Altbau gesprengt: Libeskind-Umbau in Dresden
Ein riesiger Keil aus Metall durchstößt scheinbar brutal den Altbau des im vergangenen Jahr eröffneten Militärhistorischen Museums in Dresden. Der Architekt Daniel Libeskind entwarf einen An- beziehungsweise Umbau, der sowohl dem historischen Gebäude als auch der Ausstellung eine neue Dimension verleiht.
Das im Oktober 2011 eröffnete Militärhistorische Museum der Bundeswehr fügt der Geschichte des ursprünglich als Arsenalhauptgebäude errichteten Altbaus in der Dresdner Albertstadt ein weiteres Kapitel Museumsgeschichte hinzu – diesmal unterstützt von einem spektakulären An- beziehungsweise Umbau.
Nach seiner Fertigstellung 1877 ersetzte das repräsentative dreiflüglige Gebäude aus Sandstein am Olbrichtplatz zunächst das alte Zeughaus an der Brühlschen Terrasse, das zum Albertinum umgebaut wurde. Doch bereits 20 Jahre später wurde das neoklassizistische Gebäude zum Museum und beherbergte ab 1897 die Königliche Arsenal-Sammlung;1914 wurde es zum Königlich Sächsischen Armeemuseum, 1923/24 zum Sächsischen Armeemuseum. Im Dritten Reich diente es ab 1938 als Heeresmuseum der Wehrmacht (ab 1942: Armeemuseum) und wurde 1972 schließlich zum Armeemuseum der DDR. Im Jahr 1990 – sieben Monate vor der deutschen Einheit – wurde das Museum in „Militärhistorisches Museum Dresden“ umbenannt. 1998 begann ein wissenschaftlicher Beirat mit der Erarbeitung einer neuen Konzeption und der Vorbereitung zur Neugestaltung von Ausstellung und Architektur. Im Jahr 2001 konnten der Amerikaner Daniel Libeskind und der Ausstellungsgestalter HG Merz den Wettbewerb für sich entscheiden, 2003 wurden die Pläne erstmals öffentlich vorgestellt. Wie nicht anders von dem hierzulande vor allem mit dem Jüdischen Museum in Berlin bekannt gewordenen Architekten Libeskind zu erwarten, kennzeichnet eine große architektonische Geste das neue Museum: Ein 30 m hoher und im Rohbauzustand 14 700 Tonnen schwerer, metallischer Keil scheint den sorgsam sanierten Altbau des Museums gleichsam zu zerschneiden. Die Spitze des Keils zeigt auf das Sportstadion im Dresdner Ostragehege, das am 13. Februar 1945 den alliierten Bomberbesatzungen als Zielmarke zum Abwurf ihrer Bomben diente. Die Keilform des Neubaus folgt der Form des Bombenabwurftrichters, der sich infolge des Bombardements im Stadtgrundriss niederschlug.
Umgang mit der denkmalgeschützten Bausubstanz
Die Bauarbeiten begannen am denkmalgeschützten Altbau mit dem Rückbau von Gebäudeteilen, die man dem historischen Bestand zu DDR-Zeiten hinzugefügt hatte. So verschwanden nicht nur zwei Hallen auf der Gebäuderückseite und ein Trafohaus, sondern auch der Eingangsvorbau, durch den die neoklassizistische Schaufassade des Museums bereits bauliche Eingriffe erlitten hatte.
Anstelle des Eingangsvorbaus setzt nun der Keil von Libeskind ein Zeichen der Erneuerung. Bei näherer Betrachtung erscheint die wuchtige Stahlkonstruktion des Keils transparenter als aus der Ferne vermutet: Hinter der Verkleidung mit Profilrosten aus eloxiertem Aluminium – die man üblicherweise als Rinnenabdeckungen auf der Straße verwendet – setzt sich die historische Südfassade nahezu unbeschadet fort. Mithin ist die vermutete Zerstörung so nicht vorhanden, stattdessen wurden die Fassade und beispielsweise beschädigte Terrakottagesimse wieder rekonstruiert. Die Denkmalschutzauflagen zum Erhalt der Südfassade wurden umgesetzt, und die Keilspitze vor der Fassade könnte theoretisch beinahe rückstandslos entfernt werden.
Sanierung des Altbaus
Abgesehen vom Haupttreppenhaus des Altbaus, das Libeskind inmitten des Keils stehen ließ, büßte der Altbau an der rückwärtigen Fassade und im Innenraum dennoch einiges von seiner Substanz ein. „Auch im Innern war das Gebäude stark verbaut, so dass zum Beispiel der Gewölberaum im Erdgeschoss nicht mehr überall wahrnehmbar war“, erinnert sich der Projektleiter vom Büro Libeskind in Zürich, Jochen Klein: „Im Grunde genommen haben wir den Altbau kernsaniert und in enger Absprache mit der Denkmalpflege dort rekonstruiert, wo der historische Zustand bekannt war.“
Ursprünglich war geplant, die umfangreiche neue Haustechnik sichtbar in den Altbau einzufügen. „Im Planungsverlauf wurde aber beschlossen, dass die Technik mit Rücksicht auf die historischen Räume dann doch versteckt werden sollte. Dazu mussten wir alle Holzbalkendecken öffnen und umfangreiche Untersuchungen zum Holzschutz vornehmen“, so Jochen Klein. Die statischen Untersuchungen des Altbaus ergaben zudem, dass die Sohle nicht tragfähig war. Die Holzbalkendecken waren zum Teil schadhaft, so dass die Handwerker neue Balken nach den geltenden bauphysikalischen Regeln einfügen mussten. Über den nichttragenden Sandsteingewölben der Erdgeschossdecke fanden die Architekten eine Konstruktion aus querliegenden Stahlträgern und einer aufgelegten Holzbalkendecke mit Dielenboden vor. Diese Deckenkonstruktion ergänzten die Handwerker durch eine so genannte Lewis-Decke, bestehend aus Profilblechen mit Aufbeton. Die als verlorene Schalung dienenden Schwalbenschwanzbleche nagelten die Handwerker auf die bestehende Holzkonstruktion, um einen Verbund herzustellen, wobei sie auf eine Trittschallschutztrennung verzichteten. „Diese Deckenkonstruktion hat den Vorteil, dass zum einen höhere Lasten möglich sind und zum anderen die neue Haustechnik in den Holzbalkenfeldern untergebracht werden konnte“, erläutert Jochen Klein. Aus Gründen der Kostenoptimierung wurde die Betondeckung anschließend geschliffen und dient nun als fertiger Fußbodenbelag, dessen Optik mit Terrazzo vergleichbar ist.
In den oberen Geschossen liegen die Decken auf alten gusseisernen Stützen auf. Ungesichert sind Vermutungen, dass diese aus dem Büro Eiffel stammen. In vielen Untersuchungen wurden die Tragfähigkeit und auch das Brandverhalten der Gussstützen getestet. Schließlich legten die Handwerker die Stützen frei und brachten dort, wo Sprinkler den geforderten Brandschutz unterstützen, einen F30-Brandschutzanstrich auf. Die Deckenkonstruktion aus Stahlträgern und 5 m weit spannenden Holzbalken wurde auch über dem ersten Obergeschoss mit einer Lewis-Decke ergänzt. In den Räumen der Museumsverwaltung im zweiten Obergeschoss verlegten die Handwerker hierauf einen Kautschukbodenbelag. Außerdem wurden ein zusätzliches Treppenhaus und vertikale Schächte für die neue Haustechnik in die historische Bausubstanz integriert.
Sichtbarer Einschnitt
Eine Schattenfuge kennzeichnet außen und innen den Übergang des Keils zum Altbau. „Diese 10 cm breite Fuge unterstützt den Charakter des Einschnitts“, so der Projektleiter. „Sie betont die eigentlich nur 3 cm breite Bauwerksfuge der statisch komplett voneinander getrennten Baukörper. Die 40 cm dicke Stahlbetonkonstruktion des Keils steht unabhängig im Altbau. Eine gemeinsame Lastabtragung gibt es nicht, lediglich einzelne Tragglieder des Altbaus sind verschieblich auf Konsolen an den Keilwänden aufgelegt.“
Dominiert im Altbau die Struktur der rekonstruierten Gewölbehallen und das regelmäßige Raster der Gussstützen, bestimmen im Neubau die schrägen Sichtbetonwände und teils geneigten Böden des Keils den Raumeindruck. Es gibt offene, großzügige Räume in den Geschossen und überraschende Durchblicke ebenso wie abgeschiedene, den Neubau vertikal durchdringende Räume, die so genannten Vertikalen Vitrinen.
Auch die durch HG Merz und Holzer Kobler gestaltete Ausstellung selbst gliedert sich in zwei Bereiche. Im Altbau wird Militärhistorisches chronologisch gezeigt: zwischen den Gewölbepfeilern im Erdgeschoss Exponate aus der Zeit von 1300 bis 1914; die Hallen im ersten Obergeschoss widmen sich den Zeiträumen von 1914 bis 1945 und nach 1945. Der chronologische Erzählstrang wird genau an den großen Brüchen der jüngeren deutschen Geschichte durch den Libeskind-Keil geteilt. Der fünfgeschossige Keil beherbergt einen Themenparcours mit anthropologischen Fragestellungen und epochenübergreifenden Motiven. Ganz oben erreicht man das Thema der Zerstörung europäischer Städte und mit dem „Dresden Blick“ eine Aussichtsplattform, von der man – durch den Metallscreen der Fassade hindurch – das Stadtpanorama mit der wieder aufgebauten Frauenkirche erblickt.
Sichtbeton für besonders hohe Ansprüche
Ist es außen die Metallverkleidung, die den wuchtigen Keil deutlich vom Altbau abhebt, so sind es im Innenraum die schrägen und in verschiedene Richtungen geneigten Wände. Diese betonierten die Handwerker der Firma Hentschke Bau aus Bautzen vor Ort. Ihre Arbeiten begleitete ein so genanntes Sichtbetonteam, das die vom Architekten geforderte sehr hohe Sichtbeton-Qualität sicherstellen sollte. Dieses Team – dem die Architekten, die Bauleitung des Berliner Büros Reese Lubic Woehrlin, Mitarbeiter des Schalungsherstellers, des ausführenden Unternehmens und des Beton-Lieferanten Dyckerhoff angehörten – plante, koordinierte und begleitete die gesamten Bauarbeiten.
Die beim Betonieren der schrägen Wandelemente mit Neigungen zwischen 3 und 39 Grad zu lösenden Probleme reichten von schalungstechnischen Fragen über die Wahl der „richtigen“ Betonrezeptur bis hin zum fachgerechten Verdichten des Betons. Die beengten Platzverhältnisse aufgrund der Integration in den Altbau und die Tatsache, dass der Lastabtrag aus allen Bauphasen die Substanz in keiner Weise beeinflussen durfte, spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. So wurde ein spezielles Schalungssystem entwickelt, das dem bei den geneigten Wänden entstehenden extremen Frischbetondruck standhalten konnte. Aus statischen und schalungstechnischen Gründen blieben die Wände bis zum Ende der Rohbauphase komplett durchgesteift.
Für den Einbau des plastischen Betons (Konsistenzklasse F2) entwickelte das Sichtbetonteam spezielle Rüttelgassen, die aus Spiralwendeln für Innenrüttler mit einem Durchmesser von 80 mm bestehen. Den Bewehrungsdraht befestigten die Rohbauer immer an der „Nicht-Sichtbetonseite“, so dass sich an den Sichtbetonoberflächen keine Verdichtungsporen bilden konnten und somit die geforderte hohe Sichtbetonqualität nicht beeinträchtigt wurde. Bei dieser Entwicklung griff das Bauunternehmen auf Erfahrungen zurück, die bereits bei einem vorangegangenen Objekt von Daniel Libeskind in der Schweiz gemeinsam mit dem Sichtbetonexperten Röllin gesammelt wurden.
Nach seiner Fertigstellung verfügt das Hauptgebäude des Museum in Dresden über 10 000 m² Ausstellungsfläche und ist damit das größte militärhistorische Museum Deutschlands. Dank der nicht unumstrittenen Architektur von Daniel Libeskind ist es sicher auch das spektakulärste.
Autorin
Dipl.-Ing. (FH) Gonni Engel studierte Architektur und arbeitet seit 2001 in der Öffentlichkeitsarbeit großer Architekturbüros in Hamburg und Dortmund. Sie lebt in Bielefeld und schreibt als freie Autorin unter anderem für die Zeitschrift bauhandwerk.
Dank Denkmalschutzauflagen könnte der Keil vor der Fassade rückstandslos entfernt werden