Aus neu mach alt
Vor rund 100 Jahren begründete der Zoologe Ernst Haeckel das Phyletische Museum in Jena zur Darstellung der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Organismen und der Evolutionstheorie in der Begegnung von Kunst und Natur. Durch aufwändige Sanierung wurde das Jugendstil-Gebäude in den Ursprungszustand versetzt.
Für den Gründer war der Bau, der heute dem Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Universität Jena angehört, viel mehr als nur ein Museum für Abstammungslehre, er sollte zum zentralen Ort seiner Weltanschauung werden. In Haeckels Weltbild wurde die Wissenschaft zu einer Glaubenslehre. Im Einklang mit Johann Wolfgang von Goethes romantischer Auffassung von der beseelten Natur war er der festen Überzeugung, dass „die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann“. Haeckel sah Gott identisch mit den allgemeinen Naturgesetzen und sich offenbarend in der Schönheit. Als Zeichen seiner Verehrung fand die Grundsteinlegung für das Phyletische Museum an Goethes Geburtstag, dem 28. August 1907 statt. 1908, nach nur einem Jahr Bauzeit, übergab er das Gebäude der Universität Jena anlässlich ihres 350-jährigen Bestehens.
Symmetrie ohne Kompromisse
Ernst Haeckel nahm maßgeblich Einfluss auf die Gestaltung des Museumsbaus und lehnte die ersten Entwürfe des beauftragten Architekten Carl Dittmar ab. „Ich, der ich mein Leben lang auf Grund der Forschungen nur der Symmetrie in der Formenbildung gehuldigt habe, kann von diesem Prinzip nicht abgehen“, erklärte Haeckel, verlangte eine symmetrische Gestaltung des Baukörpers und sämtlichen Bauschmucks – und setzte sich letztendlich auch damit durch. Es entstand ein dreigeschossiges Gebäude mit Mansarddach, das über eine doppelläufige Treppenanlage und einen von Arkadenbögen geschützten Eingang erschlossen wird. Die Fassaden der Seitentrakte sind über dem Sockelgeschoss durch eine vorgelegte kolossale Arkadenordnung gegliedert.
Schmuck und Schönheit
Der Fassadenschmuck verweist auf die Bestimmung des Gebäudes. Am spielerisch geschwungenen Giebel der Fassade prangen die Abbildung eines Lebensbaumes und die von Haeckel geprägten Schlüsselbegriffe der Biologie: „Ontogenie“ (Entwicklung des Individuums) und „Phylogenie” (Entwicklung der betreffenden Art oder Artengruppe).
Die Ornamente der Brüstungsfelder sind inspiriert von Darstellungen aus Haeckels Bildband „Kunstformen der Natur“. Diese Illustrationen von Medusen, Stachelhäutern und Radiolarien sind keineswegs nüchtern-wissenschaftliche Wiedergaben, sondern künstlerisch teilweise stark überhöhte Darstellungen in freier Farbigkeit gestaltet und von beeindruckender Schönheit.
Es war Carl Dittmars Einfall, die Abbildungen als Motive für Deckengemälde, Wandfriese und für die Füllungen in den Fensterbrüstungen an der Fassade zu verwenden. Haeckels langjähriger Freund, der Lithograf Adolf Giltsch wurde mit der Aufgabe betraut, Haeckels Zeichnungen umzusetzen. „Giltsch zeichnete meinen Wünschen entsprechend einige Bilder für Deckenornamente und Fensterbrüstungen in natürlicher Größe. Diese wurden dann farbig oder in Putz ausgeführt“, so der Architekt Dittmar.
Zerstörerische Neugestaltung
Das Museum überstand beide Weltkriege weitgehend unbeschädigt. Zu Beginn der sechziger Jahre wurden allerdings nahezu sämtliche Ornamente und Deckenbilder im Rahmen eines grundlegenden Umbaus zerstört. Der Neugestaltung des Museums fielen die unmodernen Deckenbilder zum Opfer, ebenso wie die im Jugendstil ausgeführten Erinnerungstafeln an die Förderer des Museums. Im Innern des Gebäudes sorgte die „Entschmuckung“ für kahle Wände. Es verschwanden sämtliche Stuckornamente und Rundbogenfenster im Treppenhaus sowie Sinnsprüche und Ornamente in der Eingangshalle. Die Wände und Decken der Ausstellungssäle wurden teilweise leuchtend rot oder schwarzgrau beschichtet, wobei man die Deckengemälde der Medusen und Anthozoten überdeckte. Die Fassade wurde mit einer einheitlichen Farbe gestrichen, wobei alle Ornamente in den Brüstungsfeldern und die Begriffe „Ontogenie“ und „Phylogenie“ im Giebel schlichtweg übermalt wurden.
Restaurierung und Wiederherstellung
In den Jahren 1985/86 bemühten sich Mitarbeiter des Phyletischen Museums, die radikalen Umgestaltungen wieder rückgängig zu machen. Man ließ die Fassade streichen und die Ornamente rekonstruieren. Farblich orientierten sich die Verantwortlichen an einem kolorierten Entwurf von Carl Dittmar. Leider wurden große Teile der Restaurierungen nicht fachgerecht ausgeführt, was zum einen auf schwach auflösende Bildvorlagen, zum anderen auf die mangelhafte Qualität der bei der Instandsetzung verwendeten Materialien zurückzuführen ist.
Seit Anfang der neunziger Jahre wurde unter dem Direktorat von Professor Dr. Martin S. Fischer das Museumsgebäude nach und nach vollständig saniert und rückgebaut. Ziel war die Erhaltung der vorhandenen historischen Bausubstanz und eine möglichst authentische Wiederherstellung der verloren gegangenen Ornamente und Deckengemälde. Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten im Innern folgte die Sanierung der Fassade, die rechtzeitig zum Jubiläum 2007/2008 abgeschlossen werden konnte.
Moderne Methoden gegen alte Schäden
Die Fassade des Museums sollte so wiederhergestellt werden, wie sie sich im ursprünglichen Zustand nach Fertigstellung des Baus im Sommer 1908 zeigte. Hierfür standen den Restauratoren historische Aufnahmen in hervorragender Qualität zur Verfügung.
Der restauratorische Befund ergab zahlreiche Abweichungen zu den 1986 ausgeführten Arbeiten: Die Fassade war ursprünglich monochrom gehalten und Ton in Ton differenziert gefasst und die wiederhergestellten Ornamente wiesen teilweise erhebliche Unterschiede zu den Originalformen auf. Die original flache Reliefstrukturierung war durch stark vorstehende, glatt geputzte Blöcke ersetzt worden. In der Folge entstanden auf den Oberkanten störende dunkle Schmutzablagerungen. Außerdem wurde festgestellt, dass die in den achtziger Jahren verwendete Polyacrylat-Farbe kaum Diffusionsoffenheit aufzuweisen hatte, was zu partiellen bauphysikalischen Schäden geführt hatte.
Um den noch vorhandenen, qualitativ hochwertigen Originalputz zu erhalten, gab es zur weitgehenden Abnahme dieser thermoplastischen Beschichtung keine Alternative. Die originalen Putzteile erhielten eine Konservierung, Hohlstellen wurden nach Notwendigkeit hinterfüllt und zwischenzeitliche Putzerneuerungen sowie zerstörte Putzbereiche wurden strukturgerecht mit Reinkalkputz erneuert.
Rechnergestützte Rekonstruktion
Die Ornamentformen der Supraportenfelder zur Ostseite konnten rechnergestützt 1:1 nach historischen Fotovorlagen zeichnerisch rekonstruiert werden. Auf Grundlage dieser Zeichnungen wurden Kunststoffschablonen geschnitten und nach dem Vorbild original erhaltener Supraportenfelder an der Nordseite strukturgerecht neu geputzt. Im Anschluss erfolgte dann die differenzierte Farbgebung mit Sondermischungen nach Befunden am Objekt.
Als Material wurde Keim Soldalit verwendet. Die Sol-Silikatfarbe ist aufgrund ihrer Bindemittelkombination aus Kieselsol und Wasserglas auf praktisch allen Untergründen problemlos zu verarbeiten. Dabei bietet Soldalit alle Vorteile klassischer Silikatfarben – ideale bauphysikalische Eigenschaften, ausgesprochene Langlebigkeit und die für historische Bauten typische, mineralisch matte Oberflächenoptik.
Seit Sommer 2008 sieht das Phyletische Museum wieder aus wie hundert Jahre zuvor. Auch wenn Haeckels ästhetische Theorie längst Geschichte ist – die Manifestation seiner Thesen in den Sammlungen, den Bildwerken und der architektonischen Gestaltung seines Museums fasziniert den Betrachter noch heute.
Differenzierte Farbgebung mit Sondermischungen
nach Befunden am Sanierungs-Objekt
Auf unserer Internetseite finden Sie weitere Fotos des restaurierten Phyletischen Museums. Geben Sie dazu bitte den Web-Code (oben rechts) in die Suchleiste ein.
Baubeteiligte
Bauherr
Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Phyletisches Museum
Direktor Prof. Dr. Martin Fischer
Architekt
Wagner + Günther Architekten, Jena
Heinz Wagner, Martin Rhiel
Restaurator
Dipl. Maler/Restaurator Wolfgang Bruhm, Jena
Ausführende Malerarbeiten, Putz- und
Steinmetzarbeiten
Firma Bennert, Hopfgarten
Keim Beratung
Frank Hoffmann