Rekonstruktion der Türen und Fenster der „Goldenen Waage" in Frankfurt
Die „Goldene Waage“ ist das Schmuckstück der neuen Frankfurter Altstadt. Der Innenausbau des Bürgerhauses aus der Zeit der Renaissance wurde nach historischen Vorbildern errichtet und stellte hohe handwerkliche Anforderungen. Kramp & Kramp aus Lemgo meisterte die Herausforderung.
Als eines der bekanntesten Projekte des wiederaufgebauten Altstadt-Ensembles am Frankfurter Dom ist die „Goldene Waage“ wohl auch das prunkvollste der 35 Gebäude. Das repräsentative Fachwerkhaus wurde einst im Jahr 1619 durch den niederländischen Zuckerbäcker und Gewürzhändler Abraham van Hamel im Renaissance-Stil errichtet. Als Wohn- und Handelshaus des vermögenden Großkaufmanns zeigte es die typische Hausform und Raumfolge jener Zeit. Im Vorderhaus befand sich das Verkaufskontor im Erdgeschoss, darüber die Wohnräume in den Obergeschossen. Zu ihnen führte eine Wendeltreppe im kleinen Hof, die auch das Hinterhaus erschloss. Auf dessen Dach bot das „Belvederchen“, eine hölzerne Laube mit vorgelagertem Dachgarten und kleinem Brunnenhaus mit Grotte einen angenehm luftigen Aufenthaltsort.
Ein Bürgerhaus des 17. Jahrhunderts
Im März 1944 wurde das Fachwerkhaus wie der größte Teil der Frankfurter Altstadt durch Bombenangriffe schwer beschädigt und verschwand aus dem Stadtbild – bis zur detailgetreuen Rekonstruktion im Zuge des Dom-Römer-Projekts. Nach Plänen der Frankfurter Architekten Jourdan & Müller erstrahlt die „Goldene Waage“ seit 2018 wieder in neuem Glanz. Und seit Ende 2019 sind auch die Innenräume zugänglich: In den Obergeschossen des Vorderhauses präsentiert das Historische Museum Frankfurt in sechs Räumen die Einrichtung einer Kaufmannsfamilie aus dem 17. Jahrhundert und vermittelt damit einen Eindruck des damaligen Lebens. In der ersten Etage liegt die „Große Stube“ als repräsentativer Raum, in dem Gäste empfangen, aber auch gespeist und geschlafen wurde. Sie ist kunstvoll mit Seidentapete ausgekleidet und von einer reich verzierten Stuckdecke überspannt, die auf Grundlage alter Stiche rekonstruiert wurde und aus über 100 Einzelelementen besteht. Im Stockwerk darüber befindet sich das Musikzimmer sowie das „Pelikanzimmer“, das seinen Namen von einer Pelikandarstellung an der Decke erhielt; der Hausherr nutzte diesen Raum als Schreibstube. Im Hinterhaus ist das Stoltze Museums eingerichtet. Und im Erdgeschoss erwartet ein Café die Gäste, in dessen 5 m hohen Raum die Empore nach historischem Original wieder eingebaut wurde, ebenso wie die außergewöhnliche Stuckdecke.
Kunstvoller Innenausbau
Einen hohen Stellenwert für das Gebäude hat der Baustoff Holz – als tragende Fachwerkkonstruktion ebenso wie beim Innenausbau. So wurde das auf Altbauten und Denkmalpflege spezialisierte Lemgoer Unternehmen Kramp & Kramp neben der Rekonstruktion des Fachwerks und den Zimmererarbeiten für Dach und Decken (siehe bauhandwerk 3.2020) auch mit den Kunstschreinerarbeiten für die Innenräume beauftragt. Diese umfassten neben den detailgetreu hergestellten Innentüren und Innenportalen auch die Fenster, die Treppenanlagen in Turm und Café sowie die Schiebegitter und Balustraden des Belvederchens, ebenso alle Dielenböden der Obergeschosse. Die nach historischem Vorbild gefertigte Ausstattung mit Schnitzereien, Intarsien und Marketerien erforderte eine hohe handwerkliche Expertise und viel Liebe zum Detail.
Rekonstruktion historischer Türen
Ins Auge fallen sofort die prächtigen Holztüren im Stil der Renaissance, die zugleich – möglichst unsichtbar – die heutigen Anforderungen hinsichtlich Brandschutz und Sicherheitstechnik erfüllen. So muss ein Teil der Türen einen rauchdichten Abschluss gewährleisten, auch elektronische Türöffner waren so zu integrieren, dass sie optisch nicht stören. Alle Innentüren sind aus massiver Eiche gefertigt und mit Leinöllasur eingelassen. Besonders prunkvoll sind die repräsentativen Holztüren und Portale im ersten Obergeschoss. Zur „Großen Stube“ gelangt man durch eine zweiflügelige Tür, die reich verziert ist: auf der Seite zur Stube mit geschnitzten Flächen und zum Flur mit Intarsien aus dunklem Nussbaum und Esche. Der Kunsttischler benötigte für die Herstellung dieser Tür etwa 18 Wochen – sein bislang umfangreichstes Türprojekt. Die Schnitzereien fügte der Bildhauermeister hinzu. Die fertiggestellte Tür bauten die Handwerker in der Werkstatt in Lemgo zusammen und prüften sie in Einzelteilen. Danach zerlegten sie Türe und Zarge wieder in die Einzelteile, denn die großformatige Tür hätte man im Ganzen nicht durch das schmale Treppenhaus der Goldenen Waage manövrieren können. Vor Ort wurde der Bausatz dann wieder zusammengesetzt. Ein Portal an der Stubenwand ergänzt die Tür. Der auskragende Türaufsatz wurde nach historischen Zeichnungen und Fotos rekonstruiert. Für den Löwenkopf in den Kapitellen wurde ein Schnitzmuster erstellt, um die Proportionen genau festzulegen und abzustimmen.
Auch die Portaltür zum Kaminraum ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Kunst der Spätrenaissance. Die zweiflügelige Doppeltür wird flankiert von gewunden gedrehten 2,10 m hohen Säulen mit korinthischer Basis und Kapitellen. Sie stehen auf Podesten mit geschnitzten Masken und sind bekrönt mit einem geschnitzten verkröpften Architrav im Stil der Zeit. Auch die Tür selbst ist aufwendig mit Intarsien gestaltet, und die Anschlagleiste trägt eine geschnitzte Herme auf Rankengerüst. Auch diese 150 x 245 cm große Tür wurde zur Probe in Lemgo aufgestellt, dann in Einzelelementen nach Frankfurt geliefert und dort wieder zusammengebaut. Die Beschläge erstellte ein Kunstschmied in Handarbeit nach historischen Vorlagen.
Kastenfenster mit Bleiverglasung
Ein authentisches Erscheinungsbild mit zeitgemäßen Anforderungen kombinieren mussten auch die Fenster. Bei der Gestaltung der Profile und der Wahl der Verglasung galt es, neben restauratorischen auch die bau- und sicherheitstechnischen Aspekte wie die energetischen Anforderungen zu berücksichtigen. Die Wiederherstellung der Fenster erfolgte auf Basis von Zeichnungen und historischer Fotos. Rahmen, Kämpfer und Profile sind aus Eiche. Die Fenster sind als Kastenfenster ausgebildet. Die außenliegende Scheibe ist eine 3 mm dicke Einfachverglasung in 45 mm schlanken Holzrahmen. Das Restaurierungsglas verfügt über eine leicht unregelmäßige Oberfläche, welche die Anmutung historischer Scheiben nachempfindet. Teilweise sind die Scheiben in Bleisprossen gefasst. Die Beschläge der Außenfenster sind handgeschmiedete Bänder und Reiber, sowie Fensterknöpfe, die verzinnt und patiniert wurden. Die innere Ebene ist dagegen als Innenvorfenster mit moderner Isolierverglasung und entsprechendem Wärmeschutz in schmalen 68 mm-Profilen ausgeführt, die mit farbloser Leinöllasur gestrichen wurden. Jeder Fenstertyp wurde individuell geplant, sowie Werk- und Montagezeichnungen angefertigt.
Treppenanlagen nach historischem Vorbild
Im 5 m hohen Erdgeschoss prägen die zweiläufige Treppe und die Empore wesentlich den großzügigen Raumeindruck des Cafés. Die Elemente wurden nach historischen Vorlagen – Zeichnungen und Fotos – aus massiver Eiche minutiös rekonstruiert. Besonders markant sind die Treppenbaluster sowie die Schnitzelemente. Für die Brüstungen der „Bobbelage“ – der Frankfurter Name für ein niedriges Zwischengeschoss – sowie der Treppe wurden 72 Baluster gewunden konisch gedrechselt. Diese Elemente sind aus massiver Eiche gefertigt, ebenso wie die Wendeltreppe im Treppenturm mit Tritt- und Setzstufen sowie der inneren Wange, die aus einem Stück als Rundling gearbeitet ist. Die Handläufe entlang der Wand bestehen aus geschmiedetem Stahl.
Bodenbeläge aus Eiche-Schlossdielen
Für die Bodenbeläge auf den Holzbalkendecken der Obergeschosse wurden Eiche-Schlossdielen verwendet, entsprechend der historischen Fotos. Um die geeignete Oberflächenstruktur und -behandlung zu finden, fertigte man Muster an. Zwei Varianten wurden hinsichtlich Struktur, Patina und Abnutzung verglichen: künstlich gealterte Oberflächen und als Alternative gebürstete und geschliffene Oberflächen. Gewählt wurde eine geschliffene Oberfläche mit Hartwachsbehandlung und rutschhemmender Beschichtung, da es sich hier um ein öffentliches Gebäude mit musealer Nutzung handelt.
Rekonstruktion des Belvederchens
Für die luftige Laube des Belvederchens errichteten die Mitarbeiter von Kramp & Kramp sowohl die tragende Konstruktion mit Stützen und Dachstuhl als auch die Schiebeläden entlang der Wände. Diese sind als filigrane Holzgitter ausgeführt, die Schatten spenden, aber auch komplett geöffnet werden können. Die Schiebeläden haben unterschiedliche Längen und eine Rahmenbreite von rund 46 mm. Außen sind sie mit einer Tropfleiste, raumseitig mit Fensterbrett und Verzierungen versehen. Die Gitterstäbe aus massivem Eichenholz sind 10 x 10 mm groß und verlaufen diagonal übereinander. Die Zierleisten oberhalb der Gitter zeigen einen fein detaillierten Rankschmuck. Dieser wurde separat geschnitzt und dann aufgeleimt. Zudem gibt es kleine geschnitzte Büsten, die auf die Zierleisten gesetzt sind. Sie wurden nach historischem Vorbild des Bauherrn Abraham van Hamel und seiner Frau Anna rekonstruiert. Für das Brüstungsgeländer des Belvederchens drechselten die Tischler etwa 140 Baluster aus alter Eiche aus Wiederverwendung.
Die Farbigkeit des Belvederchens konzipierten die Architekten in Abstimmung mit den Kunstmalern. Dabei ist die Ausgestaltung der Tonnendecke eine künstlerische Neuinterpretation. Da die Quellen nicht ausreichend für eine Rekonstruktion waren, realisierte man hier ein Fresko nach dem Entwurf des Londoner Künstlers Edward Allington mit Motiven von Musikinstrumenten und Bäumen. Die Neuinterpretation der historischen Ausmalung schafft einen reizvollen Dialog zwischen Alt und Neu und unterstreicht zugleich die Wertschätzung traditioneller Handwerkskunst, die das gesamte Gebäude prägen und auszeichnen.
AutorinDipl.-Ing. Claudia Fuchs studierte Architektur an der TU München. Sie arbeitet als freie Redakteurin und Autorin unter anderem für die Zeitschriften Detail, Baumeister, dach+holzbau und bauhandwerk.