Vom Patriziersitz zum Museum
Beim Humpis-Quartier in Ravensburg waren die Architekten und Handwerker mit einer extrem wertvollen – weil sehr alten – Bausubstanz beschäftigt. Das verlangte von allen am Bau Beteiligten viel Fingerspitzengefühl, um aus den sechs Gebäuden das im Juli 2009 eröffnete Museum werden zu lassen.
Das aus sechs um einen Innenhof herum gruppierten Gebäuden bestehende Wohnquartier war bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts der Sitz der in Ravensburg ansässigen Patrizierfamilie Humpis, von der das Quartier auch seinen Namen hat. Auf dem Areal fand man die ältesten Spuren der Stadt: Aus der Zeit um das Jahr 1050 herum stammen die Reste eines steinernen Fachwerksockels, der bei Ausgrabungen im Innenhof ans Licht kam. Die ältesten Teile der heutigen Bausubstanz stammen allerdings aus der Zeit ab 1380. Im 15. Jahrhundert wurde das Quartier erweitert und umgebaut. Das Herzstück des Ensembles bildet das 1435 errichtete Gebäude Marktstraße 45 mit seinem Schmuckerker. Auch innen sind zahlreiche Räume aus gotischer Zeit (1435-1508) erhalten geblieben.
Das mit der Umbauplanung beauftragte Stuttgarter Architekturbüro Space4 hatte es also mit einer ausgesprochen wertvollen Bausubstanz zu tun. Die Idee, aus dem Quartier ein Museum zu machen, geisterte schon Ende der 1980er Jahre in den Köpfen der Ravensburger herum. 1991 gründete sich die Museumsgesellschaft Ravensburg e.V. mit dem Ziel, im Humpis-Quartier ein neues städtisches Museum einzurichten. 2002 beschloss der Gemeinderat die konkrete Umsetzung dieser Idee.
Dank Glasdach wird der Hof zum Innenraum
„Umbau und Restaurierung sind in zwei Bauabschnitte aufgeteilt: Mit der Eröffnung am 3.Juli vergangenen Jahres ist der erste Teil der Dauerausstellung des Museum Humpis-Quartier in Betrieb gegangen. Bis Ende 2011 soll der zweite Bauabschnitt abgeschlossen sein“, so Oliver Mack vom Büro Space4. „Die historisch wertvolle und räumlich schwierige Struktur des Humpis-Quartiers erfordert eine strukturelle und architektonische Gliederung, damit die verschiedenen Gebäude des Museums sinnvoll verbunden und erfahrbar gemacht werden können“, ergänzt Korkut Demirag, ebenfalls vom Büro Space4. Zu dieser Verbindung trägt vor allem der heute mit Glas überdachte Innenhof bei. Dieser wird so zum natürlich klimatisierten Innenraum. Bei dem Tragwerk für das Glasdach handelt es sich um eine eigenständige Konstruktion aus zwei übereinander angeordneten Ebenen, die sich gut an die bestehende Geome-
trie des Innenhofs und der Dächer anpasst und keine konstruktive Verbindung zum historischen Bestand hat. Die untere, primäre Tragkonstruktion des Glasdaches bildeten die Handwerker als punktgelagerten, zweiachsig wirkenden Trägerrost aus, der Abstand zu den bestehenden Gebäuden hält und so als eigenständiges Element ablesbar bleibt. Die Bauhöhe der Rost-
elemente, mit einem geschweißten T-förmigen Querschnitt, ist gleichbleibend und beträgt 25 cm. Dort, wo diese auf den Pendelstützen auflagern, wird das Profil in einen Doppel-T-Querschnitt mit verstärktem Steg umgewandelt. „So ergibt sich eine in ihrer Tragfunktion und in ihrer Beanspruchung leicht ablesbare, gewichtsoptimierte Konstruktion“, erklärt Korkut Demirag.
Mit einem Neubau zwischen der Marktstraße 45 und Rossbachstraße 18 wird das frühere Gefüge aus Vorderhaus, Zwischenbau und Hinterhaus wieder hergestellt und der Innenhof geschlossen.
Statische Ertüchtigung und Reparaturen
Die Tragstrukturen der Häuser waren für das heutige Verständnis ungewöhnlich konstruiert: „Das Gefüge wurde durch zahlreiche Umbauten verändert, erhebliche Schäden haben dazu geführt, dass an manchen Stellen die Grenzen der Tragfähigkeit erreicht wurden“, erinnert sich Korkut Demirag. Die notwendige Instandsetzung geschädigter Bauteile nahmen die Handwerker und Restauratoren so denkmalgerecht wie möglich vor. Nur bei extremen Schäden tauschten sie Teile des Tragwerks aus. Für ihre Reparaturen verwendeten die Handwerker Holz und Vollziegel – Materialien, wie sie auch in der Bausubstanz vorhanden sind. Bei der statische Ertüchtigung war zum überwiegenden Teil Stahl das Material der Wahl.
Bei den Dächern tauschten die Zimmerleute die geschädigten Hölzer aus oder reparierten sie nach den Regeln ihrer Zunft. Das Dach selbst bekam eine Aufsparrendämmung. Aufwendiger war da schon die Ertüchtigung der Decken nach statischen und brandschutztechnischen Kriterien. Zum einen müssen die Decken künftig Verkehrslasten von 500 kg/m2 aufnehmen, zum anderen einem Brand mindestens 60 Minuten standhalten. Daher mussten die Handwerker die Deckenbalken zum Teil durch Stahlträger verstärken und aufwendige Brandschutzverkleidungen herstellen. In der Eingangshalle hingegen bieten die kräftig dimensionierten und dicht liegenden Holzbalken eine ausreichende Tragfähigkeit und in Verbindung mit einem fast 20 cm hohen, darüberliegenden Lehmschlag auch einen hohen Brandwiderstand.
Aus Brandschutzgründen lagerte man die recht fein dimensionierten Streichbalken auf zusätzliche Stahlkonsolen, die zwischen den Deckenbalken tief in den Wänden befestigt wurden.
Aber auch die aus Bachkatzenmauerwerk (Steine, die man beim Bau aus dem Rossbach aufgelesen hat) bestehenden Wände galt es statisch durch Injektion und den Einbau von Verpressankern zu sichern. Die Hoffassade des Gebäudes Marktstraße 45 wird zusätzlich über einen horizontalen Stahlträger gegen Kippen in Richtung Hof gesichert.
„Die mittelalterlichen, zum Teil nachträglich unterkellerten Gebäude haben keine Fundamente im heutigen Sinn. Die Mauern wurden einfach bis zu einer bestimmten Tiefe in den Baugrund geführt“, so Korkut Demirag. Daher mussten die Mauern bis in größere Tiefen zum tragfähigen Grund verlängert werden. Als Methode der Wahl kam für die Unterfangung das Düsenstrahlverfahren zum Einsatz, da bei diesem den beengten Verhältnissen im Hof, den schweren Steinhäusern und dem anstehenden Grundwasser am besten begegnet werden konnte.
Restaurierung außen und innen
Der moderne Sichtputz der Straßenfassade lag in großen Teilen hohl. Daher nahmen die Restauratoren an solchen Stellen den Putz ab, ergänzten diesen und überzogen die Fassaden mehrlagig mit einem trocken gelöschten Kalkputz nach historischer Rezeptur. Den Sichtputz bildet ein Spritzbewurf, den die Handwerker nach historischem Befund mit einem Hand-Spritzputzgerät auftrugen. Der historische Kalkputz der Nordfassade war vollständig mit mehreren verunreinigten Dispersionsanstrichen überzogen. Mit einem aufwendigen Trockeneisstrahlverfahren konnte die Dispersion allerdings von der empfindlichen Putzoberfläche abgenommen werden.
Im Inneren waren es vor allem Räume wie die noch gut erhaltene mittelalterliche Bohlenstube im Gebäude Marktstraße 45, die das Fingerspitzengefühl der Architekten, Handwerker und Restauratoren erforderten. Denn hier fanden sich große Teile der unveränderten bauzeitlichen Substanz versteckt wie Wand- und Deckenverkleidungen. Diese wurden freigelegt und von den Restauratoren behutsam restauriert und, soweit notwendig, ablesbar ergänzt.
„Ohne das Handwerk ging hier gar nichts“, meint Korkut Demirag. „Die beteiligten Gewerke waren eng mit in den Planungsprozess eingebunden.“ So war es möglich, die historische Bausubstanz nicht nur zu erhalten und behutsam zu ergänzen, sondern den Gebäuden auch eine neue Nutzung zu geben.
Pläne und Baubeteiligtenliste
Hier finden Sie sämtliche Pläne vom Humpis-Quartier in Ravensburg sowie die Liste der Baubeteiligten. Den avisierten Film können wir Ihnen an dieser Stelle leider nicht zeigen. Er ist ausschließlich im Museum Humpis-Quartier in Ravensburg zu sehen.