Kirche wird Kita
Umnutzung einer Kirche in Münster zur Kita
Das beständige Schrumpfen der Kirchengemeinden führt zwangsläufig auch zu obsoleten Sakralbauten. Kreative Lösungen sind gefragt, diese Gebäude – überwiegend Solitärbauten – in würdiger Weise neu zu nutzen. In Münster wurde nun eines zu einer Kindertagesstätte umgebaut.
Die Kirche St. Sebastian hatte man im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet und 1962 eingeweiht. Ihr Architekt Heinz Esser hatte sie als Ovalkirche entworfen, was damals als überaus modern galt.
Der allgemeine Rückgang an Gemeindemitgliedern nimmt auch das katholische Münster nicht aus und machte die Filialkirche, also eine Nebenkirche einer weiterhin bestehenden Gemeinde, überflüssig. 2008 wurde sie formell entweiht und ein Investorenwettbewerb für eine Kindertagesstätte auf diesem Grundstück ausgeschrieben. Dabei war es den eingeladenen Teilnehmern völlig freigestellt, den Kirchenbau zu halten oder diesen abzureißen. Bei den vorgelegten Entwürfen schlugen nur das Büro Bolles + Wilson und ein weiterer Teilnehmer vor, den bestehenden Sakralbau zu erhalten. Alle anderen sahen einen kompletten Neubau vor. Der Architekt Peter Wilson gewann das Vergabeverfahren vor allem mit dem Argument, dass der nicht denkmalgeschützte Bau das emotionale Zentrum des Viertels bilde und damit ein wichtiges Identifikationselement sei. Unterstützung fand er auch bei seinem Investor, der Wohn+Stadtbau GmbH, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft von Münster, der die Wahrung des Stadtbildes ein besonderes Anliegen ist.
Die Wandlung
Grundsätzlich galt es für die Architekten eine Kindertagesstätte für fünf Gruppen zu schaffen. Auf dem Grundstück befanden sich nicht nur die Kirche und eine daran angeschlossene Sakristei, sondern auch ein eingeschossiges Pfarrzentrum entlang der angrenzenden Hammer Straße, in dem sich bereits ein Kindergarten befand. Die Handwerker rissen sowohl die Sakristei als auch das Pfarrheim ab. Den früheren Sakristeidurchgang schlossen sie mit einer großformatigen, weit auskragenden Fensterfigur, die sie kontrastreich mit Zinkblech verkleideten, womit die Architekten dieses Detail als neue Zutat kenntlich machen. Diese Öffnung, sowie ein unweit davon vorhandenes dreieckiges, vormaliges Kirchenfenster und zwei neue Öffnungen, welche die Architekten in das Mauerwerk brechen ließen, bilden nunmehr die Tageslichtöffnungen der Gruppenräume.
Tiefergelegt
Obwohl von außen nicht ersichtlich, stand der frühere Kirchenbau erhöht auf einem Sockel. Hinein gelangte man über eine flache Rampe. Der nicht unterkellerte Innenraum lag etwa 1 m oberhalb des Geländes. Zum einen sollte die Kindertagesstätte nun bündig mit dem Erdboden angelegt sein, zum anderen erforderte das gewählte Haus-im-Haus-Konzept einen tragfähigen Untergrund, wofür der des Bestandes nicht ausgelegt war. Die Ausschachtungsarbeiten erfolgten durch die Karl-Heinz Bode GmbH innerhalb des vorhandenen aufgehenden Sockelovals und führten hinab bis zum umlaufenden Streifenfundament. Die Ochtruper Rohbauer legten hier eine 30 cm starke Betonplatte aus wasserundurchlässigem Beton (C30/37) an, die sie mit einer aufgelegten Bitumenschweißbahn abdichteten, bevor die Maurer darauf die neuen Einbauten errichteten. Ablesbar sind die Ausschachtungsarbeiten an dem alten ehemals dreieckigen und früher einmal fußbodenbündigen Kirchenfenster. Bei der Niveauabsenkung hätte man, unter Weiterführung der seitlichen Fensterleibungsneigung, schräg nach unten die Fundamente abschneiden müssen. Deshalb knickt nunmehr die Öffnung im Sockelbereich vertikal ab und das große, dreiteilige Kita-Erdgeschossfenster bildet so kein Trapez, sondern ein Sechseck.
Haus im Haus
Die Kita bauten die Handwerker als vollkommen freistehendes und selbsttragendes Haus-im-Haus in das Kirchenoval ein. Entsprechend hat die sichtbare alte Außenschale weder eine statische noch eine wärmedämmende Funktion. Eine 14 cm dicke Dämmung aus Mineralwollplatten trennt den Bestand und die Wände der Kindertagesstätte, die massiv in Kalksandstein errichtet wurden. Um möglichst effektiv die vorgegebene Mauerkrümmung zu adaptieren, wählten die Architekten Vollsteine des Formates 3 DF (175/240/
113 mm). Die Maurer stellten zunächst die erste Lage der Dämmplatten an die bestehende Wand und mauerten daran ohne eine zusätzliche Luftschicht die neue Kalksandsteinmauer auf. Wenn sie die Dämmplattenoberkante erreichten, stellten sie einfach die nächste Schicht lose darauf.
Auch die Innenwände der Tagesstätte sind traditionell gemauert, denn der zwischen den einzelnen Spielgruppen vorgeschriebene Schallschutz erforderte dies. Innerhalb des Altbaus ist der Kinderhort zweigeschossig. Sein Erdgeschoss nimmt vollständig die alte ovale Grundfläche ein. Hier sind drei Gruppen untergebracht, im Obergeschoss wurden Räume für zwei Gruppen angelegt. Die sich so ergebende Restfläche sowie das Flachdach über diesen beiden Gruppenräumen sind eine große Spiel- und Tobefläche für die Kinder. Dabei wurden beide Decken, sowohl die des ersten Obergeschosses als auch die neue Flachdachspielfläche, massiv in Ortbeton betoniert.
„Frei bewitterter“ Raum
Markant für die ehemalige Kirche waren die zahllosen kleinen quadratischen Fensteröffnungen, die ihren Innenraum belichteten. Aus diesen entfernten die Architekten das Glas, sicherten die Öffnungen lediglich mit Vogelschutzgittern und schufen so einen „frei bewitterten“ Raum. Hintergrund hierfür war, dass eine Tagesstätte dieser Größe eine gesetzlich geregelte Außenfläche besitzen muss. Bei Erhalt des Kirchenbaus besaß das Baugrundstück die erforderliche Freifläche nicht. Tatsächlich ist diesem ungemein hohen und überaus hellen „Außen-Raum“ mit seiner alten, jedoch über einen halben Meter dicken Bestandswand eine ungeahnte thermische Qualität zueigen. Während im Winter selbst bei tiefen Temperaturen die Spielfläche bei weitem nicht so kalt wird, heizt sie sich im Sommer nur langsam auf und kühlt sich nachts überdies durch den beständigen Luftzug auch gut wieder ab.
Augenfällig ist der grüne Fallschutzboden, ein 4 cm dicker Belag, wie man ihn von Spielplätzen kennt. Prägnant sind an ihm die Umrisse zweier Füße auf der unteren Spielfläche sowie die zweier Hände auf dem oberen Plateau. Peter Wilson schuf sie als ein formales Spiel mit den Maßstäben und als potenzielle kindliche Inspirationsquelle. Er räumt jedoch mehr amüsiert als desillusioniert ein, dass die Kinder die Bodengrafiken als solche nicht erkennen und auch spielerisch nicht nutzen.
Durch die umlaufend perforierten Außenwände kann natürlich nicht nur frische Luft, sondern auch Niederschlag eindringen. Entsprechend besitzt die geschützte Spielfläche eine interne Drainage. Deren Kapazität entspricht zwar nicht einer regulären Außenentwässerung, reicht jedoch allemal für Schlagregenereignisse und winterliche Flugschneeeinträge aus.
Innenwandflächen
Um die Innenwandflächen des ovalen Zylinders zu gestalten, aber auch um die Akustik gerade von lärmenden Kindern in den Griff zu bekommen, brachten die Architekten graue Akustikplatten daran an. Die so farblich abgesetzten Wandflächen formen stilisierte Tierfiguren.
Schon bei der Erbauung der Kirche hatte man akustische Maßnahmen gegen den hallenden Effekt ergriffen und den Altarbereich mit einem Spritzputz versehen, den man seinerzeit in dieser Hinsicht für besonders effektiv hielt: Asbest. Seine unerwartete Entdeckung im Zuge der Sanierung und die korrekte Beseitigung bescherten den Architekten und Investoren einige Aufregung und Mehrkosten.
Dach war statisch eine Schale
Um die neuen Spielflächen ausreichend zu belichten, reichten die bestehenden kleinformatigen Fensteröffnungen nicht aus, weshalb die Architekten im vorhandenen Kirchendach zwei große Oberlichtbänder vorsahen. Ein statisches Gutachten stellte jedoch fest, dass die flächigen Holzverschalungen der Ober- und Unterseite der sphärisch gekrümmten Dachfläche ebenfalls statisch wirksam sind. Diese Flächen konnten daher nicht angeschnitten werden, ohne die Tragfähigkeit der in seinen Querschnitten stark reduzierten Dachkonstruktion entscheidend zu schwächen. So war das alte Dach nicht zu halten. Zimmerleute der Heinrich Haveloh GmbH aus Münster ersetzten die vormaligen Fachwerkträger durch 20 cm dicke Leimholzbinder, die auf den alten Auflagerpunkten sitzen. Dies war erforderlich, da der bestehende Rohbau eine reine Betonstützenkonstruktion ist, auf deren Kopfpunkten jeweils die Dachauflager sitzen. Die Räume zwischen den Vertikalelementen hatte man seinerzeit mit Kalksandstein ausgefacht und davor eine Ziegelvormauerschale gestellt.
Die neuen Querträger formten die Holzbauer asymmetrisch. Während ihre Unterkante geradlinig angelegt ist, haben sie eine äußere Höhe von 75 cm und einen mittleren Stich von 130 cm. Zwischen den Leimholzelementen spannen sich Koppelpfetten, die mit OSB-Platten beplankt wurden. Diese versiegelten die Zimmerleute mit einer Dampfsperre. Um thermische Spannungen oder gar Verformungen an den tragenden Bauteilen des Daches zu minimieren, brachten die Handwerker dort eine 4 cm dicke Wärmedämmung auf, um schließlich obenauf eine hellgraue Folienabdichtung als wasserführende Dachhaut zu verlegen.
Die neuen Oberlichter fertigte die Dülmeneer A. Barenbrock GmbH. Diese sitzen oberhalb der Dachschalung auf erhabenen Metallrahmen, die seitlich lamellenartige Öffnungen in horizontaler Ausrichtung besitzen. Sie gewährleisten in Ergänzung zu den Fensteröffnungen die erwähnte „natürliche Bewitterung“ des ehemaligen Kirchenraums. Transparente Kunststoffdoppelstegplatten, die man tonnenförmig einwölbte, bilden ihren horizontalen Abschluss.
Brandschutz
Tatsächlich reichen die zahlreichen, nunmehr permanent offenen Fensterquadrate und die seitlichen
Lichtkuppelluftschlitze auch der Feuerwehr aus, um ebenso wie das Schulamt das ehemalige Kirchenraumvolumen als Außenraum einzustufen.
Entsprechend stellten die Brandschützer an das geöffnete Volumen keine weiteren Anforderungen. So besitzt es keine Sprinkler- und auch keine weitere Rauchabzugsanlage. Entsprechende mechanische Lüfter, zusätzliche RWA-Klappen und selbst Brandmelder sucht man vergeblich. Es finden sich lediglich in zwei ehemaligen Fenstern kleinere Ventilatoren, die bei großer Hitze im Sommer zugeschaltet werden können.
Autor
Dipl.-Ing. Robert Mehl studierte Architektur an der RWTH Aachen. Er ist als Architekturfotograf und Fachjournalist tätig und schreibt als freier Autor unter anderem für die Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.