„Rethermo“ – Kunststoff-Fenster erhalten
Kunststoff-Fenster sollten wir als eigenständiges, zeittypisches Bauteil verstehen, das seit den 1980er Jahren den Fenstermarkt in Deutschland und Europa dominiert und damit auch den Zeitgeist widerspiegelt. Wir zeigen, wie man mit solchen Fenstern baupraktisch umgeht.
Bis weit ins 19. Jahrhundert wurden Fenster ausschließlich aus Holz gefertigt. Im Zuge der Industrialisierung kamen dann vor allem in Fabriken zunehmend auch Metallfenster zum Einsatz. Die ersten Kunststoff-Fenster tauchten um 1960 auf. Bereits 20 Jahre später übernahm der Kunststoff die Marktführung im Fensterbau und ist heute auf dem Weg zur Marktbeherrschung. Alle Fenster aus der Zeit vor 1995, das sind knapp 300 Mio. allein im Wohnungsbau, entsprechen rein rechnerisch nicht der aktuellen Energieeinsparverordnung. Daraus resultiert ein enormer Handlungsbedarf.
Das erste Kunststoff-Fenster
Das Kunststoff-Fenster ist letztlich „ein Kind“ des Wiederaufbaus und des enormen Bedarfs an Wohnungen nach 1945. Ab 1954 sollten zwei Aspekte den Fensterbau revolutionieren: Es waren zum einen die Mehrscheibenisolierverglasung (MIG), zum anderen der thermoplastische Kunststoff, das PVC für die Profile der Fensterrahmen. Mit der Entwicklung der ersten Kunststoff-Fenster sind zwei Namen aufs engste verbunden: Dipl. Ing. Heinz Pasche und Dynamit Nobel. Pasche war Metallbauer in Hamburg, die Firma Dynamit Nobel AG erforschte und produzierte seit Beginn des 20. Jahrhunderts Kunststoffe. Heinz Pasche baute Metallfenster aus vorgefertigten Stahlprofilen der Klöckner Werke AG. Unzufrieden war er mit den fehlenden Möglichkeiten, diese Metallfenster durch eine qualitativ hochwertige, wetterfeste und unempfindliche Oberfläche zu beschichten und dauerhaft zu schützen. Vor allem in küstennahen Regionen war der Schutz einer Metalloberfläche unabdingbar. Pasches 1953 beginnende Zusammenarbeit mit der Kunststoffsparte der in Troisdorf bei Bonn ansässigen Dynamit Nobel AG brachte die Lösung und war die Geburtsstunde des Kunststoff-Fensters.
Das weiterentwickelte Kunststoff-Fenster
Foto: Holzmanufaktur Rottweil
Man wollte jedoch weg von dem Weich-PVC und dem ummantelten Stahlprofil und hin zu selbsttragenden Kunststoffprofilen. 1967 entstand daher mit der „Trocal Serie 100“ das erste Fensterprofil mit Mehrkammer-System aus Hart-PVC. Damit begann die Herstellung der ersten „Nur-Kunststoff- Fensterprofile“. Die Biegesteifigkeit des Hart-PVC reichte aus, um daraus selbsttragende Fensterrahmen herkömmlicher Abmessungen zu fertigen. Andere Hersteller folgten, und die Varianten mit unterschiedlichen Mehrkammerprofilen nahmen zu. Nächste Entwicklungsschritte waren 1975 das erste coextrudierte Fensterprofil mit einer farbigen Außenschicht und 1985 ein glasfaserverstärktes PVC-Profil für übergroße Fenster („Trocal 900 GF“), das ohne Stahlverstärkung auskam und stattdessen mit glasfaserverstärkten PVC-Einschüben ausgestattet werden konnte. Geforscht wurde anschließend an einem Hartschaumkern mit einer formstabilen und wetterfesten Polyurethan-Vollmaterial-Ummantelung. Daraus resultieren ein geringes Gewicht und niedrige Dämmwerte.
Energetische Verbesserung des Kunststoff-Fensters
Das Kunststoff-Fenster war zunächst wenig energieeffizient. Seine Einkammer-Hohlprofile erreichten für den Rahmen einen U-Wert von 2 bis 2,4 W/m²K. Erst als in den 1970er Jahren mit der Ölkrise auch die Energieeffizienz von Fenstern verbessert werden musste, entstanden Profile mit 3, dann 5 und inzwischen 7 Isolierkammern mit zusätzlichen Vorkammern zur Ableitung von anfallendem Wasser nach außen. Durch die Vielzahl an Luftkammern hat sich die Isolierleistung der Rahmenprofile auf U Werte von 1,5 bis 1,9 W/m²K verbessert.
Varianten der Kunststoff-Fenster
Kunststoff-Alu-Fenster: Analog zum Holz-Alufenster soll die hochwertige außenseitige Aluschale eine lange und pflegereduzierte Nutzungsdauer und Formstabilität gewährleisten sowie eine breite Palette an Farbgestaltung bieten. Es ist nicht bekannt, ob es wegen der unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten der Materialien zu Verformungen oder anderen Einschränkungen kommen kann.
Kunststoff-Verbundfenster: Wie die seit dem späten 19. Jahrhundert bekannten Holz-Verbundfenster bestehen diese Kunststoff-Fenster aus zwei Flügeln und mehreren Glasebenen. Vor Wind und Wetter geschützt, können zum Sonnen- und Sichtschutz Jalousetten im Scheibenzwischenraum eingebaut werden. Die Verbundflügel lassen sich zur Reinigung sowie zur Wartung der Jalousetten öffnen. Minimierte Profilbreiten erhöhen den Lichteinfall.
Holz-Kunststoff-Fenster: Ein weiteres in Materialmix hergestelltes Fenster ist das Holz-Kunststoff-Fenster. Raumseitig werden auf die Kunststoff-Profile Vollholzleisten oder -profile aufgesetzt. Dadurch sollen dem Nutzer die angenehmen haptischen Materialeigenschaften eines Holzfensters geboten werden. Außenseitig soll der Kunststoff eine lange Lebensdauer gewährleisten und die Wartungs- und Pflegekosten reduzieren.
Bauzeitliche Kunststoff-Fenster im geschützten Bestand
Die seit den 1960er Jahren verstärkt auf den Markt drängenden Kunststoff-Fenster verloren bald ihre optischen Qualitäten wie Glanz und Glätte und müssen wie Kunststoffe im Allgemeinen regelmäßig gereinigt werden. Um eine lange Haltbarkeit zu gewährleisten, müssen sie vor UV-Strahlung und Sauerstoff, der chemischen Luftverschmutzung, Bakterien, dem Tageslicht und schwankenden Temperaturen geschützt sein. Zu hohe Temperaturen wirken destruktiv, zu niedrige Temperaturen verursachen Risse, zu viel feuchte Luft und schwankende Temperaturen beschleunigen die Degradation.
Bei der Anamnese von Kunststofffenster muss man zunächst den Zustand des Materials beurteilen. Die enthaltenen Weichmacher lassen den Kunststoff spröde oder brüchig werden. Dazu braucht es eine spezielle Kunststoffrestaurierung oder einen Austausch des Kunststoffs. Ein Prüfen der Beschläge und Dichtungen kann ein Nachjustieren oder ein Austausch der Dichtungen zur Folge haben um die Dichtheit des Fensters wieder zu gewährleisten.
Das bei Kunststoff-Fenstern meist verbaute Isolierglas kann wiederverwendet und zum Produkt „Rethermo“ weiterverbaut werden
Foto: Holzmanufaktur Rottweil
In Bezug auf die Gläser der Kunststoff-Fenster ist ein Glastausch empfehlenswert. Dabei kann das meist verbaute Isolierglas wiederverwendet und zum Produkt „Rethermo“ weiterverbaut werden. So können auch „blindgewordene“ Gläser getrennt und neu zusammengesetzt werden. Dieses Verfahren nutzt schon die verbauten Energien, auch „graue Energie“ genannt, und ermöglicht einen minimalen zusätzlichen Materialeinsatz im Vergleich zu komplett neuen Gläsern.
Bei einer großen Anzahl von Kunststoff-Fenstern steht in den nächsten Jahren der Fenstertausch an, doch unter den aktuellen Klimadiskussionen ist hier der bevorstehende Müllberg zu betrachten. Das Recycling der Kunststoff-Fenster wird noch zu wenig umgesetzt.
Zusammen mit dem Fraunhofer Institut plant die Holzmanufaktur die Evaluierung der unterschiedlicher Produktvarianten von „Rethermo“. Mit zunehmenden Energiekosten wird der Baustoff Glas wieder zu einer Kostbarkeit wie im Mittelalter.
Fazit
Bauelemente aus Kunststoffen gehören zweifellos bei zahllosen Bauwerken der letzten Jahrzehnte zum authentischen, bauzeitlichen Bestand. Da auch diese Architekturgeneration Bemerkens- und Schützenswertes hervorgebracht hat, wird sich die Denkmalpflege schon recht bald mit Fenstern, Platten, Dämm- und Dichtstoffen oder gar komplexen Fassadenkonstruktionen aus Kunststoffen beschäftigen müssen, um weitere Konzepte für deren Konservierung und Restaurierung zu erproben.
Autor
Hermann Klos ist Schreinermeister, Restaurator im Tischlerhandwerk und Geschäftsführer der Holzmanufaktur Rottweil.