untergrund zu sprengen. Nach ausreichender Standzeit wird der Putz mit einer silikatischen Ätzflüssigkeit (1:3 mit Wasser verdünnt)von unten nach oben satt eingestrichen, um die Sinterschicht aufzubrechen und damit eine Verkieselung zu ermöglichen. Anschließend wird mit reichlich Wasser nachgewaschen.

Verarbeitung

Die nachgemischten Farbtöne werden zur Überprüfung auf Putzplatten aufgetragen und kurz angefönt, da die Keim-A-Farben nach dem Trocknen etwas heller auftrocknen
Foto: Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk

Die nachgemischten Farbtöne werden zur Überprüfung auf Putzplatten aufgetragen und kurz angefönt, da die Keim-A-Farben nach dem Trocknen etwas heller auftrocknen
Foto: Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk
Der Untergrund wird nun vor dem Malen mit destilliertem Wasser angefeuchtet, damit nass in nass gemalt werden kann. Das verhindert, dass sich bei der Malerei Flecken oder Unregelmäßigkeiten bilden. Da die Künstlerfarben nur mit destilliertem Wasser verdünnt werden, können immer wieder bis zum abschließenden Fixieren Ausbesserungen vorgenommen werden. Allerdings verhindert dies auch ein mehrlagiges Malen in dünnen Schichten übereinander. Sollte dies gewünscht sein, müsste zwangsläufig eine Zwischenfixierung erfolgen. Die angeteigten Pigmente sollten aber auch nicht zu pastös aufgemalt werden. Dies ist für die spätere Fixierung hinderlich.

Die fertige Malerei wird nach ausreichender Trocknung mit Fixativ, das im Verhältnis 1:3 mit destilliertem Wasser verdünnt wird, fixiert. Um die Malerei nicht zu verwischen, sollte das Fixativ mit einem Blasröhrchen oder mit einem Sprühgerät aufgesprüht werden. Es folgen weitere Fixiervorgänge nach jeweils 12-stündiger Trocknung. Die Fixierung ist abgeschlossen, wenn sich mit einem weißen Tuch keine Farbe mehr abreiben lässt. Bei jedem Fixiervorgang muss man darauf achten, dass nicht zuviel Fixativ pro Sprühgang aufgebracht wird, da die Oberfläche unter Umständen trüb glasig werden könnte.

Rekonstruktion der Brunnenhofmalerei

Mit Hilfe der Lochpause wird das Motiv auf den vorgenäßten Untergrund aufgepaust
Foto: Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk

Mit Hilfe der Lochpause wird das Motiv auf den vorgenäßten Untergrund aufgepaust
Foto: Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk
Zur Rekonstruktion der Brunnenhofmalerei fand im September 2022 ein Ortstermin in der Münchner Residenz statt. Ziel des Ortstermins war es, sowohl aussagekräftiges Bildmaterial mit Übersichts- und Detailfotos aufzunehmen, wie auch anhand von Farbkarten und Messgeräten Größen und Farbwerte der Originalmalerei festzustellen. Im Unterricht an der Münchener Meisterschule für das Vergolderhandwerk konnten nun anhand der mitgebrachten Fotos und Messdaten 1:1-Zeichnungen und Lochpausen angefertigt werden. Eine Malprobe brachte zudem wichtige Erkenntnisse über notwendiges Pinselmaterial und Linierwerkzeug, wie zum Beispiel Malstock oder Malerlineal.

Am 28. September 2022 startete dann die Meisterklasse, ausgerüstet mit passgenauen Lochpausen, Farbmustern und Werkzeugen, ihre Exkursion zur Firma Keimfarben nach Diedorf. Nach einem informativen Vortrag über Silikatfarben in der Denkmalpflege in den Werkstätten von Keimfarben, mischten die angehenden Meisterinnen und Meister mit den Keim-A-Technik-Farbpigmenten die durch Farbtonkarten nachgewiesenen Farbtöne nach. Unterstützt wurden sie vom Praxisteam Kristina Lengerth und Carolin Meyr.

Das Team aus vier Schülern setzt die vier gemalten Teile der Rekonstruktion zusammen
Foto: Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk

Das Team aus vier Schülern setzt die vier gemalten Teile der Rekonstruktion zusammen
Foto: Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk
Auf vorbereiteten und vorgenässten Putzplatten, die die Struktur des Fassadenputzes des Brunnenhofs in Korngröße und Verarbeitung perfekt wiedergaben, wurden mit Hilfe der mitgebrachten Lochpausen die Motive aufgepaust. Im ersten Schritt wurden die Rücklagen der Malerei angelegt. Anschließend konnten die Schatten und Lichter in granierender Malweise auf dem rauen und stark strukturierten Putz aufgesetzt werden, so wie es die Maler der Firma Kunze im Jahr 1959 ausgeführt hatten.

Fazit

Obwohl die Bemalung des Brunnenhofs tatsächlich nur aus drei Farbtönen besteht, erweckt die Malerei eine hohe Plastizität und Lebendigkeit. Zurückzuführen ist das auf die Kombination aus der gleichmäßig belebten Putzstruktur und die von den Malern souverän und routiniert umgesetzten Maltechnik, die sich unter anderem an dem locker granierend gesetzten Pinselauftrag zeigt.

Erstaunlich für alle Schülerinnen und Schüler war bereits beim ersten Ortstermin, in welch hoher Qualität und guter Ablesbarkeit die originale Malerei nach über 60 Jahren Standzeit im Zentrum Münchens trotz hoher Umweltbelastungen besteht. Ein Qualitätsmerkmal, das sicherlich im Vergleich mit modernen Fassadenfarbsystemen seines Gleichen sucht.

Detailansicht aus der Brunnenhofbemalung in Keim-A-Technik aus dem Jahr 1959
Foto: Bayerische Schlösserverwaltung, München

Detailansicht aus der Brunnenhofbemalung in Keim-A-Technik aus dem Jahr 1959
Foto: Bayerische Schlösserverwaltung, München
Da die angehenden Meisterinnen und Meister in Vierergruppen zusammenarbeiten sollten, ergab sich  bei dem Einsatz einer noch weitgehend unbekannten, aber dennoch leicht verarbeitbaren Technik, die Schwierigkeit das Gesamtergebnis auf den im Brunnenhof ablesbaren Malduktus und ebenso in Maltechnik und Malweise auf die Gruppe abzustimmen. Eine Anforderung, die besonders in der Denkmalpflege im Bereich von Rekonstruktionen unverzichtbar ist.

Autoren

Margareta Hauser ist Fachlehrkraft an der Städtischen Meisterschule für das Vergolderhandwerk München. Stephan Wolf ist Restaurator bei der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und Fachlehrkraft an der Städtischen Meisterschule für das Vergolderhandwerk München.

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