Gewaschene Putzfassaden
Altenzentrum Mainfeld: Neubau aus zehn gegeneinander versetzte Fassaden
Das neue Altersheim in Maienfeld in der Schweiz bindet seine Bewohner ins öffentliche Leben ein – dank einer großen Eingangshalle und zehn gegeneinander versetzten Fassaden. Dem Außenputz schlugen die Gipser Sand und schwarzen Glimmer bei. Es entstand ein erdiger Farbton, der sich an den Mauern im Dorf orientiert.
Das neue Altersheim errichteten die Rohbauer als Massivbau nach Plänen der Architekten vom Büro Isler Gysel Architekten sowie Christof Bhend und Sergej Klammer. Vier innenliegende Kerne aus Stahlbeton, die die Versorgungsräume aufnehmen, steifen das Gebäude aus, das sich um die große Eingangshalle als Herz der Anlage strukturiert. Die übrigen Wände mauerten die Handwerker größtenteils aus Einsteinmauerwerk – einem 425 mm dicken Dämmstein, den sie anschließend verputzten.
Erdiger Putz für das Dämmsteinmauerwerk
Die Architekten entschieden sich für einen grobkörnigen, pigmentierten Dickschichtputz mit Glimmerzusätzen. Je nach Wetterlage glitzert er in der Sonne oder lässt das Gebäude bei Regen dunkler erscheinen. Der erdige Farbton orientiert sich an den im Dorfkern traditionell verputzten Altbauten und den straßenbegleitenden Umfassungsmauern. Auch bauphysikalisch bietet der Dickschichtputz Vorteile: Die unteren Putzschichten haben hydrophobe Anteile, die das Mauerwerk vor Nässe schützen, ein „Durchtränken“ des Putzes und damit Frostschäden verhindern. Die oberen Grundputzschichten und der Deckputz sind wasseraufnahmefähig, was der Gefahr von Algenwachstum und späterem Pilzbefall entgegenwirkt.
„Wir wollten einen Putz, dem man die handwerkliche Bearbeitung ansieht und in dem sich die Zuschlagstoffe abzeichnen“, sagt Architekt Christof Bhend. Per Zufall stießen sie auf ein Putzmuster, bei dem die Oberflächen nach dem Auftragen mit dem Schwamm ausgewaschen und die Zuschläge sichtbar wurden. Die Firma Rogantini Gips aus Chur gewann die Ausschreibung des Putzes und entwickelte ihn zusammen mit dem Hersteller Röfix. Beide äußerten anfangs Bedenken. Die Oberfläche könne sehr fleckig ausfallen, wenn die Anteile der Bindemittel und Pigmente verschieden stark ausgewaschen würden.
Probeläufe an der Putzfassade
Um Farbigkeit und Struktur des Putzes zu definieren, erstellten die Gipser zunächst kleine Muster von einem halben Quadratmeter. Bei der Farbe orientierten sie sich am hellgrauen bis gelb-grünen Ton der Fensterbänke. Nachdem die Handmuster problemlos verliefen, verputzten die Handwerker auf der Baustelle ein großes Fassadenmuster. Hier tauchten erste Schwierigkeiten auf: Erst band der Putz so schnell ab, dass sich das Bindemittel nicht mehr wegwaschen ließ, dann mischten sich unerwünschte Spuren der Kelle ins Muster. Auch die Übergänge bereiteten anfangs Probleme, erinnert sich Christof Bhend: „Auf den Gerüstläufen waren gleichzeitig zwölf Gipser neben- und übereinander tätig. Jeder arbeitet anders, jeder trägt eine eigene Handschrift. Es brauchte mehrere Versuche, bis sich das Team eingespielt hatte.“
Dann konnte es losgehen: Den Grundputz brachten die Handwerker noch vor dem Winter auf, um das Gebäude vor Frost zu schützen. Sie spritzen zunächst mit Schläuchen einen Vorspritzmörtel auf, danach verteilten sie mit der Kelle einen 25 mm dicken Kalkzement-Leichtgrundputz. Anschließend wurde mit einer Stahltraufel ein mineralischer Haftspachtel aufgetragen und eine Bewehrung aus Glasfasergewebe in den Mörtel eingebettet. Im Frühling folgte der Deckputz: ein Kalk-Zement-Schlämmputz mit Zuschlagstoffen aus weißem Sand und schwarzem Glimmer. Die Mischung wurde schon im Werk von Röfix zusammengestellt, in Säcke verpackt und dann auf der Baustelle im Zwangsmischer angerührt. Einer Tonne Schlämmputz, bestehend aus Marmorsand, Kalkhydrat und Weißzement, mischten die Gipser 5 kg Glimmerplättchen bei sowie die für die Farbgebung notwendigen Eisenoxidpigmente. Dann zogen sie den Schlämmputz mit einer Glättkelle in Kornstärke auf. Nach dem Trocknen glichen sie die Arbeitsspuren der Kelle mit einer Bürste aus.
Mit Schwamm und Gummihandschuhen
„Anschließend war es wichtig, den richtigen Zeitpunkt für das Waschen zu finden“, sagt Christof Bhend. „Bei direkter Sonneneinstrahlung und Wind bindet der Putz zu schnell ab, bei niedrigen Temperaturen zu langsam.“ Also deckte man das Gerüst vollständig mit einer Plastikplane ein, unter der der Putz bei Windstille und Idealtemperaturen von 8 bis 25 Grad Celsius auf allen Flächen gleichmäßig schnell abbinden konnte.
Nach erneutem Trocknen wässerten die Handwerker die Oberfläche und wuschen die obere Putzschlämme mit einem Schwamm aus. So kamen die Zuschläge, Sand und Glimmer, zum Vorschein und erzeugten eine sandige Putzoberfläche. „Man kann sich das vorstellen wie bei einer schmutzigen Wand: Man wäscht sie so lange, bis sie sauber ist“, sagt Christof Bhend. Der Schwamm durfte dabei nicht zu nass sein,weil kein Wasser über die Fassade herabrinnen sollte. Mühe und Präzision haben sich ausgezahlt: Unterm Strich entstand eine lebendige, je nach Wetterlage changierende Putzfassade, die regionale Bautradition überzeugend in moderne Architektur übersetzt.
Eingangshalle als Treffpunkt und Dorfplatz
Die Eingangshalle ist das Herz des neuen Altersheims in Maienfeld, einem 2500-Seelen-Dorf im Kanton Graubünden. Wer heute durch den geduckten Eingang den viergeschossigen Raum betritt, blickt unwillkürlich hinauf: Rund 12 m tief fällt die Sonne durch fünf trichterförmige Oberlichter, bespielt die verwinkelten Seitenwände und spiegelt sich auf dem gelb schimmernden, geschliffenen Hartbetonboden. Vor- und Rücksprünge, Durchgänge und Einschnitte gliedern den Raum. An vollbesetzten Tischen in der Hallenmitte sitzen Senioren und spielen Karten. Eine Stunde zuvor waren die Schüler der benachbarten Dorfschule zum Mittagstisch da und auch Dorfbewohner kommen immer öfter auf einen Espresso vorbei. „Wir sehen die Halle als öffentlichen Treffpunkt und Dorfplatz“, sagt Architekt Manuel Gysel vom Büro Isler Gysel Architekten.
Ohne Vorne und Hinten
In den Obergeschossen sitzen große, mit breiten Holzlaibungen gerahmte „Schaufenster“ wie Bilder an den Wänden. Dadurch sehen auch Ältere, die nicht mehr so agil sind, was in der Halle passiert. Die Bewohner in das öffentliche Leben einzubinden, ist einer der wichtigsten Grundgedanken des Entwurfs. Bis vor wenigen Jahren waren sie in einem rund dreißig Jahre alten Heim am Dorfrand untergebracht, abgeschnitten vom Treiben im Ort. Dass sie nun wieder stärker eingebunden sind, hängt auch mit der skulpturalen Form des Gebäudes zusammen. Es hat weder Vor- noch Rückseite, sondern zehn gegeneinander versetzte Fassaden. Jedes der 50 Einzel- und zwei Doppelzimmer erlaubt unterschiedliche Ausblicke: auf den Garten, einen Bach, die Berggipfel der Alpen, die Dorfschule, die angrenzenden Wohn- und Geschäftshäuser oder das Schloss im Dorfkern.
Der Entschluss, ein ringförmiges Haus zu bauen, prägt auch den Charakter der Wohngeschosse: Statt langer Korridore entstand eine Abfolge aus Gängen und Sitznischen – vergleichbar mit den Gassen und Plätzen eines Dorfes. Entlang der „Gassen“ sind außen die Zimmer untergebracht, innen bündeln große Kuben Küchen, WCs, Waschräume und Stationszimmer. An Ecken und Knickpunkten weiten sich die Gassen zu Plätzen aus, an denen die Bewohner in Kleingruppen essen, oder die sie sich als halböffentliche „Wohnstuben“ eingerichtet haben.
Schaufenster aus Eiche
Vertraute Materialien prägen die Gänge – Holzparkett, feinkörniger Putz und Sichtholztüren aus Eiche. Auch die bis zu 2,20 m x 2,84 m großen „Guckkästen“ zur Halle sind aus Eichenholz. Die 15 cm breiten Rahmen wurden im Werk in einem Stück zusammengeleimt. An der Rückseite montierten die Fensterbauer Stahlwinkel sowie eine umlaufende Brandschutzabdichtung, die ein Übergreifen eines Feuers zwischen den beiden Brandschutzabschnitten – der Halle und den umlaufenden Gängen – verhindern soll. Auf der Baustelle verschraubten die Handwerker die Rahmen über die Stahlwinkel mit der Betondecke beziehungsweise dem Mauerwerk. Anschließend befestigten sie die bis zu 200 kg schweren Glasscheiben aus ESG Brandschutzglas El 30 bündig in der Rahmennut. Schließlich wurde das Fensterfutter aus Eiche natur auf einer Holzunterkonstruktion verschraubt.
Autor
Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt außerdem als freier Autor unter anderem für stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.
„Wir wollten einen Putz, dem man die handwerkliche Bearbeitung ansieht und in dem sich die Zuschlagstoffe abzeichnen“