Wartezeiten, hohe Preise, Kurzarbeit: Handwerker leiden unter Materialknappheit
Material ist Mangelware: Auf deutschen Baustellen werden Holz, Dämmstoffe, Stahl, Bitumen und Ziegel knapp. Lieferengpässe bescheren längere Wartezeiten, erhöhte Preise und Auftragsstornierungen. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht.Das Berliner Startup inpera startet den Online-Materialschuppen.
Von Michaela Podschun und Stephan Thomas
„Es ist verrückt. Auf Brandschutz-Spanplatten muss ich bis Januar warten. Normale Euro-Schrauben für Schubladen-Beschläge habe ich auch nicht mehr bekommen“, berichtet Frank Paschke, Tischler-Innungsmeister aus Duisburg, über die derzeitige Lage. Zum Glück hätten Alternativ-Schrauben gepasst. Und aus einem Bauchgefühl heraus habe er sich mit anderem Materialien, wie Silikon, am Anfang des Jahres eingedeckt. „Wir können unsere derzeitigen Aufträge noch abarbeiten. Ich habe mich bevorratet und bin dazu in Vorleistung gegangen“, sagt er. Wenn ihm allerdings das Fett für seine Maschinen ausginge, dann sei nichts mehr zu machen, ärgert er sich. Es könne doch nicht richtig sein, dass so viel ins Ausland exportiert werde und die heimischen Handwerker auf dem Trockenen sitzen. „Wenn wir noch etwas ergattern, dann ist das ziemlich teuer. Bei PU-Schäumen beträgt die Preiserhöhung 40 Prozent“, musste Paschke feststellen. Oftmals würden ihm auch Reste angeboten. „Aber was soll ich mit Spanplatten, die 14 cm zu kurz sind?“ fragt er fassungslos.
Enormer Bedarf in den USA und China
Mit diesen Erfahrungen steht er nicht allein da. Manche Dachdeckerbetriebe müssen bis zu zehn Wochen auf Dämmstofflieferungen warten, andere erhalten derzeit gar kein Material, wie der Zentralverband des deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) meldet. Zu den Gründen für die Rohstoff-Knappheit sagt ZVDH-Hauptgeschäftsführer Ulrich Marx: „Es gibt weltweit einen enormen Bedarf an Baumaterialien. Derzeit wird deutsches Holz zu hohen Preisen an die USA und nach China verkauft, während hierzulande Material fehlt.“ Dabei sei es angesichts des Klimawandels wenig sinnvoll, Holz über weite Strecken zu verschiffen, wenn es hierzulande dringend gebraucht werde.
Tatsächlich hat der Export von Nadelschnittholz nach Angaben der deutschen Säge- und Holzindustrie in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Exportquote der Branche beläuft sich inzwischen auf 40 Prozent, bei exportorientierten Sägewerken ist der Anteil noch höher. Dazu kommt, dass der Nadelschnittholzverbrauch in Deutschland seit Jahren steigt. Der Inlandsverbrauch an Nadelschnittholz lag 2018 bei 19,5 Mio. m³, exportiert wurden 8,5 Mio. m³. In Deutschland und international herrscht eine hohe Nachfrage nach Schnittholz.
Auch Corona führt zu Engpässen
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, sieht die Gründe für die Preissteigerungen auch in der Corona-Pandemie begründet: „Im Zusammenhang mit der weltweiten Ausbreitung der Pandemie wurden im ersten Halbjahr 2020 infolge des Nachfrageeinbruchs weltweit Produktionskapazitäten heruntergefahren. Insbesondere mit dem Anspringen der Konjunktur in China im dritten Quartal 2020 wuchs die Nachfrage schneller, als weltweit die Produktionskapazitäten wieder hochgefahren werden konnten.“ Das Anfahren der Produktionskapazitäten im vierten Quartal wurde zudem durch den Wintereinbruch in den USA erschwert.
Grund für den deutlichen Anstieg insbesondere der Stahlpreise sind offenbar begrenzte Lieferkapazitäten der Hersteller wegen der wieder anziehenden Nachfrage im Automobilsektor und im Maschinenbau, heißt es hingegen vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.
Für die Handwerkskammer OWL in Bielefeld kommt die Ressourcen-Verknappung „wie aus dem Nichts“. Die Auftragsbücher seien gut gefüllt, doch die Auftragsreichweite ist gestiegen. „Im OWL-Baugewerbe wartet man 16,7 Wochen auf einen Handwerker“, sagt Wolfgang Borchert, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der OWL-Kammer.
Steigende Preise bei Lattholz, Dämmstoffen und OSB-Platten
Die aktuellen Preissprünge sind teilweise enorm. Eine aktuelle Umfrage unter den rund 7000 ZVDH-Innungsbetrieben zeigt, dass über 60 Prozent der Betriebe über Preissteigerungen von mehr als 50 Prozent berichten. Einige Dachdeckerbetriebe müssen laut Umfrage Steigerungen von über 100 Prozent hinnehmen. Vor allem Latt- und Schalholz, aber auch Holzfaserdämmstoffe und OSB-Platten seien mittlerweile deutlich teurer geworden. Bei Dachlatten beobachten Betriebe sogar eine Verdreifachung des Preises. Laut des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie lagen die Baupreise im März 2021 um 18,5 Prozent beziehungsweise 20,6 Prozent über dem Niveau von Dezember 2020.
Stornierungen von Aufträgen und angemeldete Kurzarbeit
Was hat die Materialverknappung für Folgen für die Handwerksbetriebe? Bei den Dachdeckern werden viele Aufträge bereits storniert. Jeder vierte Dachdecker nennt Baustellenstopps als eine der Auswirkungen der Lieferengpässe und über die Hälfte der ZDHV-Befragten muss geplante Bauvorhaben verschieben. Rund zehn Prozent der Betriebe hat bereits Kurzarbeit angemeldet, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage des Zentralverbandes des deutschen Dachdeckerhandwerks.
Bauindustrie erwartet Preisanstieg von zwei Prozent
Die Bauindustrie rechnet auch wegen den steigenden Lohnkosten aufgrund der Tariflohnverhandlung für 2021 wieder mit höheren Preisen. Nach einem moderaten Anstieg 2020 für Leistungen des Bauhauptgewerbes von 1,3 Prozent (aufgrund der Corona-bedingten schwächeren Nachfrage vor allem im Straßen- und Wirtschaftshochbau sowie der Mehrwertsteuer-Senkung im zweiten Halbjahr 2020) sei 2021 mit einem Preisanstieg von zwei Prozent zu rechnen.
Der Deutsche Holzwirtschaftsrat macht auf die Wertigkeit des Rohstoffes Holz aufmerksam. Es werde künftig noch wichtiger sein, den Rohstoff so effizient wie möglich einzusetzen. Dafür sollte die künftige Bundesregierung sehr viel mehr in Forschung und Entwicklung investieren und die Normungsarbeit finanziell stärker stützen. Regelwerke müssten bedarfsgerechter und anwendungsorientierter gestaltet werden. „Wir begrüßen daher auch sehr, die Forschung und Entwicklung in der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe weiter auszubauen. Ziel muss es sein, dem nachhaltigen Rohstoff Holz weitere Verwendungsbereiche erschließen und ihn in bestehenden Produkten noch effizienter einsetzen zu können. Gerade für Laubholz, welches derzeit überwiegend als Energieholz verwendet wird und zukünftig in höherem Umfang anfallen wird, müssen stoffliche Nutzungsmöglichkeiten stärker in den Blick genommen werden“, fordert Denny Ohnesorge, Geschäftsführer des Deutschen Holzwirtschaftsrates.
Bauwirtschaft - Deutlicher Appell an Kunden und Politik
Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg, der Landesverband Holzbau Baden-Württemberg und der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) appellieren derweil gemeinsam an Kunden wie auch die Politik: „Wir möchten bei den Kunden um Verständnis für die schwierige Materiallage werben und dafür, Aufträge wie geplant zu vergeben und nicht zu stornieren. Kostensteigerungen oder Verzögerungen liegen aktuell nicht in der Hand der Handwerksbetriebe. An die Politik appellieren wir, die Situation ernst zu nehmen und die Betriebe nach Möglichkeit zu unterstützen, beispielsweise mit der Verlängerung von Beratungsangeboten. Auch konkrete Erleichterungen, die mehr Flexibilität bieten würden - beispielsweise im Vergaberecht -, sollten geprüft werden.
Schlanke Konstruktionen sparen Holz
Manche Hersteller reagieren bereits mit einer effizienteren Produktion. Laut der Firma Brüninghoff mit Sitz in Heiden seien Systeme und Lösungen gefragt, die den nachwachsenden Rohstoff in besonders schlanke Konstruktionen integrieren, beispielsweise als Furnierschichtholz, das mit versetzten Stößen geklebt wird. Brüninghoff und der finnische Holzproduzent Metsä Wood haben eine strategische Partnerschaft geschlossen. Im Zentrum steht dabei der Vertrieb von Furnierschichtholzprodukten der Marke Kerto LVL. Der Hybridbau-Spezialist aus Heiden möchte für eine flexible Belieferung des deutschen Marktes sowie im angrenzenden europäischen Ausland sorgen.
Der Hersteller Steico reagiert auf die stark steigende Nachfrage von Handel und Handwerksbetrieben mit einer erhöhten Produktion von Holzfaserdämmstoffen. Die Rohholzversorgung in den Steico-Werken läuft nach Angaben des Unternehmens derzeit ohne Probleme. Allerdings hat die Nachfrage nach Steico-Produkten in den vergangenen Monaten enorm zugenommen. Deshalb entsteht gerade in Polen ein drittes Werk. Darüber hinaus investiert Steico weiter in den Kapazitätsausbau bestehender Werke.
Gipsfaserplatten als Alternative
Andere Hersteller zeigen Alternativen zu Holz auf. Wie James Hardie Europe, Produzent von „Fermacell“-Gipsfaserplatten. Sie seien wie Holzwerkstoffplatten statisch voll einsetzbar, ermöglichen dazu deutlich schlankere Wandkonstruktionen.„Aufgrund ihrer hohen Stabilität können sie sowohl tragend als auch aussteifend verwendet und zur Beplankung und Bekleidung von Bauteilen eingesetzt werden“, betont das Unternehmen aus Düsseldorf.
Michaela Podschun und Stephan Thomas sind Redakteure der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Baustoffe finden im neuen „Materialschuppen“ von inpera
Das Berliner Startup inpera hat die Seite www.materialschuppen.de gestartet. „Bauunternehmer, Händler und Hersteller können Materialien anbieten und nachfragen. Wir haben in Gesprächen mit verschiedenen Marktteilnehmern erfahren, dass die Situation regional sehr unterschiedlich ist. Teilweise sind regional Artikel sehr verknappt, doch oft ist woanders viel Material vorhanden - nur nicht an der richtigen Stelle.” so Johannes Lensges, CSO von inpera. Inpera stellt mit dem Materialschuppen ein “schwarzes Brett” für die Branche zur Verfügung. Hier können Unternehmen Artikel anbieten, oder nachfragen. Verfügbares Material kann innerhalb von wenigen Minute auf der “Biete”-Seite angepinnt werden und Nachfragende können bei Interesse direkt Kontakt aufnehmen. Auf der “Suche”-Seite kann Material angefragt werden, auf das Anbieter ebenfalls direkt antworten können. Dieser einfache Prozess ermöglicht, dass das Material schnell dort hingelangt, wo es gebraucht wird. „Viele Unternehmen versuchen per Telefon, Internetrecherche und persönlichen Kontakten an wichtiges Material zu gelangen. Das nimmt allerdings sehr viel Zeit in Anspruch und erzielt oft frustrierend wenig Ergebnisse. Mit dem Materialschuppen schaffen wir einen kostenfreien Beitrag, um der Bauindustrie in dieser Situation unter die Arme zu greifen,” sagt Johannes Lensges weiter.