Arbeitsspeicher
Sanierung, Rück- und Neubau der Getreidesilos 4 und 5 in Rostock

Aufgrund ihrer inneren Struktur lassen sich zuweilen auch stadtbildprägende Gebäude nicht erhalten, da sich eine neue Nutzung im alten Baukörper nicht realisieren lässt, sie ohne Umnutzung jedoch zusehends verfallen. Dies traf auch auf zwei im Inneren aus Siloschächten bestehende, ehemalige Getreidespeicher in Rostock zu, die nach einem fast vollständigen Rückbau nun mit neuer Nutzung den Hafen der Hansestadt zum gefragten Firmensitz machen.

Wie in vielen anderen Hansestädten Norddeutschlands prägen auch in Rostock große Speichergebäude aus Backstein die Ansicht der Stadt vom Wasser aus. In der Regel werden diese Speicher heute jedoch nicht mehr als solche genutzt. Sie wurden entweder bereits zu Büros, Wohnungen oder für kulturelle Zwecke umgebaut oder stehen leer und sind dem Verfall preisgegeben. Da viele dieser Speicherensembles inzwischen unter Denkmalschutz stehen, gilt es letzteres natürlich zu vermeiden, wobei ein neues Nutzungskonzept meist der erste Schritt zum Erhalt der Gebäude ist.

So hatte auch die Stadt Rostock die so genannte Silohalbinsel zum Denkmalschutzbereich erklärt. Am Ufer der Warnow, die hier in ihrem Unterlauf bis zu 600 m breit ist, stehen fünf Speichergebäude, die allesamt eine neue Nutzung erhalten sollten. Während einige dieser Speicher bereits saniert und umgenutzt worden waren, standen die Getreidesilos 4 und 5 im Jahr 1999 noch immer leer, bis die Deutsche Immobilien AG aus Rostock einen Architektenwettbewerb auslobte, bei dem Entwürfe für eine neue Nutzung der Speicher als Büro- und Dienstleistungszentrum gesucht wurden.

Mit einem gläsernen Verbindungsbau auf den Ebenen 3 und 4 und zwei im Grundriss ellipsenförmigen, ebenfalls verglasten Erweiterungen der Speicher überzeugte der Entwurf des Rostocker Architekten Tilo Ries die Jury und die Bauherrin, da die in vorderster Front stehenden Gebäude auf diese Weise nicht nur eine markante Erweiterung erhalten sollten, sondern auch zusätzliche, gut belichtete Büroflächen und repräsentative Geschäftsräume.

Rückbau

Um die Speicher überhaupt umnutzen zu können, mussten sie in weiten Teilen komplett rückgebaut werden. Übrig blieben schließlich nur die beiden Außenwände mit den aufwendigen Backsteinintarsien auf der Wasserseite sowie das Kellergeschoss.

Dieser weitgehende Rückbau war aufgrund der inneren Struktur der Speicher unvermeidbar: Sie waren in den 1930er-Jahren im Rahmen des so genannten Reichsspeicherprogramms errichtet wor­den, um die Versorgung der Bevölkerung mit Getreide sicherzustellen. Hinter den bis auf wenige Öffnungen geschlossenen Außenmauern befanden sich massive Siloschächte mit einem qua­dratischen Innenmaß von jeweils etwa 2,80 m Seitenlänge. „Da die äußeren Backsteinwände nicht allein standfähig waren, wäre der Aufwand, sie beim Abbruch der tragenden Siloschächte zu erhalten, nicht gerechtfertigt gewesen“, erinnert sich Architekt Tilo Ries. Neben den Außenwänden wur­de auch das Stahlbetondach rückgebaut, das seinerzeit so massiv errichtet worden war, dass es auch leichteren Bombenangriffen standgehalten hätte. Die beiden Intarsienwände konnten während der Bauzeit nur mit Hilfe eines aufwendigen Stahlskeletts gehalten werden, bevor sie schließlich an die neuen Stahl­betondecken angeschlossen und restauriert wurden.

„Da es sich bei den beiden ehemaligen Getreidespeichern nicht um Einzeldenkmale handelt, sondern sie lediglich Teil des Denkmalbereichs Silohalbinsel sind, war auch die Denkmalschutzbehörde mit unserem Vorgehen einverstanden. Auflage für den Neubau war jedoch, dass dieser in Größe und Form den alten Speichern entsprechen musste“, erläutert Tilo Ries seinen Entwurf.

Neubau

Als Reminiszenz an die Geschlossenheit der alten Silogebäude erhielten die der Warnow abgewandten Gebäudeseiten Lochfassaden mit kleinen Fenstern. Diese gewährleisten zwar eine gute Belichtung der dahinter liegenden Büros, schränken aber dennoch die massive Wirkung der mit rot-blau-
violetten Klinkern verkleideten Stahlbetonaußenmauern nicht ein. Insgesamt verlegten die Maurer über 100 000 Klinker im klassischen Märkischen Verband. Im Gegensatz zu dieser schlichten Fassadengestaltung schieben sich auf der Wasserseite die beiden etwa 18 m hohen, komplett verglasten Baukörper in die Speicher hinein. Hiervon unberührt bleiben allerdings die beiden Intarsienwände, die an die Nutzung als Speicher erinnern: Auf Silo 5 ist eine Bäuerin mit der Sense zu sehen, auf Silo 4 eine Hansekogge mit gehissten Segeln.

Satteldächer

Ein weiteres charakteristisches Element der beiden Speicher ist das steile Satteldach, das gemäß der Forderungen des Denkmalschutzes in Form und Dachneigung den Altbauten entspricht. So wurden nicht nur die beiden Dachreiter jeweils am westlichen Firstende der Speicher wieder aufgebaut, sondern auch die Dachneigung von 56° beibehalten, wodurch die beiden Dächer bis auf eine Höhe von 30 m ansteigen. Um die jeweils zwei Dachgeschossebenen besser nutzen zu können, erhielten die großen Dachflächen zwei übereinander angeordnete Gaubenreihen zu beiden Seiten. Als Dachkonstruktion dient ein Skelett aus in regelmäßigen Abständen errichteten Stahlrahmen. Die Dachflächen wurden zwischen den Sparren gedämmt. Darüber brachten die Handwerker eine diffusionsoffene Unterdeckbahn (Divoroll Universal) an. Auf Konterlattung und Traglattung verlegten die Dachdecker der Rostocker Firma Luks & Voigt auf einer Fläche von insgesamt 1400  m2 Braas Tegalit Seidenmatt in hellgrau. Jeden Dachstein verklammerten sie mit einer Universal-Sturmklammer. Die ebenen Dachsteine unterstützen die großzügige Wirkung der Dachflächen und passen mit ihrer strengen Geometrie sowohl zu der historischen Kubatur als auch zu den modernen Glasbaukörpern. Der Transport der Dachsteine bis in eine Höhe von 30 m erfolgte mit einem Spezialkran.

Energiepfahlanlage

Wie bereits die alten Silos erhielten auch die neuen Gebäude eine Bohrpfahlgründung. Teile der Tiefgründung des Altbaus konnten dabei übernommen werden. Hinzu kam nun jedoch die geothermische Aktivierung der Pfahlgründung in Verbindung mit einer Bauteilaktivierung der Stahlbetondecken. Die werksseitig komplett vorgefertigten Pfähle aus Stahlbeton (System: Centrum Energiepfahl) nutzen das oberflächennahe geothermische Potential zum Heizen beziehungsweise Kühlen des Gebäudes. Eine umschaltbare Wärmepumpe entzieht dem in den Energiepfählen zirkulierenden Wasser Wärme, die dann für die Beheizung des Gebäudes zur Verfügung steht. Im Kühlbetrieb gibt sie die dem Gebäude entzogene Wärme an den Energiepfahlkreislauf ab. Dank dieses ökologischen Heizkonzepts sind nur noch kleine Heizkörper in den Büroräumen notwendig und der zusätzliche Energiebedarf für die Temperierung der Gebäude konnte entsprechend verringert werden.

Fazit

In den in ihrer ursprünglichen Aufteilung nicht mehr nutzbaren Silos 4 und 5 entstanden durch den weitgehenden Rück- und Neubau insgesamt 11 020 m2 Nutzfläche auf acht Ebenen. Als repräsentativer Firmensitz unter anderem der DSR Gruppe und Aida-Cruises sind die neuen Silos 4 und 5 ein wichtiger Schritt zur Revitalisierung des östlichen Stadthafens von Rostock und Motor für die Ansiedlung weiterer Firmen.

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