Lebendige Gefache
Lehmvarianten in der Fachwerksanierung

Die Fachwerksanierung ist kompliziert, weil sich alle Faktoren sprichwörtlich verschworen haben. Bauphysikalisch sind Fachwerkbauten mit das Anspruchsvollste, was Gebäude zu bieten haben. Historisch betrachtet war der Fachwerkbau in der Mehrheit weniger im repräsentativen Bauen zu finden, er war eher profan.

Fachwerk wird heute aus ästhetischen Gründen oft freigelegt, obwohl der zeitgenössische Bauherr es gar nicht zeigen wollte. Früher sah man keinen Anlass, die Fachwerkbauweise im Erscheinungsbild der Fassaden zu inszenieren; komplett überputzte Fassaden waren üblich. Die heutigen Ansprüche hinsichtlich Luftdichtigkeit und Dämmung stellen Fachwerksanierer vor größte Herausforderungen, denn Fachwerk ist das Gegenteil von Normierung und Standardisierung. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum wir Fachwerkstädtchen und Fachwerkbauten so lieben. Man kann es auf den Nenner bringen: Fachwerk lebt. Und damit sind alle Vorzüge und alle Nachteile dieser Bauweise umfassend beschrieben. Fachwerk ist ein Anschlussproblem schlechthin: Holzbalken und Gefache sind trotz aller harmonischen Verbindung nicht einer Meinung hinsichtlich ihres Schwindens und Quellens. So entstehen regelmäßig Fugen und Risse.

Nichts Besonderes – historisch gesehen

Braucht das Handwerk heute großes Spezialistentum, um auch hinsichtlich der hohen neuzeitlichen Herausforderungen die Substanz zu sanieren oder gar zu einer Erscheinung zu erwecken, von dem der Bau bisher nichts geahnt hat, dann war historisch gesehen der Fachwerkbau selten die Arbeit von Spezialisten. Zu vermuten ist, dass sie vielfach das Werk von Tagelöhnern und reisenden Handwerkern, aber auch von Baufamilien und Dorfgemeinschaften waren. Weiterentwicklung im Sinne eines technischen Fortschritts hat es kaum gegeben. Die Kontinuität von Materialien und Techniken über viele Jahrhunderte hinweg weist jedoch darauf hin, dass diese sehr wohl überlegt ausgewählt wurden und ihr Einsatz auf lange Erfahrung gegründet war. Fachwerk entstand, weil die eingesetzten Baustoffe lokal verfügbar und die Konstruktion vergleichsweise einfach zu errichten war. In Mitteleuropa entwickelte sich die gemeinhin bekannte Fachwerkbauweise, bei der Tragwerke aus Holzbalken ausgefachte Felder umgrenzen, seit dem Mittelalter parallel zu Stein- oder anderen Massivbauweisen. Zu den ältesten erhaltenen Fachwerkwohnhäusern in Deutschland gehören das Gotische Haus Römer 2-6 in Limburg (1289) und der Ständerbau Wordgasse 3 in Quedlinburg (frühes 14. Jahrhundert).

Fachwerkbau findet sich in waldreichen Gegenden, in denen genügend Holz vorhanden war. Diese Bauart zeichnet sich durch eine recht große Toleranz bei den verbauten Materialien aus. Die Balken entsprechen keiner Norm, für Profanbauten wurde genommen, was der Wald hergab. Auch der damalige Fachwerkneubau dürfte – abgesehen von repräsentativen Bauten – schon im Ansatz eine lebendige Fassade gehabt haben, zu der die Zeit weiteren Charakter hinzugefügt hat. In vielen Regionen sind unregelmäßig geformte Balkenquerschnitte und vielfältige Gefachgeometrien typisch für Fachwerkhäuser. Die alten Ausfachungsmethoden wirken für heutige Vorstellungen vielleicht nur wenig optimiert, ihre Einfachheit macht sie aber besonders anpassungsfähig für die Gegebenheiten historischer Fachwerkhäuser. Der oft anzutreffenden Vorstellung über die Entwicklung ambitionierter Fugen-Anschlussdetails liegt oft unzureichende Kenntnis über die Beschaffenheit historischer Fachwerkbalken zugrunde. Entgegen gängiger Prinzipskizzen haben viele der alten Hölzer keine scharfkantigen Rechteckquerschnitte. Sie sind auch nicht immer gleich dick. Die Balkenflanken bestehen aus unterschiedlich fliehenden Waldkanten oder haben tiefe Riefen sowie verschiedenste Vor- und Rücksprünge.

Kurzum: Die Sanierung von Fachwerk setzt ein solides Wissen über eine archaische Bauweise voraus, die in vielfacher Hinsicht unseren heutigen Arbeits- und Lebensgewohnheit widerspricht.

Elastische Konstruktion mit rissiger Fassade

Bei der Auseinandersetzung mit der Sanierung von Fachwerkelementen ist Voraussetzung, so manche Gewohnheit auf den Kopf zu stellen. Gebäudehülle und Wasser, das sind bekanntlich die klassischen Antipoden schlechthin. Während wir heute mit erheblichem Aufwand versuchen, jede eindringende Feuchtigkeit am Baukörper zu verhindern, so muss der weitsichtige Fachwerksanierer hier einen gegenteiligen Ansatz akzeptieren und dafür sorgen, dass das unvermeidlich in die scheinbar zahllosen Fugen eintretende Wasser so leicht wie möglich wieder aus dem Baukörper austreten kann, und dass der eindringenden Feuchtigkeit möglichst jeder Hohlraum genommen wird, um sich in der Wand zu halten oder zu sammeln. Da die Holzbalken auch nach hunderten von Jahren noch „leben“ ist eine entscheidende Vorgabe – neben der Diffusionsoffenheit – die Elastizität der Gesamtkonstruktion, eine Bedingung, die die historischen Ausfachungen mühelos erfüllt haben.

Auf Wetterseiten sind Dachüberstände und Vorhangfassaden – so wie sie die Baugeschichte in vielfältiger und oft gelungener Form aufzeigt – die im Zweifel bessere Wahl. Während die Holzwerke der Fachwerkhäuser schon seit langer Zeit Gegenstand einer ausgedehnten Haus- und Geschichtsforschung sind, finden die architektonisch wenig prägnanten Ausfachungen bis in die jüngste Zeit bei Bauhistorikern nur wenig Interesse. Dementsprechend ist auch das Thema ihrer Instandsetzung ein eher wenig beachtetes – zu unrecht, wie man sagen muss.

Vier ursprüngliche Ausfachungstechniken

Die sachgemäße Sanierung von Lehmausfachungen setzt das vielfach verloren gegangene Verständnis für die verhältnismäßig einfachen alten Konstruktionen voraus. Man kann vier Ausfachungstechniken unterscheiden. Bei zweien bildet ein Putzträger die Grundlage für Strohlehm: Zum einen ein Geflecht aus Weichholzruten und so genannten Staken, zum anderen ein Spalier aus Staken. Die dritte Technik ist die Ausfachung mit Lehmsteinen ohne konstruktive Holzanteile. Eine vierte Technik ist das Vermauern von Lese- oder Feldsteinen mit Lehm, mit oder ohne Hilfsschalung.

Reparatur von Ausfachungen

Grundsätzlich soll sich das Baumaterial für die Reparatur möglichst genau am vorhandenen Bestand orientieren – eine fundamentale Forderung, begründet auf einer jahrzehntelangen Ausführungserfahrung bei der Sanierung von Fachwerkhäusern von PeterBreidenbach und Ulrich Röhlen. Die für die Reparatur notwendigen Materialien werden von Lehmbaustoffherstellern angeboten. Der Handwerker muss die Baustoffe dann gegebenenfalls noch vor Ort anpassen. Die Herstellung örtlicher Mischungen aus Grubenlehm und Zuschlägen ist möglich, setzt aber ausreichende Erfahrung voraus. Wird Lehm aus dem Abbruch alter Gefache wieder verwendet, so müssen Verunreinigungen durch Salze, Ruß und Pilze (Hausschwamm) ausgeschlossen sein.

Reparatur von Geflecht mit Strohlehmbewurf und Stakung mit Strohlehm

Lehmausfachungen können meist erhalten werden, selbst wenn sie jahrhundertealt sind. Dabei sollte man sich nicht von manchen für heutige Vorstellungen eher ungewöhnlichen „Bauteileigenschaften“ beirren lassen: Bewegliche Staken lassen sich wieder fixieren, Fraßlöcher können alt und unproblematisch sein, Strohlehm ist zwar weich aber für diesen Verwendungszweck fest genug.

Der Austausch nicht mehr haltbarer Staken oder Ruten ist oft nur unter großem Substanzverlust durchführbar. In solchen Fällen ist eine Verschraubung oder sonstige Unterstützung mit rostfreien Befestigungsmitteln zu bevorzugen. Auch neue Strohlehmaufträge wirken stabilisierend.

Reparatur von Ausfachungen aus Lehmsteinmauerwerk

Die partielle Reparatur von Lehmsteinmauerwerk erfolgt wie bei Mauerwerk aus künstlichen Steinen. Die Wasserlöslichkeit des Lehmmauermörtels vereinfacht die Arbeit. Auch in diesem Fall sollen Steine und Mörtel verwendet werden, die den Materialien des Bestandes möglichst entsprechen. Da die Stabilität der Ausfachung durch den Austausch einzelner Steine beeinträchtigt oder zerstört werden kann, sollte der Handwerker gut abwägen, ob die Reparatur vertretbar oder eine Neuausfachung geboten ist.

Neuausfachungen oder Ergänzungen in authentischen historischen Konstruktionen, wie Geflecht mit Strohlehmbewurf und Stakung mit Strohlehm, können zum Beispiel in der Baudenkmalpflege gefordert sein. Aus Kostengründen wird jedoch meist Lehmsteinmauerwerk gewählt. Damit werden auch lange Feuchtebeanspruchungen des Fachwerks und Trocknungszeiten vermieden.

Außenputze aus Lehm und Kalk

Sichtfachwerkfassaden haben in Bezug auf die Witterungsbelastung eine nur begrenzte Leistungsfähigkeit. Dies gilt zunächst für den Außenputz. Jedoch sind Putzschäden nicht zwangsläufig Zeichen einer unsachgemäßen Ausführung. Sie können auch ein Indiz für die Überforderung der Fassade sein und diese lediglich frühzeitig anzeigen. Dauerhafte Durchfeuchtung zerstört die Fachwerkbalken. Zu stark bewitterte Fassaden wurden deshalb in der Vergangenheit durchgängig verputzt oder durch eine Verschalung geschützt.

Generell wird eine Belastung der Fassadenfläche von weniger als 140 Liter Schlagregen pro Quadratmeter im Jahr als nicht problematisch angesehen. Wie oben beschrieben gilt es, alle Voraussetzungen zu schaffen, um witterungsbedingt eindringende Feuchtigkeit wieder ungehindert aus dem Bauteil austreten zu lassen. Nur so können Schäden vermieden werden.

Grundsätzlich ist nur einseitiges Sichtfachwerk bautechnisch geboten, meist auf der Außenseite. Sowohl außen als auch innen freiliegendes Fachwerk ist bei beheizten Gebäuden konstruktiv ausgeschlossen, da ausreichende Winddichtigkeit und Wärmedämmung mit bautechnisch und wirtschaftlich vertretbaren Mitteln nicht zu erreichen ist. Darüber hinaus zeugt das Freilegen der unregelmäßigen Fachwerkinnenflächen von mangelndem Verständnis für die historische Konstruktion und widerspricht denkmalpflegerischem Anliegen.

Der Außenputz sollte möglichst spät aufgebracht werden – umso größer ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch die Sanierung bedingte Bewegungen im Fachwerkgefüge sowie Quell- und Schwindverformungen der Balken beruhigt haben. Idealerweise soll die erste Heizperiode abgewartet werden.

Die Gefache nicht bewitterter Fachwerkwände können außen mit Lehmmörtel verputzt werden, bei bewitterten Wänden ist der wasserlösliche Lehm nicht geeignet. Gut geeignet sind hier Putze, die historischen Vorbildern entsprechend rein kalkgebunden sind und ein stabiles Korngerüst mit groben Sandanteilen haben. Auch die reichliche Zugabe von Tierhaaren ist zu empfehlen. Hydraulische Zusätze machen den Mörtel dagegen untauglich hart, zementgebundene Putze sind ausgeschlossen.

Vorbereitung der Putzflächen

Der Handwerker muss den Putzgrund sorgfältig vorbereiten. Denn über die normale Haftungsbeanspruchung zwischen Untergrund und Putz hinaus kommt es bei bewitterten Sichtfachwerkfassaden gegebenfalls zu einer wesentlich höheren Beanspruchung: Die bei Durchfeuchtung aufquellenden Balken üben einen seitlichen Druck auf die Kalkputzplatte aus; dies kann zum Aufwölben und Ablösen führen. Bei schmalen Gefachen und stark bewitterten Flächen (Ortgang, Giebelspitze) wirkt diese Kraft besonders stark.

Unproblematischer ist das Verputzten im inneren der Fachwerkbauten. Hier kann bei Sichtfachwerkinnenwänden mit Lehm direkt auf den Ausfachungen geputzt werden. Ein abschließender Anstrich zum Beispiel mit Kalkkaseinfarbe bietet sich an. Für das vollflächige Verputzten der Innenseiten von Fachwerkaußenwänden kann man Schilfrohrmatten als Innendämmung beziehungsweise Putzträger verwenden, die sich mit Tellerdübeln befestigen lassen.

Äußerer Putzanstrich in den Gefachen

Die außen auf den Gefachen aufgeputzten Kalkmörtel bedürfen zur Reduzierung der Frostempfindlichkeit eines schützenden Anstrichs. Dabei muss der Handwerker auf die Verträglichkeit der Anstrichstoffe und Anstrichaufbauten mit dem weichen, alkalischen Putzmaterial achten. Der Anstrich soll eine gewisse Offenporigkeit aufweisen; dichte Anstriche würden die gesamte Niederschlagsmenge in die unteren gefachbegrenzenden Fugen leiten.


Autor

Dr.-Phil. Michael Willhardt ist Experte für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit und betreibt das Büro für Öffentlichkeitsarbeit Willhardt & Wosnitzka in Duisburg. Er ist als freier Autor unter anderem der Zeitschrift bauhandwerk tätig.

Fachwerk ist das Gegenteil von Normierung und Standardisierung

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