Vorreiterrolle

Liebe Leserinnen,

liebe Leser,

Die finanzielle Situation, in der sich viele Kirchengemeinden heute befinden, ist mittlerweile bekannt: Sinkende Mitgliederzahlen und Fusionen lassen überzählige Kirchen zurück. Was aber tun mit den zum Teil denkmalgeschützten Gebäuden? Die Suche nach einer passenden Nutzung ist heikel. Soll man in einer ehemaligen Kirche Tanzen, Essen und Trinken oder es sich anderweitig gut gehen lassen? Fragt man Dr. Richard Borgmann vom westfälischen Amt für Denkmalpflege nach dem Resultat der 2006 in Bielefeld zum Restaurant „GlückundSeligkeit“ umgebauten Martinikirche, äußert er sich positiv: Die Umnutzung stelle den ursprünglichen Charakter des Kirchenraums wieder her und die Einbauten seien zudem reversibel. Dabei steht die Martinikirche nicht einmal unter Denkmalschutz. Der für den Umbau zuständige Architekt und die Handwerker haben ihre Sache demnach gut gemacht. Neben der neuen Nutzung einer Kirche muss man sich also auch fragen, wie sich diese baulich mit dem Gebäude verträgt. Und dies ist Aufgabe der Architekten und Handwerker.

Eine für eine Kirche zuträgliche Nutzung ist die Aufbewahrung von Büchern. Wie ab Seite 8 in dieser Ausgabe der BAUHANDWERK beschrieben, wurde aus der Ende des 13. Jahrhunderts fertig gestellten Klosterkirche des Dominikanerordens in Maastricht eine Buchhandlung – nachdem man das Gebäude in den Jahrhunderten zuvor bereits als Pferdestall, Messehalle für Blumen- und Autoausstellungen und sogar als Boxkampfarena genutzt hatte. Auch in der ab dem 13. Jahrhundert in Mühlhausen erbauten Jakobikirche befinden sich heute Bücher. Wie ab Seite 26 in diesem Heft in allen Einzelheiten beschrieben, bauten die Handwerker in das Kirchenschiff ebenso wie in Maastricht ein riesiges begehbares Bücherregal ein, das bei einer erneuten Veränderung der Nutzung – vielleicht sogar für sakrale Zwecke – wieder ausgebaut werden kann, ohne die Substanz zu verletzen. Zumindest in der Kontinuität einer sakralen Nutzung bleibt die Ende September im Gebäude der ehemaligen Paul-Gerhard-Kirche eingeweihte Synagoge Beit Tikwa. Bei der ab Seite 36 in dieser Ausgabe der BAUHANDWERK im Detail beschriebenen, zweiten umgenutzten Kirche im Stadtraum Bielefeld handelt es sich um das erste evangelische Gotteshaus in Deutschland, das von den Architekten und Handwerkern in eine Synagoge verwandelt wurde. Damit nimmt die ehemalige Paul-Gerhard-Kirche in der Tradition der großen sakralen Umnutzungen, beispielsweise der Mez-quita in Córdoba oder der Hagia Sophia in Istanbul, bei der aus der einst größten Kirche der Christenheit eine Moschee wurde – bei der Mezquita war es übrigens umgekehrt – eine Vorreiterrolle ein. 

 

Viel Erfolg bei der Arbeit wünscht

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