Wohnen im Supermarkt
Dass man für wertvolle Bausubstanz nach einer neuen Funktion sucht, um die Gebäude zu erhalten, ist bekannt. Dass man aber auch einen Supermarkt zu Wohnhäusern umnutzt, ist neu. Solches ist seit März dieses Jahres dank der umsichtigen Planung des Züricher Architekturbüros EM2N in Winterthur zu sehen.
Es gibt Gebäude, in denen kann man sich durchaus vorstellen, nach einem gründlichen Umbau zu wohnen. Eine Scheune, eine Fabrik, selbst ein Wasserturm gehören dazu. Ob und wie die Gebäude umgenutzt werden, hängt in der Regel vom Wert der Bausubstanz ab. Aber welchen substantiellen Wert hat ein Supermarkt? Den reißt man doch ab, eben weil er keine historische oder wie auch immer von Wert geartete Bausubstanz hat – oder? „Der Sprung ist vom Industriebau zum Supermarkt gar nicht weit, um den Raum neu zu lesen“, meint Marc Holle vom Architekturbüro EM2N, der das Projekt „Umbau Rosenberg“ im schweizerischen Winterthur leitete. Dort hat das Büro nämlich einen Anfang der 1960er Jahre erbauten Supermarkt in fünf architektonisch anspruchsvolle so genannte „Hallenhäuser“ umgenutzt. Der Clou dabei: die ursprüngliche Kubatur bleibt erhalten, der Bestand wir um ein Attikageschoss aufgestockt.
Als die DN2M Projektentwicklungs AG, eine Tochterfirma des Büros EM2N, als Investor auf den Supermarkt in Winterthur aufmerksam wurde, stand dieser bereits seit zwei Jahren leer. „Wir haben gemeinsam mit den Projektentwicklern die Chancen erkannt, die im Gebäude stecken. Es wurde das erste gemeinsame Projekt, mit dessen spezieller Typologie wir eine Marktnische besetzen“, erinnert sich Marc Holle.
Einbau einer zusätzlichen Ebene
Der Supermarkt bestand aus zwei Geschossen: einem Keller und einem Erdgeschoss mit 4 m hohen Ziegelmauern mit Betonstützen und einer Betonrippendecke. Die 4 m hohen Räume waren es auch, in denen die Planer das Potential des Gebäudes erkannten. Die Rohbauer schnitten nämlich aus der Kellerdecke Teile heraus, die den Einbau einer zusätzlichen Ebene ermöglichten. Hierzu betonierten sie zwei neue Decken in die geöffneten Felder hinein, wodurch der darunter liegende Keller zum Kriechkeller wurde. Dadurch erhält man zwei Etagen mit einer Raumhöhe von üblichen 2,50 m, wo vormals nur ein 4 m hohes Geschoss war. Die offenen Wandabschnitte mauerten die Rohbauer mit Ziegeln bis unter die jeweilige Decke zu. Dadurch, dass ein Teil der Räume im Erdgeschoss jedoch seine ursprüngliche Raumhöhe von 4 m behielt, entstehen so genannte Split-Level-Wohnungen, die architektonisch besonders interessant sind. „Durch die auf diese Weise versetzt angeordneten Deckenebenen gibt es zudem keine Schallübertragung zwischen den einzelnen Wohnungen“, sagt Marc Holle. Dazu tragen natürlich auch die zweischaligen Wohnungstrennwände bei, welche die Rohbauer ebenfalls aus Ziegeln mauerten.
Neues Attikageschoss in Holzbauweise
Auch an anderer Stelle schnitten die Rohbauer Löcher in die Keller- und auch Erdgeschossdecke hinein. In ihnen führen heute die aus Ortbeton geschalten Treppen bis in das neue Attikageschoss hinauf. Dieses errichteten die Zimmerleute in Holzständerbauweise mit Holzbalkendecke und packten zwischen die Ständer 18 cm Dämmstoff hinein. Innen montierten sie auf den Ständern Gipsfaserplatten, außen brachte man zur Erhöhung der Dämmleistung zusätzlich ein 6 cm dickes WDV-System auf, das abschließend verputzt und mit einer Metalliclasur gestrichen wurde.
Körniger Putz mit dem Haushaltsschrubber bearbeitet
Der Putz ist es an diesem Gebäude auch, der eine besondere Betrachtung verdient. „Der Handwerker hat einen Haushaltsschrubber horizontal über den frischen Putz gezogen. So kommt eine Linie in den Putz hinein, der man die Handarbeit ansieht“, sagt Architekt Holle. Da die Handwerker für das 18 cm dicke WDV-System auf den massiven Bestandswänden einen Putz mit einem 1,5 mm Korn, für den Putz auf dem 6 cm dicken WDV-System der Holzständerwände der Attika jedoch ein 5 mm Korn verwendeten, entsteht auf der Fassade des obersten Geschosses eine deutlich gröbere Linienstruktur, als auf den darunter liegenden Putzoberflächen. „Mit der abschließenden Metalliclasur entsteht je nach Lichteinfall eine ganz unterschiedlich glänzende Oberfläche“, meint Marc Holle. Ganz nebenbei erfüllt der ehemalige Supermarkt dank der WDVS-Dämmung nun auch noch den schweizerischen Minergiestandard.
Vom Umgang mit dem Bestand
Sicher ist der ehemalige Supermarkt in Winterthur kein historisch wertvoller Bestand. Dafür zeigt das Projekt, was man selbst aus solch einem Gebäude machen kann. Einem der frisch gebackenen Supermarktbewohner gefiel die alte Betonrippendecke sogar so gut, dass er sie auch nach dem Umbau noch sehen wollte. „Da musste gespachtelt und gemalter werden. Am Deckenrand fanden sich dann auch noch alte Korkstücke, die herausoperiert werden mussten. Das war für die Handwerker eine wahre Doktorarbeit“, erinnert sich der das Projekt leitende Architekt. So blieb die Decke in dieser Wohnung als Zitat aus einer Zeit erhalten, als das Gebäude noch als Supermarkt genutzt wurde. In den übrigen Häusern erhielten die alten Betonrippen eine abgehängte Gipskartondecke, hinter der sich gut die Installation verstecken ließ.
Durch den in die 3 x 3 m großen Holz-Metall-Fenster eingebauten Flügel betritt man die Dachterrassen. Die Maueröffnungen im Gebäudeinneren stellen Sichtbezüge her, die auf kleiner Fläche in den Wohnungen Großzügigkeit entstehen lassen. Mehr kann man von einem zu vier Eck- und einem Mittelhaus mit 140 bis 180 m2 Wohnfläche umgebauten Supermarkt wirklich nicht verlangen.
Die ursprüngliche Kubatur bleibt erhalten und der Bestand wir um ein Attikageschoss aufgestockt
Teile der Kellerdecke öffneten die Rohbauer und betonierten eine zusätzliche Ebene hinein
Der Handwerker zog einen Haushaltsschrubber horizontal über den frischen Putz