Literaturspeicher: Umnutzung eines Getreidespeichers in Klütz
Ungenutzte Speichergebäude werden heute häufig zu Wohnungen oder Büros umgebaut. Vom eigentlichen Speicher bleibt dabei oft nur die Hülle erhalten. Anders im mecklenburgischen Klütz, wo ein ehemaliger Getreidespeicher mit wenigen, aber gelungenen baulichen Eingriffen zum Uwe Johnson Literaturhaus wurde.
„Jerichow zu Anfang der dreißiger Jahre war eine der kleinsten Städte in Mecklenburg-Schwerin, ein Marktort mit zweitausendeinhunderteinundfünfzig Einwohnern, einwärts der Ostsee zwischen Lübeck und Wismar gelegen, ein Nest aus niedrigen Ziegelbauten entlang einer Straße aus Kopfsteinen (...) und einer Kirche aus der romanischen Zeit, deren Turm mit einer Bischofsmütze verglichen wird (...). Von der Schifffahrt war es ausgeschlossen durch die großen Häfen, seine Entfernung vom Meer. Wo ein Hafen für Jerichow hätte sein können, saß das Fischerdorf Rande, schon am Anfang des Jahrhunderts reich genug für Grand Hotels, Erbgroßherzog, Stadt Hamburg.“
Diese Passage aus dem Buch „Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl“ von Uwe Johnson (Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main) ist einer der Gründe, warum in Klütz im Jahr 2006 in einem ehemaligen Getreidespeicher aus den 1890er-Jahren das Uwe Johnson Literaturhaus eröffnet wurde. Das fiktive Jerichow entspricht in seiner geographischen Lage und der Beschreibung des Ortes genau dem nordwestmecklenburgischen Städtchen Klütz, das Fischerdorf Rande erinnert an das Ostseebad Boltenhagen. Das Literaturhaus widmet sich nun der öffentlichen Präsentation des literarischen Erbes Uwe Johnsons (1934–1984) und seiner Verbundenheit zu Mecklenburg.
„Dabei sollte der Speicher noch kurz vor dem Mauerfall zum Getränkelager für den Konsum werden“, erinnert sich der für die Umnutzung verantwortlich zeichnende Architekt Werner Peters der Arbeitsgemeinschaft GPK Architekten / Dipl.-Ing. Schultz aus Lübeck. Tatsächlich hatte man 1989 westlich und nördlich des Speichers, der seit den 1950er-Jahren zur Lagerung von Lebensmitteln diente, Anbauten errichtet, die Teil einer geplanten Umnutzung als moderner „Getränkestützpunkt“ der Konsumgenossenschaft waren. Rücksicht auf die historisch wertvolle Substanz wurde dabei nicht genommen. Ein Glücksfall also, dass der Lübecker Architekt und Stadtplaner, der sich seit der Grenzöffnung mit Klütz als städtebaulicher Rahmenplaner beschäftigt hatte, das Potenzial erkannte, das nicht nur in dem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert steckte, sondern im gesamten Stadtkern. Schon bald bemühte man sich in Klütz um die Aufnahme in die Städtebauförderung mit dem Ziel, einen attraktiven Wohn- und Dienstleistungsstandort zu entwickeln. Als dann die ersten Gelder flossen, konnte es losgehen: „Schon im Jahr 1991 haben wir kurzerhand mit den Sicherungsarbeiten im Speicher begonnen – auch ohne den Eigentümer zu kennen“, so Architekt Peters. Dach und Fenster wurden abgedichtet, um den Bestand des Gebäudes zu gewährleisten. Zusammen mit dem Speicher wurde in den folgenden Jahren der gesamte Stadtkern vom Markt bis hin zum Ende der Straße Im Thurow saniert, in der sich auch der Speicher befindet.
Für den alten Getreidespeicher gab es zunächst viele Nutzungsvorschläge. Am überzeugendsten schien jedoch die Idee des Literaturhauses mit dem Plan, den Speicher zu einem Treffpunkt sowohl für Einheimische als auch Touristen zu machen. Mit Bibliothek, Stadtinformation und einem kleinen Café ist dies inzwischen auch gelungen. Zwei Etagen des Speichers widmen sich ganz dem Autor Uwe Johnson – die erste seiner Person, die zweite seinem Werk. Die Ausstellung und zahlreiche Veranstaltungen lockten allein im vergangenen Jahr rund 17 000 Gäste in den ehemaligen Getreidespeicher, der nicht nur entscheidend das Stadtbild prägt, sondern auch als Kultur- und Industriedenkmal die Geschichte der Stadt Klütz widerspiegelt.
Bestandsaufnahme
Bei der Umnutzung legten die Architekten großen Wert darauf, den ursprünglichen Charakter des Gebäudes zu erhalten: Kleine Fenster mit Klappläden und große Ladeluken gliedern die typisch norddeutsche Backsteinfassade, im Innern dominieren die alten Stütz- und Deckenbalken den Raum. Diese Vorgehensweise scheint umso sinnvoller, zeigte sich doch bei der Bestandsaufnahme, dass die Struktur und die Materialien des Speichers vollständig erhalten waren. Die Außenmauern mit ihren gelb-roten Ziegen verjüngen sich von einer unteren Breite von 75 cm auf 24 cm im Dachgeschoss. Granitfelsen dienen als Fundamente, der ausgestellte Sockel besteht aus geschlagenen Granitfindlingen gemischt mit Mauerwerk. Die innere Struktur des Speichers bildet ein Holzskelett aus Stützen, Rähmen und Deckenbalken sowie Sparren. Das geschalte Dach war mit Teerpappe gedeckt, Tore und Luken waren teils aus Eiche, teils aus Nadelholz gefertigt. Auch die Innenausstattung war im Wesentlichen noch vorhanden und ließ Rückschlüsse auf den früheren Betrieb zu.
Altes bleibt erhalten dank neuer Brandschutzwand
Das Mauerwerk und die konstruktiven Holzbauteile sollten auf jeden Fall sichtbar bleiben, zumal sie noch weitgehend intakt waren. Dies war jedoch nicht ohne weiteres mit den aktuellen Anforderungen an den Brand- und Schallschutz zu vereinbaren. Doch auch hierfür fanden die Architekten und Ingenieure eine Lösung: Parallel zur Ostfassade betonierten die Rohbauer vom Keller bis zum Dachgeschoss eine massive Wand in den Speicher, hinter der sich Fluchttreppe und Nebenräume befinden. Auf diese Weise, sowie mit einer flächendeckenden Brandmeldeanlage, konnten alle Geschosse in einem Brandabschnitt zusammengefasst werden. Zwischen der alten Ostfassade und der neuen Brandwand dient nun die einläufige Treppe als 1. Fluchtweg mit direktem Ausgang in Freie. So konnten die für den Speicher typischen konstruktiven Holzbauteile ebenso wie die Holzdielen der Geschossdecken unverkleidet im Original erhalten bleiben. Die Barrierefreiheit gewährleistet ein Aufzug, für den die Rohbauer einen Schacht mit ebenfalls massiven Betonwänden in den Speicher einfügten.
Die rauen Sichtbetonoberflächen der Treppenhauswand und des Aufzugschachtes machen diese einerseits als neu hinzugefügte Bauteile erkennbar, passen andererseits aber sehr gut zu den übrigen Materialien, die einst ebenfalls einzig ihrer Funktion entsprechend ausgewählt und eingesetzt wurden.
Sanierungsarbeiten und Innenausbau
Neben diesen beiden größten baulichen Eingriffen, ging es für die Handwerker im Rahmen der Umnutzung vor allem darum, zu sanieren und zu reparieren. Das Außenmauerwerk wurde im Wirbelstromverfahren gereinigt, die Fugen ausgekratzt, repariert und mit Bremer Muschelkalk K neu verfugt. Für die Fugen der Natursteine verwendeten die Handwerker Trasskalkmörtel. In den Sockel in der Diele fügten sie mithilfe einer Bohrlochinjektion eine neue Horizontalsperre ein.
In die vorhandenen Fensteröffnungen und Ladeluken setzten die Fensterbauer neue gedämmte Stahlfenster und arbeiteten die später ergänzten Stahlsprossenfenster zusätzlich auf. Die Verglasung der restaurierten Fenster erfolgte mit Einfach-Floatglas und Kitt. Luken und Tore erhielten neue Klappläden aus Lärchenholz, innenseitig gemäß vorhandenem Befund mit einem Anstrich in Ocker, außenseitig in Ochsenblutrot.
Als Fußboden verlegten die Handwerker in der Durchfahrtsdiele, die heute als Entree, Museumsshop, Touristeninformation und kleines Café dient, seitlich rotbuntes Granit-Mosaikpflaster sowie großformatige Granitplatten als durchlaufendes Band von der Straße bis zum Hof. Die Mauerwerkswände erhielten hier wie in den übrigen Geschossen einen weiß eingefärbten Schlämmputz auf einer neuen inneren Mauerwerksschale. Zwischen äußerem Mauerwerk und innerer Mauerwerksschale wurde mit Dämmmörtel die notwendige Wärmedämmung eingebracht.
Zwischen die Stahlblechwangen der neuen Treppen fügten die Tischler Trittstufen aus Eiche ein. Anstelle von Setzstufen schlossen sie die Treppe nach unten mit parallel zu den Wangen verlaufenden Eichenbohlen, die unterseitig eine Verkleidung mit Gipskartonplatten erhielten. Unter den Treppenläufen befinden sich Toiletten und Lagerräume.
Die Innenarchitektur des Büros Rutsch+Rutsch setzt vor allem auf die Verwendung von Holz, Stahl und Glas, wobei neu hinzugefügte Bauteile unmittelbar als solche zu erkennen sind, wie zum Beispiel die hinterleuchtete Wand aus farbigen Glasplatten in der Durchfahrtsdiele.
Ausgezeichnete Umnutzung
Dass die Umnutzung des ehemaligen Getreidespeichers architektonisch gelungen ist, zeigte sich spätestens im Jahr 2008, als die landesweite Eröffnung des Tages der Architektur im Literaturhaus stattfand. Die Verleihung des Kulturförderpreises des Landes Mecklenburg-Vorpommern, mit dem der Ministerpräsident Erwin Sellering im Dezember vergangenen Jahres das Literaturhaus auszeichnete, beweist, dass dieses als neues kulturelles Zentrum erfolgreich ist und auch über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen wird.
Autorin
Dipl.-Ing. (FH) Gonni Engel studierte Architektur und arbeitet seit 2001 in der Öffentlichkeitsarbeit großer Architekturbüros in Hamburg und Dortmund. Sie lebt in Bielefeld und schreibt als freie Autorin unter anderem für die Zeitschrift bauhandwerk.
In dem um 1890 in Klütz erbauten Getreidespeicher befindet sich heute das Uwe Johnson Literaturhaus
Pläne
Hier finden Sie die Grundrisse und Detailpläne zur Umnutzung des Getreidespeichers in Klütz zum Uwe Johnson Literaturhaus als PDF zum Download.