Geistige ErbauungUmnutzung einer Kirche in Maastricht zur Buchhandlung
Die Architekten des Amsterdamer Büros Merkx + Girod stellten ein überdimensionales begehbares Bücherregal in eine ehemalige Dominikanerkirche in Maastricht und erweiterten auf diese Weise die zur Verfügung stehende Grundfläche um fast das Doppelte. Trotz dieses massiven Eingriffs gewinnt der einstige Sakralbau dabei viel von seinem ursprünglichen Charakter zurück, den die Nutzungen der letzten 200 Jahre gänzlich ignoriert hatten.
Allenthalben hört und liest man von umgenutzten Kirchen – Kirchen, die nun Restaurants sind, Sporthallen, Museen oder Hotels und solchen, die nach einem Umbau von anderen Glaubensgemeinschaften genutzt werden. Doch dieses Phänomen ist nicht neu, auch wenn es gerade in den letzten Jahren in vielen Gemeinden aufgrund der sinkenden Anzahl von Mitgliedern zur Schließung und letztlich zum Verkauf einzelner Kirchen kommt. Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurden – freilich aus ganz anderen Gründen – zahlreiche Kirchen und Klöster aufgelöst und gingen im Zuge der Säkularisation in Staatseigentum über. So erging es nicht nur der Klosterkirche des Kruisherenordens im niederländischen Maastricht, die heute ein nobles Hotel beherbergt (siehe BAUHANDWERK 6/2006, S. 12 bis 16), sondern auch der ebenfalls in der Maastrichter Altstadt gelegenen Dominikanerkirche: 1294 fertiggestellt, diente sie bis zu Ihrer Enteignung durch französische Truppen im Jahr 1796 als Klosterkirche des Dominikanerordens. Nach der Entweihung brachte die Kavallerie wie anderen Orts auch ihre Pferde in dem geräumigen Kirchenschiff unter. Doch auch nachdem die Franzosen 1814 Maastricht wieder verließen, kehrten die Dominikanermönche nicht zurück, und die Kirche blieb bis etwa 1910 ungenutzt. Obwohl sie als eines der frühen Beispiele der Maasgotik gilt und zudem das älteste Wandgemälde der Niederlande ihr eigen nennt, konnte auch in der Folgezeit von einer sakralen Nutzung nicht die Rede sein: Die Kirche beherbergte über lange Jahre das Maastrichter Stadtarchiv, diente als Messehalle für Blumen- und Autoausstellungen, als Boxkampfarena und schließlich als geräumiges Fahrradparkhaus.
Geplante Umnutzung
Im Jahr 2004 entwickelte die Maastrichter Stadtverwaltung gemeinsam mit der niederländischen Buchhandelsgruppe BGN das erste Konzept für eine neue „angemessenere“ Nutzung der alten Kirche als Buchhandlung. Im folgenden Jahr beauftragte BGN das Amsterdamer Büro Merkx + Girod Architecten mit der Planung der Innenarchitektur. Die Restaurierungsarbeiten koordinierte das Büro SatijnPLUS Architecten, die in der Kirche des Kruisherenordens bereits Erfahrung gesammelt hatten. Für die Architekten um Evelyne Merkx und Patrice Girod war es die dritte Zusammenarbeit mit der BGN nach einer im Jahr 2005 in einem Altbau im historischen Stadtzentrum von Den Haag eröffneten Selexyz-Buchhandlung, wie die BGN ihre Buchhandelskette nennt, und einer weiteren in einem modernen Einkaufszentrum in Almere.
Auf Wunsch der BGN sollte auch in Maastricht das für die beiden anderen Läden von Merkx + Girod entworfene minimalistische Möbelsystem aus Holzwerkstoffplatten zum Einsatz kommen. Ein weiterer Wunsch der Bauherrin war, eine Verkaufsfläche von 1200 m2 in der nur 750 m2 großen Kirche unterzubringen. Sie schlug daher vor, eine zweite Ebene einzuziehen, um so die Grundfläche zu verdoppeln. Doch dies behagte weder der Denkmalschutzbehörde noch den Architekten, die den eindrucksvollen Kirchenraum in voller Höhe mit Blick auf die Gemälde des Deckengewölbes erhalten wollten.
Begehbares Bücherregal
Die Lösung brachte schließlich ein 8 m hohes und 30 m langes „Bücherregal“, das die Architekten in der rechten Kirchenhälfte platzierten. Zwei einläufige Treppen und ein Aufzug bringen die Kunden bis hinauf ins zweite Obergeschoss des stählernen Konstrukts, das nicht nur jeweils drei Regalreihen pro Geschoss und zwei Arbeitsplätze aufnimmt, sondern den Besuchern auch völlig neue Perspektiven im Kirchenschiff eröffnet. Vollständig reversibel bauten die Handwerker das überdimensionale Regal um die rechte Säulenreihe herum, die Mittel- und Seitenschiff voneinander trennt, so dass weder die Säulen noch die Wand mit dem Regal in Berührung kommen und dadurch Schaden nehmen könnten.
Neben den rund 30 000 Büchern, die Selexyz in der Kirche anbieten, nimmt das begehbare Regal aber auch zahlreiche Leuchten und Strahler auf, die den Kirchenraum und insbesondere die restaurierten Deckengemälde ins rechte Licht rücken.
Zurückhaltende Möblierung
Während das dreigeschossige Bücherregal die rechte Kirchenhälfte besetzt, ließen die Architekten die Mitte und das linke Seitenschiff frei von größeren Einbauten und erleichtern so den Kunden die Orientierung. Niedrige Möbel aus Holzwerkstoffplatten in verschiedenen Farben und Oberflächen dienen der Präsentation von Bestsellern, Neuheiten und Sonderangeboten, verstellen jedoch nicht den Blick durch das Kirchenschiff oder auf das 1337 entstandene Wandgemälde. Wandregale fügen sich unterhalb der großen Kirchenfenster zurückhaltend zwischen die Pfeiler.
Den Chor verwandelten Merkx + Girod in ein Café. Um zwei Stufen erhöht dient der halbrunde Raum auch als Bühne für Lesungen. Die ebenfalls aus Holzwerkstoffplatten gefertigten Sitzmöbel folgen der Rundung des Chors, dessen Mitte ein kreuzförmiger Lesetisch einnimmt – eine Reminiszenz an die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes. Den Lesetisch fertigte der Schreiner aus blau lackiertem Holz mit Details aus Edelstahl. Aufgrund seiner Größe ist die Kreuzform am besten vom erhöhten Standpunkt des Bücherregals zu erkennen. Ein schlichter runder Leuchter mit 4 m Durchmesser krönt den Lesetisch.
Die Nebenräume, wie zum Beispiel die Toiletten, brachten die Architekten im Kellergeschoss unter, in das man über eine Treppe unter dem großen Bücherregal gelangt.
Fazit
Mit der gelungenen Umnutzung der schon lange nicht mehr für religiöse Zwecke genutzten ehemaligen Dominikanerkirche zu einer Buchhandlung gewannen Evelyne Merkx und Patrice Girod 2007 den Innenarchitekturpreis der Niederlande. Das dreigeschossige Bücherregal aus schwarzem Stahl wirkt zwar äußerst dominant, ermöglicht jedoch dank seiner dezentralen Anordnung einen unverstellten Blick über die volle Länge der Kirche bis in den Chor und hinauf zu den Deckenfresken. Auf diese Weise haben die Architekten geschickt die Forderungen der BGN als Bauherrin erfüllt und gleichzeitig den großartigen Raumeindruck der über 700 Jahre alten Kirche erhalten.