Sanierung und Erweiterung eines Stadthauses in Sempach
In der Altstadt von Sempach in der Schweiz stehen an der Kronengasse ein sanierter Altbau und ein neuer Ergänzungsbau mit gestockter Betonfassade wie Cousin und Cousine nebeneinander – verwandt und doch recht eigenständig.
Wie Cousin und Cousine stehen der Alt- und der Neubau in der Altstadt von Sempach nebeneinander
Foto: Markus Käch
Die beiden Stadthäuser in Sempach, die 2021 vom Atelier Roman Hutter Architektur fertiggestellt wurden, zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie jedem sofort ins Auge springen, sondern im Gegenteil, durch eine zurückhaltende, harmonische Erscheinung. „Eine Stadt besteht aus ganz vielen, ganz ,normalen‘ Wohnhäusern“, so Daniel Scheuber, Projektleiter im Architekturbüro Roman Hutter. „Wir wollten, dass beide Häuser sich möglichst schnell in das Stadtbild integrieren und auch der Neubau einfach eines dieser Häuser wird.“ In dem Projekt ging es zum einen um die Sanierung eines über 200 Jahre alten, dreigeschossigen Fachwerkhauses, zum anderen um den Ersatzneubau für ein abgerissenes Scheunengebäude daneben.
Eine Besonderheit war zudem, dass es unterhalb des Scheunengrundstücks einen Gewölbekeller gab, der jahrzehntelang als Eiskeller fungiert hatte und vor etwa 30 Jahren von vier jungen Männern aus dem Ort zu einem Kulturkeller umfunktioniert worden war. Diesen Konzertraum, der noch immer maßgeblich von diesem Viererteam betrieben wird, galt es zu erhalten und ihm endlich ein Foyer mit entsprechenden Einrichtungen zu geben.
Vier Wohnungen in zwei Häusern
„Sanierung und Nachverdichtung sind beides wesentliche Aspekte der Nachhaltigkeit“, betont Roman Hutter, Partner des gleichnamigen Architekturbüros. „Es ging in dem Projekt darum, den Altbau denkmalgerecht zu sanieren und für zeitgemäßes Wohnen zu nutzen sowie auf der angrenzenden Fläche, mit einem Abstand von nur 2,40 m, einen Neubau zu errichten, der sich in den Kontext einpasst und ebenfalls attraktiven Wohnraum für zwei Parteien bietet.“ Im sanierten Fachwerkbau bilden heute Sockelgeschoss und erstes Obergeschoss eine Wohneinheit sowie zweites Obergeschoss und Dachgeschoss eine zweite.
Im Neubau sind die Wohnungen über Kreuz miteinander verzahnt, um beiden Parteien die gleichen Wohnqualitäten bieten zu können. So ist das Gebäude im ersten Obergeschoss über die kurze Seite geteilt, so dass beide Parteien einen Zugang zum östlich liegenden Garten haben. Im zweiten Obergeschoss war es hingegen wichtig, dass keine Wohnung ausschließlich zur Straße, also zur Kronengasse hin ausgerichtet, sondern auch ein Zimmer zur straßenabgewandten Seite angeordnet ist.
Die Holzdecke rechts trennt Ober- und Untergeschoss der eigenen Wohnung, die Betondecke links von der Nachbarwohnung
Foto: Markus Käch
Naturstein und verputzte Fassaden dominieren die Kleinstadt im Kanton Luzern. Daher war für die Architekten schnell klar, dass der Neubau eine Hülle aus Beton erhalten sollte. Beim Innenausbau wurde allerdings viel Holz eingesetzt, auch weil die Stadt als Korporationsgemeinde über eigenen Wald verfügt, dessen Holz gerne genutzt werden sollte. Die Wahl fiel auf Kalksteinbeton, dessen Farbigkeit ins Gelbliche geht und so freundlicher und wärmer wirkt als üblicher Beton. Dieser Beton sollte zudem durch Stocken eine Struktur erhalten, da viele der alten Häuser der Stadt durch Oberflächenstrukturen gekennzeichnet sind.
„Als wir durch die Stadt gelaufen sind, um den Ort kennenzulernen, haben wir festgestellt, dass für die Fassaden eigentlich immer ähnliche Materialien verwendet worden sind, dass diese dann aber sehr unterschiedlich bearbeitet wurden, was jedem Haus seinen eigenen Charakter verleiht“, erzählt Architekt Scheuber. „Wir haben uns dann dafür entschieden, den Kalksteinbeton des Neubaus stocken zu lassen.“
Gestockte Betonfassade
Grundsätzlich wollten die Architekten im Neubau traditionelle Elemente aufgreifen, diese aber zeitgemäß interpretieren. So gibt es beispielsweise auch im Neubau Fensterläden, die aber nicht versuchen, einem historischen, bäuerlichen Laden nachzueifern, sondern sich der Geradlinigkeit des Gebäudes anpassen. Ein weiteres Konzept bestand darin, dort, wo im Altbau aufgesetzt wurde, im Neubau in die Fassadenebene hineinzugehen. Während im Fachwerkbau die Fenstergewände aufgesetzt sind, sitzen sie im neuen Haus hinter der Betonebene – negativ statt positiv. Genauso sollte an der Oberfläche nicht ein Putz aufgesetzt, sondern mit Hilfe der Handstockmaschine Teile der Oberfläche abgetragen werden, um ihr so Struktur und eine stärkere Haptik zu verleihen.
Mit einem maschinellen Handstockwerkzeug wird der Kalksteinbeton gestockt
Foto: Roman Hutter Architektur
Während früher mit einem Stockhammer ausschließlich von Hand und mit eigener Kraft gearbeitet wurde, verwenden die Handwerker heute Handstockmaschinen. Diese sehen im Grunde aus wie Zylinder mit feinen Nadeln, die auf einer Handbohrmaschine sitzen. Mit diesem hydraulischen „Hammer“ geht der Handwerker über die Oberfläche und trägt so die Zementanteile ab – wie Sandstrahlen mit einem stärkeren Effekt. Diese Art der Oberflächenbehandlung schadet dem Beton nicht, hat aber den Vorteil, dass dieser, durch die raue Oberfläche, schneller Patina annimmt und sich entsprechend gut zwischen den Bestandsbauten einfügt.
Das Stocken von Betonoberflächen gehört in der Schweiz nicht unbedingt zu den Aufträgen, die üblicherweise abgefragt werden. Der für das Projekt zuständige Baumeister hatte zwar schon Erfahrungen mit dem Stocken, war aber im Endeffekt sehr froh, dass zunächst ein Mock-up erstellt wurde, um zu testen, mit welcher Hammergröße und mit welcher Kraft er arbeiten muss. Gerade an den Ecken oder den Fensterlaibungen war es wichtig, sehr vorsichtig vorzugehen, damit nicht zu große Stücke herausbrechen. Beim Stocken muss der Überbeton etwas erhöht werden, was bedeutet, dass bei der Überdeckung der Armierung von Vornherein etwa 1 cm aufgeschlagen wird, so dass nicht die Gefahr besteht, die Armierungseisen freizulegen. Abschließend wurde die Oberfläche hydrophobiert.
Holz aus dem eigenen Wald
Auch das Schachbrett-Parkett aus Ahorn und gekochter Buche wurde aufgearbeitet
Foto: Markus Käch
In den Innenräumen des Neubaus entstand ein spannendes Wechselspiel zwischen Beton und Holz. Dort nämlich, wo im Obergeschoss die Räume der eigenen Wohnung liegen, werden die Geschosse durch eine Holzdecke getrennt. Dort aber, wo Räume der Nachbarwohnung angeordnet wurden, handelt es sich um eine Betondecke. Welches Holz zum Einsatz kam, richtete sich auch danach, welches Holz der Wald gerade hergab. Die neue Täfelung an den Wänden im Neubau ist beispielsweise aus Weißtanne, Treppen und Abdeckungen der Küchenmöbel sind aus Eiche, die Zimmertüren aus Esche, die Böden aus Buche, während Balken und Tragstruktur aus Fichte gezimmert wurden. „Es handelt sich dadurch um ein Sammelsurium an unterschiedlichen Hölzern. Dennoch entsteht ein stimmiges Ganzes und in diesem Sinne ist auch dieser Umgang mit dem Baumaterial Holz wichtig und nachhaltig“, betont Architekt Hutter.
Im alten Fachwerkhaus fand man, teilweise unter Teppichen und Linoleumböden versteckt, unterschiedlichste Parkettböden: Schachbrettmuster aus 24 x 24 cm großen Tafeln, einfache Fischgrätböden und Fischgrätböden mit einem Kopfstück aus gedämpfter Buche. Für die Tafeln der Schachbrettböden waren bauzeitlich zwei verschiedene Holzarten verwendet worden: Buche und Ahorn. Das Buchenholz hatte man zudem gekocht. Das macht die Buche dunkler mit einem Stich ins Rötliche. „Der Grund, warum das Buchenholz gekocht wurde, ist aber nicht ausschließlich ein ästhetischer“, erklärt Josef Heini, der in dem Projekt für die Restaurierung des Altparketts und der historischen Kassettenwände zuständig war. „Buchenholz wird durch die thermische Vorbehandlung ruhiger und reagiert nicht mehr so leicht auf Temperaturschwankungen. Es verzieht sich nicht mehr so leicht.“
Bei der denkmalgerechten Sanierung wurde versucht, die Decken nach Möglichkeit von unten zu ertüchtigen und auszubessern, so dass die Böden nicht herausgenommen werden mussten. Dort allerdings, wo zwischen den Wohneinheiten auch der Brand- und Schallschutz zu berücksichtigen war, musste von oben gearbeitet werden, so dass die Parkettböden herausgenommen und später wieder verlegt werden mussten. In einigen Bereichen waren die Hölzer zu verrottet, um sie erhalten zu können. Hier kam der Fundus des erfahrenen Schreiners zum Einsatz, der in seinem Lager noch passende Tafeln fand.
Ein Teil der alten Böden wurde bei früheren Sanierungen nicht versiegelt. Diese mussten daher nicht vollflächig geschliffen werden und behielten die alte Patina. Zudem wurden auch die wieder eingebauten Fischgratböden nicht nachformatiert. „Kleine Spalten und Ungenauigkeiten entstanden dadurch beim Wiedereinbau aufs Neue. Das Bild entspricht also dem alten Boden“, erklärt Schreiner Heini. „Vorgängiges Nummerieren der Einzelteile ist allerdings unumgänglich, sonst passen diese nicht mehr zusammen. Und dort, wo das Parkett ergänzt oder Teile ausgewechselt werden mussten, wurde der ganze Boden geschliffen. Abschließend haben wir alle Böden zweimal mit Hartwachsöl behandelt.“
Kulturkeller mit neuem Foyer
Im Gewölbekeller wurde der Betonboden neu gegossen und ein neuer Zugang über das Foyer hergestellt
Foto: Roman Hutter Architektur
Bleibt noch der Gewölbekeller! „Wir hatten vom Statiker das OK bekommen, dass das Gewölbe so funktioniert und nicht ertüchtigt werden muss“, erzählt Projektleiter Scheuber. „Allerdings durften wir den darüberliegenden Garten in der Bauzeit nicht als Materiallager nutzen, die reine Gartennutzung ist hingegen statisch kein Problem.“ Im Gewölbe wurde lediglich ein neuer Boden gegossen und eine kleine Bühne gebaut. Neu ist das Foyer, das die Besuchenden von der Straße kommend die Treppe hinunter zum Gewölbe führt sowie auf Straßenniveau zu den Toiletten. Diese stellen ein echtes Novum und Highlight für den Veranstaltungsort dar, nachdem hierauf 30 Jahre lang verzichtet werden musste. Während in den Wohnhäusern eine überwiegend warme Ausstrahlung herrscht, wirkt das neue Foyer mit seinen gelben Klinkersteinen, den Beton- und Natursteinböden überraschend kühl. Die Brücke schlägt hier wiederum das Holz der Fensterrahmen, Türen und der Deckenverkleidung.
Fazit
Genau dieser Gegensatz ist auch Teil des Gesamtkonzeptes, wie es das Büro Roman Hutter Architektur in seinem Buch zum Einsatz von Beton auf der einen und Holz auf der anderen Seite bei den Stadthäusern in Sempach beschreibt: „Dies generiert ein spannendes und atmosphärisches Nebeneinander von kühlen, harten und weichen, warmen Materialien.“
AutorinDipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherrschaft
Korporation Sempach, CH Sempach, www.korporation-sempach.ch
Architektur
Roman Hutter Architektur, CH Luzern, www.romanhutter.ch
Bauleitung
Kaufmann & Partner, CH Luzern, www.kaufmann-partner.ch
Bauhistorische Untersuchung
ADB, Büro für Architektur, Denkmalpflege und Baugeschichte Möri, CH Burgdorf
Denkmalpflege
Denkmalpflege und Archäologie, CH Luzern, da.lu.ch
Baumeisterarbeiten und Betonfassade
Häller Bau, Stefan Häller, CH Sempach
Holzböden und -wände im Altbau
Holzhandwerker, Josef Heini, CH Grosswangen, holzhandwerker.ch
Holzböden im Neubau
Helfenstein und Muff Holzbau, CH Sempach, www.hm-holzbau.ch