Rundum neu: Energetische Sanierung einer Wohnanlage in Kassel

Die drei Mitte der 1970er noch recht modernen Flachdachbauten der GWG Kassel mbh verfügten bis vor kurzem noch vollständig über die technische Ausstattung aus der Entstehungszeit und waren dringend sanierungsbedürftig. Für einen zeitgemäßen energetischen Standard sorgt heute unter anderem ein WDVS.

Zwei der drei sechs- bis siebengeschossigen Mehrfamilienhäuser in Kassel sind bereits saniert. Der zweite Bauabschnitt endet Mitte dieses Jahres und der dritte Bauabschnitt wird im Mai 2012 abgeschlossen sein. Dann werden die drei Gebäude mit insgesamt 109 Wohneinheiten reine Baukosten in Höhe von 5,3 Millionen Euro verursacht haben, aber energetisch auch auf dem neusten Stand sein. Gefördert wurde das Projekt nach dem KfW-Effizienshaus 70 EnEV 2007.

Konstruktive Ausgangssituation der drei Gebäude

Die Außen- und Innenwände der drei Mitte der 1970er Jahre in Kassel erbauten Mehrfamilienhäuser bestehen aus 24er beziehungsweise 30er Kalksandstein-Mauerwerk sowie teilweise aus Beton. Im Bereich der Balkone bildeten die Betondecken vollflächige Wärmebrücken, da sie ursprünglich durchbetoniert und geschalt waren, inklusive Balkongeländer und außenliegender Stützen. Die Fassaden waren außen mit einer Unterkonstruktion aus Lattung und Konterlattung versehen und mit Faserzementplatten verkleidet. Eine 4 cm dicke Mineralwolle sorgte darunter für ein wenig Dämmung.

 

Erneuerung der Balkone

Aufgrund schlechter Betonqualität und unzureichender Überdeckung der Armierung war es in der Vergangenheit immer wieder zu Abplatzungen gekommen. „Es waren die klassischen Betonschäden, die man bei vielen Gebäuden aus den 1970er Jahren hat. Zum anderen gab es, bedingt durch die Baukonstruktion, sehr viele Wärmebrücken, vor allem im Bereich der Balkone“, erklärt Volker Oestereich, Leiter der Abteilung Technik bei der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Kassel mbH (GWG). Schließlich fiel die Entscheidung, die alten Balkonanlagen vollständig abzuschneiden und durch neue Leichtmetallkonstruktionen zu ersetzen. Die neuen, weitgehend wärmebrückenfrei eingehängten Balkone bestehen aus vorgefertigten Aluminiumelementen, wodurch sich das Gewicht erheblich reduzieren ließ.

„Die neue Konstruktion ist nur noch punktförmig auf einzelne Konsolen aufgelegt, denn irgendwie müssen die Lasten ja ins Gebäude übertragen werden“, erläutert Bauleiter August Karpenstein von der GWG. „Vollkommen wärmebrückenfrei bekommen wir es nicht hin, doch mithilfe spezieller Edelstahlanker und halbwegs geschickter Anordnung der Auflagerpunkte lassen sich diese zumindest erheblich reduzieren.“

Bei den Befestigungsankern handelt es sich um Einzelanfertigungen. Mit dem hinteren, runden Ende werden sie direkt in den Beton gebohrt, mit Quellmörtel verpresst und anschließend ausgerichtet. Der sichtbare Teil des Ankers ist viereckig ausgebildet und dient als Konsole für die Balkonelemente.

 

Fast lückenlos gedämmte Gebäudehülle

Nach dem Heraustrennen der alten Betonbalkone wurden die Fassaden komplett durchgedämmt. Zur Ausführung kam ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) mit 16 cm Polystyrol. Dabei handelt es sich um elastifizierte Schall-Dämmplatten (Heck EPS-Schall-Dämmplatten), die neben einer optimalen Wärmedämmung zugleich einen guten Schallschutz gegen Außenlärm gewährleisten. Zur Verklebung und Armierung verwendeten die Maler einen neu entwickelten Mörtel (Heck K+A Light 085), der sich durch gute Verarbeitungseigenschaften auszeichnet und deutlich verbesserte Werte bei der Diffusionsoffenheit sowie bei der Frost- und Tauwasserbeständigkeit hat. Zusätzlich zur Verklebung befestigten die Handwerker die Dämmplatten mit Dübeln. Als Oberputz brachten sie einen Edel-Dekor-Putz (Heck ED) in Kratzputzcharakter auf und beschichteten diesen mit Silikonharzfarbe (Rajasil SHF).

In der Fläche sind die Fassaden in gedecktem Weiß gestrichen. Nur die Vorsprünge sind farblich herausgehoben durch Lichtgrau und einen dunkleren Grauton, wodurch diese Architekturelemente eine plastischere Wirkung erhalten. Die neuen Kunststofffenster mit Dreifachverglasung und TGI-Abstandhaltern (U-Wert 0,7 W/m2K) sowie alle Metallteile setzten sich optisch durch einen eisengrauen Farbton ab.

 

Neuer Dachaufbau

Die Flachdächer aller drei Gebäude waren ursprünglich mit einer Kiesschüttung bedeckt. An den Rändern lag die Dachhaut jeweils frei und war aufgrund von Sonneneinstrahlung im Laufe der Zeit porös und schließlich undicht geworden, so dass die Altisolierung (7 cm Polystyrol) in einigen Teilflächen vollständig durchfeuchtet war. Außerdem gab es in den Dachgeschosswohnungen immer wieder Überhitzungsprobleme.

Die Attika bestand nur aus einem kleinen Betonkranz mit 4 cm Dämmung. Auch hier war Feuchtigkeit in die Konstruktion eingedrungen. Der alte, schadhafte Dachaufbau wurde bis auf die Betondecke komplett abgetragen. Anschließend verlegten die Dachdecker 2 x 10 cm Dachdämmplatten aus Polystyrol (Vedag-Lambdaroof 031 dh), darauf folgte ein üblicher Gründachaufbau. Das neue Gründach wertet nicht nur das optische Erscheinungsbild der Wohnhäuser auf, sondern wirkt sich vor allem auch auf das sommerliche Wärmeverhalten positiv aus.

 

Sonderlösungen waren für die Attika gefragt

Bei einer Dämmdicke von 20 cm verschwand die alte Attika regelrecht, was einen völlig neuen Aufbau erforderlich machte. Zudem musste sie an das 16 cm dicke WDVS angepasst werden. Auf die vorhandene Attika montierten die Dachdecker jeweils wechselweise Holzbohlen und Hartschaumplatten (Poresta) in insgesamt vier Lagen und schließlich eine auskragende OSB-Platte, die mit der Außenwanddämmung bündig abschließt. Die Konstruktion erhielt als Feuchtigkeitsschutz eine bituminöse Abdichtung und eine Zinkblechabdeckung, die zugleich den optischen Abschluss bildet. „Mit dieser komplett neuen Eigenentwicklung einer Dämm-Attika erreichen wir ausreichend Stabilität und gleichzeitig gute Dämmwerte“, erläutert August Karpenstein.

 

Gestalterische Aufwertung der Eingänge

In Verbindung mit der energetischen Sanierung nutzte das Planungsteam zugleich die Chance, die Gebäude auch gestalterisch aufzuwerten. Der Sanierung liegt ein umfassendes Konzept zugrunde, das sowohl die farbliche Fassadengestaltung mit Balkonen einbezieht, als auch die Eingangsbereiche und die Außenanlagen. Vor allem die Eingänge waren zuvor nur ein „Loch im Haus, wo es rein und raus ging“, erinnert sich Volker Oestereich. Zudem waren sie hinter Buschwerk und Erdhügeln verborgen. Eine umlaufende breite Beton-Attika verdunkelte die Eingänge zusätzlich.

Deshalb wurden sie bei allen drei Häusern vollständig umgestaltet und nach außen geöffnet. In Zusammenarbeit mit einem Kasseler Unternehmen entstand für das Gebäude des ersten Bauabschnitts ein anspruchsvolles Lichtkonzept, das teilweise auf die anderen beiden Wohnhäuser übertragen wurde. Im Erdgeschoss führen senkrechte Lichtstäbe, bestehend aus LED-Segmenten in einem warmen Farbton, in die Tiefe und sorgen Tag und Nacht für ausreichende Beleuchtung im Treppenhaus. Die klaren Linien der verglasten Vordachkonstruktion aus Stahl werden von Lichtleisten hervorgehoben und leuchten den Eingang nachts aus. Das Licht spiegelt sich in der Fläche aus roten Glasfliesen, die einen reizvollen optischen Akzent setzt.

 

Autorin

Anne Fingerling lebt und arbeitet als Baufachjournalistin und freie Autoren in Kassel und schreibt unter anderem für die Zeitschrift bauhandwerk.

Die als Balkone durchbetonierten Decken bildeten vollflächige Wärmebrücken

Die neu entwickelte Dämm-Attika bietet ausreichend Stabilität und gute Dämmwerte

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