Betonkugel von Star-Architekt Oscar Niemeyer am Alten Kesselhaus der Leipziger Kirow-Werke
Seit Mitte vergangenen Jahres steckt in der Ecke des Alten Kesselhauses der Leipziger Kirow-Werke ein Gebäudeteil, der ein wenig so wirkt, als wäre ein riesiger Tennisball in die Ecke des Backsteingebäudes eingeschlagen. Entworfen hat diese Kugel kein geringerer als der Star-Architekt Oscar Niemeyer.
Der 2012 im Alter von 105 Jahren verstorbene brasilianische Architekt Oscar Niemeyer zählt zweifellos zu den bedeutendsten Architekten der Welt. Auf seine Planung geht der Bau der öffentlichen Gebäude der brasilianischen Hauptstadt Brasilia zurück – eine Stadt, die komplett am Reißbrett entworfen wurde.
Hierzulande gab es bisher nur ein einziges von Oscar Niemeyer entworfenes Gebäude: Ein 1957 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung im Berliner Hansaviertel entstandenes Hochhaus. Mit der so genannten Niemeyer Sphere kommt auf dem Fabrikgelände der Kirow-Werke im Leipziger Stadtteil Plagwitz seit Mitte vergangenen Jahres nun ein weiteres hinzu, das der Architekt noch kurz vor seinem Tod entwarf. Aber wie kam es nach mehr als einem halben Jahrhundert überhaupt zu einem weiteren Gebäude von Niemeyer in Deutschland, der obendrein für das Bauen im Bestand nicht gerade bekannt ist?
Futuristische Kugel für denkmalgeschütztes Backsteingebäude
Es ist zehn Jahr her, dass Ludwig Koehne, Kunstliebhaber und Geschäftsführer der Firma Kirow Adelt, dem Architekten Oscar Niemeyer schrieb und ihm den Auftrag anbot, für das alte Kesselhaus der Fabrik einen weiteren Speisesaal mit schönem Ausblick zu entwerfen.
Fertig gestellt: Die Niemeyer Sphere in Leipzig besteht aus zwei Halbschalen aus Beton, bei denen ober- und unterhalb des Kugeläquators Flächen freigelassen sind, die mit dreieckigen Fenstern aus Flüssigkristallglas geschlossen wurden
Fotos (2):
www.schwebewerk.de
Foto: www.schwebewerk.de
Geodätische Kugel mit schaltbarem Glas
Schon der amerikanische Architekt Richard Buckminster Fuller hatte seine futuristischen Glaskuppeln als so genannte geodätische Kuppeln aus dreieckigen Glasscheiben konstruiert. Mit den Dreiecken wollte Fuller eine hohe Stabilität bei gleichzeitig geringem Materialaufwand erreichen.
Obere Kugelöffnung mit eingesetzter Flüssigkristallverglasung
Foto: www.schwebewerk.de
Restaurant in der Kugel
Die von innen mit Schaumglas gedämmte Betonkugel scheint in 8 m Höhe am Gebäude zu schweben. Ihre Last wird aber nicht vom Bestandsgebäude abgetragen, sondern von einem Schaft, den die Rohbauer in den rückgebauten Teil der Backsteinfassade mit einem braunrot pigmentierten Beton C30/37 mit einem Größtkorn von 16 mm betonierten. Über den Schaft erfolgt per Aufzug auch die Erschließung der Kantinenerweiterung. Mit dem Aufzug erreicht man das zweite Obergeschoss auf Höhe des Kugeläquators. Über eine Treppe gelangt man von dort aus nach oben in das Restaurant und in die Lounge.
Im zweiten Obergeschoss befindet sich auf Höhe des Kugeläquators das Restaurant und die Lounge. Dort speisen die Gäste unter einer Glaskuppel
Foto: Informationszentrum Beton
Durchbrochene Kugel aus Weißbeton
Sowohl die Schalung als auch der für den Bau der Kugel verwendete Hochleistungsbeton stellten bei diesem besonderen Projekt eine Herausforderung dar. Entwickelt wurde die Kugel in 3D (Entwurf bis Schalung inklusive SHK). Der Betonbauer erhielt 2D-Pläne. Ausgeschrieben war eine Ausführung in Sichtbeton der Klasse SB 4 sowie Weißbeton. Die Kugel sollte also so glatt und so weiß wie möglich werden. Nach zahlreichen, im Vorfeld durchgeführten Versuchen und der Produktion von diversen Farbmustern wurde die Kugelhülle mit einem reinen, eigens für das Projekt eingefärbten Weißbeton der Festigkeitsklasse C 30/37 in Konsistenzklasse F5 mit einem Größtkorn von 8 mm hergestellt.
Die Last der Kugel wird nicht vom Bestandsgebäude abgetragen, sondern von einem Schaft, den die Rohbauer in den rückgebauten Teil der Backsteinfassade mit einem braunrot pigmentierten Beton betonierten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Bei der verwendeten Bewehrung handelt es sich um Stäbe, die noch keinen Rost angesetzt haben, also um frisch aus dem Werk gelieferten Stahl. Damit keine Verfärbungen entstehen können, mussten die Rohbauer den Beton schon früh ausschalen und bis zum endgültigen Aushärten schützen. Daher wurde die Baustelle während der gesamten Arbeiten an der Kugel von einem verfahrbaren Gerüstdach geschützt.
Fazit
Niemeyers Kugel wirkt wie aus einer anderen Welt, ist ein Fremdkörper am historischen Gebäude – und das soll auch so sein. Denn weil sich die Niemeyer Sphere so überaus deutlich vom Bestand unterscheidet, war das sächsische Denkmalamt mit der gewagten Form am denkmalgeschützten Kesselhaus einverstanden.
AutorDipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Kirow Adelt, Ludwig Koehne, Leipzig, www.kirow.de
Entwurf Oscar Niemeyer
Architektur und Design Ana Niemeyer Arquitetura e Consultoria, Jair Valera, Rio de Janeiro
Ausführender Architekt und Projektleitung Kern Architektur, Harald Kern, Leipzig
Statik Ingenieurbüro Förster + Sennewald Ingenieurgesellschaft, München, www.fsmuc.com
Betonarbeiten Berger Beton, Passau, https://bergerholding.eu
Herstellerindex (Auswahl)
Weißbeton Dyckerhoff Weiss Face, Dyckerhoff, Wiesbaden, www.dyckerhoff.com
Flüssigkristallgläser eyrise licrivision, Merck, Darmstadt, www.merckgroup.com