Untersuchungen im ehemaligen Kloster Raitenhaslach in Burghausen
Die interdisziplinäre Untersuchung des ehemaligen Klosters Raitenhaslach brachte Erstaunliches zu Tage: dicke Mauern voller Kaminzüge, Decken aus zwei voneinander unabhängigen Balkenlagen und eine in der Luft schwebende Wand – ein Blick in die Werkstatt der alten Baumeister.
Bei den ersten Begehungen des Klosterkomplexes von Raitenhaslach wirkte es, als sei der letzte Barockabt gerade erst abgereist. 2003, zweihundert Jahre nach dem Ende des Klosters, erwarb die Stadt Burghausen den Komplex und entwickelte in Kooperation mit der Technischen Universität München eine Vision für die zukünftige Nutzung als Akademiezentrum. In einer ersten großen Untersuchungskampagne, 2007 bis 2009, erkundeten Forscherinnen und Forscher von verschiedenen Lehrstühlen der Universität gemeinsam den Bestand und das Potential der Bauten. Auf dem so entwickelten Konzept konnten Stadt und Universität aufbauen und in den Folgejahren schrittweise die Instandsetzung und Revitalisierung der Anlag umsetzen. Im Frühjahr 2016 war es dann so weit, das neue „study centre“ an der Salzach wurde eröffnet.
Die gemeinsame Aufnahme und Untersuchung des Baubestands brachte zahlreiche wertvolle Erkenntnisse zur Baukonstruktion, und ermöglichte es gewissermaßen, einen Blick in die Werkstatt der alten Baumeister zu werfen.
Ältestes Zisterzienserkloster Altbayerns
Das bereits 1146 gegründete Zisterzienserkloster Raitenhaslach ist die älteste Niederlassung des Ordens in Altbayern. Im Mittelalter wurde das Kloster als Grablege der Wittelsbacher und des bayerischen Adels reich gefördert.
Im Barock waren die Klosterbauten doch etwas in die Jahre gekommen. Mit Blick auf die ambitionierten, monumentalen Neubauten der schwäbischen Reichsklöster und die vom Kaiserhof geförderten Klöster im nahen Österreich wurde nun auch die Raitenhaslacher Klosteranlage schrittweise erneuert: Zum sechshundertährigen Ordensjubiläum begann der Umbau der großen Klosterkirche, und ab 1752 wurde die neue repräsentative Abtsresidenz – der „Prälatenstock“ – südwestlich der Kirche in Angriff genommen. In den folgenden Jahren bis 1785 erfolgte schrittweise der Neu- und Umbau der gesamten Klosteranlage. Prägende Persönlichkeit war der baufreudige Abt Emanuel II. Mayer, die Planung und Leitung der Bauarbeiten lag bis zu seinem Tod 1771 bei dem Trostberger Maurermeister Franz Alois Mayr. Der „Festsaaltrakt“ mit dem „Steinernen Saal“ wurde 1765 errichtet, die Fertigstellung erfolgte 1766. Das Ende des blühenden, neu erbauten Klosters kam plötzlich: Auch Raitenhaslach fiel 1803 der Säkularisation, also der Aufhebung der bayerischen Klöster, zum Opfer. Die Baulichkeiten wurden an privat versteigert; die Klosterkirche wurde Pfarrkirche. In den Folgejahren wurden viele, oft gerade erst errichtete Trakte der Anlage abgerissen, so auch die Klosterbibliothek und der Refektoriumsflügel mit dem Speisesaal am Kopfende des Festsaaltrakts. Der Erwerb des großen Prälatenbaus durch eine örtliche Brauerfamilie war Glück im Unglück: Die weitläufigen Raumfluchten wurden in den kommenden zwei Jahrhunderten nur teilwiese genutzt und erfuhren keine nennenswerten Eingriffe. Nach fast zweihundert Jahren veräußerten die Eigentümer die Anlage schließlich an die Stadt Burghausen.
Untersuchung des Klosters
Die Grundlage für die Erfassung und Analyse des wertvollen Baubestands war die Anlage eines präzisen, verformungsgetreuen Aufmaßes, in das schrittweise die einzelnen Detailbefunde eingetragen werden konnten. Ergänzend wurde in einem zweiten Schritt das aufwendige Holzgewölbe über dem Festsaal des Klosters, dem „Steinernen Saal“, zusammen mit der darüberliegenden Dachkonstruktionen als Laserscan aufgenommen und zu einem CAD-Modell ausgearbeitet. Die dreidimensionale Aufnahme der Oberfläche erlaubte, die über die Jahrhunderte eingetretenen Verformungen zu analysieren – eine wichtige Grundlage für die spätere Konzeption maßgeschneiderter Instandsetzungsvorschläge.
Eine umfassende dendrochronologische Beprobung der Balken erlaubte, die einzelnen Schritte der Baufolge jahrgenau unterscheiden zu können. Hierbei werden Proben aus den Balken entnommen, und die Abfolge der Jahrringe statistisch im Labor analysiert. Bedingt durch die unterschiedlichen Wuchsbedingungen von Jahr zu Jahr, lässt sich die charakteristische Abfolge breiterer und schmalerer Jahrringe identifizieren, die eine Bestimmung des Fälldatums erlauben. Da beim historischen Bauwesen das Holz unmittelbar nach dem Einschlag verbaut wurde, gibt dieses Datum meist auch die Datierung des jeweiligen Bauteiles an.
Eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Bausubstanz und die Entwicklung von Instandsetzungsvorschlägen war die Untersuchung aller Konstruktionsdetails. Sowohl die zunächst nicht einsehbaren Deckenkonstruktionen als auch die Innenkonstruktion der großen hölzernen Haupttreppe wurden vorsichtig bereichsweise geöffnet und aufgenommen. Bedingt durch die besondere Konstruktion der Decken in Raitenhaslach war es teilweise möglich, durch den Deckensaufbau zu kriechen, um Details aufzunehmen – ein durchaus sportliches Unternehmen. Nicht zugängliche Bereiche wurden zerstörungsfrei mit minimalinvasiven Verfahren wie der Radarortung oder Bohrwiderstandsmessungen untersucht und beurteilt.
Im Zuge der Aufnahme der Baudetaile wurden auch sämtliche Substanzschäden auf Grundlage der Aufmaßpläne kartiert. Morsche Dachbalkenköpfe, Pilzbefall, aber auch durchgebogene Balken und verkippte Mauerpfeiler wurden sorgfältig aufgenommen. Diese mühselige Arbeit ermöglichte bei der späteren Instandsetzung eine auch mengenmäßig präzise Ausschreibung und war somit eine wichtige Grundbedingung für die Kostenplanung.
Im Zuge der Aufnahme wurde nicht nur die Konstruktionsglieder des Bauwerks erfasst, sondern auch von einem Restauratorenteam ein Katalog aller Türen, Fenster, Ausstattungsgegenstände und Raumfassungen angelegt. Diese umfassende Dokumentation bot gleichfalls eine wichtige Grundlage für die Planungen der Architekten bei der Revitalisierung des Prälatenstocks.
Gleichfalls als Grundlage weiterer Planungen wurden parallel ein haustechnisches und ein statisches Ertüchtigungs- und Instandsetzungskonzept zusammen mit einem architektonischen Vorentwurf als Vision für das zukünftige „study centre“ der TU München entwickelt.
Historische Konstruktionen
Der Prälatenstock ist, wie sich im Zuge der Untersuchungen zeigte, ein außerordentlich solide gebautes, für seine Zeit bemerkenswert komfortables Bauwerk. Die Grundanlage des dreistöckigen Bauwerks ist einfach: Die Repräsentationsräume sind zu dem weiten Klosterhof im Westen hin orientiert, die Erschließung erfolgt über einen über die gesamte Länge des Baus durchlaufenden Flur im Osten. Beide Raumzonen sind mit einer kräftigen Mauer voneinander getrennt.
Diese Mauer hat es wahrhaftig in sich: In ihr verbergen sich zahlreiche Kaminzüge, die es ermöglichten, ungewöhnlich viele Räume des Barockbaus mit gemütlichen Kachelöfen zu heizen. Die Befeuerung der Öfen erfolgte dabei stets vom Flur aus, so dass Abt und Gäste nicht gestört wurden. Da den alten Baumeistern des Barock eine symmetrische Fassadenausbildung ein besonderes Anliegen war, mussten die zahlreichen Kaminschächte im Dach zu den vier gleichmäßig am First angeordneten Kaminaufsätzen verzogen werden. Hierfür wurden im Dachraum aufwendige gemauerte, schräg verzogene Schächte angelegt, die in Raitenhaslach in ungewöhnlicher Vollständigkeit überliefert sind.
Auch die Geschossdecken sind mit einem deutlichen Blick auf besonderen Wohnkomfort angelegt und ausgesprochen raffiniert konstruiert. Sie bestehen aus zwei voneinander unabhängigen Balkenlagen: einer oberen Ebene als Laufboden und einer unteren Ebene, an der die aufwendigen Stuckdecken befestigt sind. Diese Bauweise ermöglichte den Baumeistern eine schallschutztechnische Entkoppelung, sowie das Einbringen einer isolierenden Schüttung aus Sägespänen im Deckenzwischenraum.
Die dendrochronologische Beprobung zeigte, dass die unteren Geschossdecken erst beim Innenausbau eingebaut wurden, während die obere Balkenlage bereits Bestandteil des Rohbaus war und dabei als Laufebene diente. Dies ermöglichte, dass erst beim Ausbau die Raumhöhe abschließend festgelegt wurde und somit im unteren Geschoss je nach Bedeutung des jeweiligen Raumes variiert werden konnte.
Beim abschließenden Innenausbau wurden auch noch Veränderungen am Raumzuschnitt vorgenommen. So legte man schließlich im zweiten Obergeschoss als besonderen Höhepunkt des Gästetraktes das „Papstzimmer“ mit seinen prachtvollen Fresken an. Dieser Raum, einer der Höhepunkte der Anlage, ist allerdings einige Meter schmaler als der darunterliegende „Rote Salon“. Die südliche Wand des Papstzimmers schwebt, wie die Aufmaße zeigten, also in der Luft. Um dieses bautechnische Kabinettstückchen zu bewältigen, errichteten die Baumeister einfach ein weit in den Dachraum reichendes Hängesprengwerke, das über ein langes, durch die Wand verlaufendes hölzernes Zugglied den Deckenbalken unter der Wand fasst – eine tragwerksplanerische Hightech-Lösung des 18. Jahrhunderts.
Untersuchungen erlauben einen Blick in die Werkstatt
der alten Baumeister