Raus aus der Wohnungsbau-Krise: Mehr Förderung – einfaches Bauen
Der Wohnungsbau steckt tief in der Krise. Die Folgen davon werden die deutsche Wirtschaft insgesamt hart treffen. Davor haben Experten auf dem Wohnungsbau-Tag in Berlin gewarnt.
Zwei Wohnungsbau-Studien, die auf dem Branchen-Gipfel in Berlin vorgestellt wurden, gaben für das Bauen und Wohnen in Deutschland eine düstere Prognose ab: Das Wegbrechen des Wohnungsneubaus werde der Volkswirtschaft in diesem Jahr Milliarden-Verluste und dem Staat erhebliche Rückgänge bei den Steuereinnahmen bescheren.
Das Wegbrechen des Wohnungsneubaues wird der Wirtschaft Milliardenverluste bescheren. Das sagt das Verbändebündis Wohnungsbau
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Gleichzeitig erlebe Deutschland einen neuen Rekord-Wohnungsmangel: Aktuell fehlten bereits mehr als 800.000 Wohnungen. Das sei sozialer Sprengstoff und lasse politische Unzufriedenheit wachsen. Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes sagte: „ Es gab erhebliche Mietsteigerungen. Die Bundesregierung wollte 100.000 Sozialwohnungen schaffen. Aber es sind nur 25.000 geworden bislang. Ausbaden müssen das die Mieterinnen und Mieter in diesem Land, die vor existenziellen Sorgen stehen.“
Vor allem aber halte fehlender Wohnraum auch dringend gebrauchte Fachkräfte aus dem Ausland zunehmend davon ab, nach Deutschland zu kommen. Dies sei eine „fatale Entwicklung, bei der die Krise im Wohnungsbau einen Dominoeffekt und damit massiven Schaden für weite Teile der Wirtschaft auszulösen droht“, so das Verbändebündnis Wohnungsbau, das den Branchen-Gipfel organisiert. In dem Bündnis haben sich neben dem Deutschen Mieterbund und der IG Bau Verbände der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie der Mauerstein-Industrie und des Baustoff-Fachhandels zusammengeschlossen.
Forderung: Sonderförderung für den Wohnungsneubau
Gemeinsam fordern sie die Bundes- und Landespolitik zu einer sofortigen Sonderförderung des Wohnungsneubaus auf. Konkret würden jährlich 23 Milliarden Euro an Subventionen benötigt: 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen. Und zusätzlich noch einmal 8 Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen. Das geht aus Berechnungen hervor, die Wissenschaftler des schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstituts ARGE (Kiel) in ihrer Studie zum Wohnungsbau-Tag gemacht haben. Es sei dringend notwendig, dieses Geld als „Ad-hoc-Förderung des Staates für den Wohnungsneubau“ bereitzustellen. Außerdem müsse deutlich einfacher gebaut werden. Fazit: Keine überzogenen Standards und deutlich mehr Förderung – nur so schaffe Deutschland den Weg aus der Wohnungsbau-Krise.
Prof. Dietmar Walberg (am Stehtisch) von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) fordert das Bauen zu vereinfachen. Auf dem Podium sprachen zudem (v. links) Dr. Hans Zapf, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks-und Wohnungsbau, Dirk Salewski, Präsident Freier Immobilien-und Wohnungsunternehmen, Axel Gedaschgo, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Robert Feiger, IG-Bau-Bundesvorsitzender, Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund, Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel und Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes.
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Der Wohnungsbau-Tag hat dem politischen Berlin die Dimension der Branche deutlich vor Augen geführt. Zum ersten Mal untersuchten Wissenschaftler gezielt – und damit isoliert vom restlichen Bausektor – die wirtschaftliche Bedeutung des Wohnungsbaus. Das Beratungsunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Econ) ermittelte dabei für die Wohnungsbaubranche eine Bruttowertschöpfung von insgesamt rund 537 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Der Wohnungsbau stecke damit – quer durch alle Wirtschaftsbereiche – hinter jedem siebten Euro der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland.
Jeder 7. Arbeitsplatz hat mit Wohnungsbau zu tun
Außerdem habe jeder siebte Arbeitsplatz mit dem Wohnungsbau zu tun: Hier sei es im vergangenen Jahr um die Jobs von knapp 6,6 Millionen Menschen gegangen – 2,3 Millionen davon mit einem Arbeitsplatz direkt in der Wohnungsbaubranche. Auch finanzpolitisch hat der Wohnungsbau Gewicht: Hinter ihm steckten im vergangenen Jahr Steuereinnahmen von 141 Milliarden Euro – immerhin 17 Prozent der gesamten Steuereinnahmen in Deutschland.
Außerdem zieht die Studie einen volkswirtschaftlichen Vergleich zwischen der Automobilbranche als „Zugpferd der deutschen Wirtschaft“ und dem Wohnungsbau. Im Fokus dabei: die Bruttowertschöpfung und die Arbeitsplätze. Das Fazit der Wissenschaftler: Beide Branchen leisten einen ähnlich großen Beitrag zur deutschen Wirtschaft. „Volkswirtschaftlich sind beide – Auto- und Wohnungsbau – auf Augenhöhe. Wobei der Wohnungsbau Binnenkonjunktur-Motor ist: Er produziert in Deutschland – und für die Menschen im Land“, so das Verbändebündnis Wohnungsbau.
Wann wird Deutschland wieder Wohn-Nation?
Es komme jetzt darauf an, dass auch die Politik den „Konjunkturmotor Wohnungsbau“ wiederentdecke – als starkes Zugpferd für die Wirtschaft. Die Branche konfrontierte dazu Top-Politiker auf dem Wohnungsbau-Tag mit einer provokanten Frage: „Wann wird Deutschland – neben der Auto-Nation – endlich auch wieder eine Wohn-Nation?“
Die Zeichen dafür stehen aktuell allerdings schlecht: Schon drei Jahre in Folge sind die Gesamtinvestitionen in den Wohnungsbau rückläufig. Doch jetzt erwartet das DIW in diesem Jahr beim Wohnungsbauvolumen sogar einen deutlichen nominalen Rückgang von 5,4 Prozent. Allein für den Staat würde das gegenüber dem Vorjahr ein dickes Minus von fast 5 Milliarden Euro bei den Steuereinnahmen bedeuten.
Wohnungsbau: Möglichmacher von Beschäftigung
Eine Entwicklung, vor der Wirtschaftswissenschaftler warnen. DIW-Studienleiter Prof. Martin Gornig sieht im Wohnungsbau sogar eine „Achillesferse der deutschen Wirtschaft“, die deutlich angeschlagen sei: „Der Wohnungsbau ist ein wichtiger Enabler für die Wirtschaft – ein ‚Möglichmacher von Beschäftigung‘. Fachkräfte werden gerade in den Ballungsräumen dringend gebraucht. Sie wollen kommen. Aber sie werden nicht kommen, wenn sie keine Wohnung finden, die sie sich leisten können.“
Dazu das Fazit der Branche auf dem Wohnungsbau-Tag: „Es gibt kein Wachstum der Gesamtwirtschaft ohne Wachstum im Wohnungsbau. Passiert jetzt nichts, dann erlebt Deutschland einen Bumerangeffekt der Wohnungsbau-Krise, der die gesamte Wirtschaft empfindlich treffen wird“, so das Wohnungsbau-Bündnis.
9,3 Millionen Menschen in überbelegten Wohnungen
Seit 2020 sind die Baukosten um 42 Prozent angestiegen
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Die Wohnungsnot sei wirtschaftlich, aber auch sozial längst ein „politischer Risikofaktor“. Jeder dritte Mieterhaushalt – und damit über 7 Millionen Haushalte bundesweit – sind nach Angaben des Bündnisses mit ihren Wohnkosten überlastet: Sie seien gezwungen, mehr als 30 Prozent ihres verfügbaren Einkommens fürs Wohnen auszugeben. Jeder sechste Mieterhaushalt (3,1 Millionen Haushalte) zahle über 40 Prozent allein für die Kaltmiete. Die Hälfte davon müsse sogar 50 Prozent oder mehr vom Einkommen fürs Wohnen aufbringen.
Aktuell leben rund 9,3 Millionen Menschen in Deutschland in überbelegten Wohnungen – und damit 11 Prozent der Bevölkerung. Das geht aus der ARGE-Studie zum Wohnungsbau-Tag hervor. Besonders betroffen seien armutsgefährdete Menschen. Von ihnen lebe mehr als jeder Fünfte auf zu engem Raum. „Durch die Krise im Wohnungsbau eskaliert die Wohnungsnot. Gelingt es nicht, die Krise abzuwenden, folgt den wohnungsbaupolitischen Defiziten ein sozialpolitisches Versagen“, warnt das Wohnungsbau-Bündnis.
„Es ist einfach fatal, dass die Bevölkerung in den relevanten Regionen deutlich schneller wächst als die Anzahl der Wohnungen. Und außerdem ist es – auch schon mit Blick auf die Altersvorsorge – verhängnisvoll, dass sich immer weniger Menschen einen Neubau als Wohneigentum leisten können. Die Folge liegt auf der Hand: Wer sich früher seine eigenen vier Wände anschaffen konnte, drängt heute auf den ohnehin überstrapazierten Mietwohnungsmarkt“, sagt ARGE-Studienleiter Prof. Dietmar Walberg.
Bauliche Standards auf dem Prüfstand
Prof. Dr. Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) betonte die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Wohnungsbaues. Jeder 7. Arbeitsplatz ist im Wohnungsbau
Foto: Tobias Seifert
Der Chef des schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstituts fordert deshalb neben einer deutlich höheren Förderung für den Wohnungsneubau vor allem auch, dass „alle – und allen voran der Staat – kräftig an den Stellschrauben bei den baulichen Standards drehen“. Viele Normen, Vorgaben und Auflagen seien „schlichtweg überzogen“, so Prof. Walberg. Alles, was die Kosten beim Neubau unnötig nach oben treibe, gehöre auf den Prüfstand. „Vieles wird mit High-End-Standards gebaut, weil es sonst keine Förderung gibt. Anderes, weil es ökologisch oder mit Blick auf den Wohnkomfort vermeintlich ein Optimum bietet. Hier brauchen wir ein neues Augenmaß für das, was wirklich Sinn macht und auch noch bezahlbar ist“, fordert ARGE-Institutsleiter Prof. Dietmar Walberg.
Seit 2000 hätten sich die Baukosten im Wohnungsbau pro Quadratmeter verzweieinhalbfacht. Preistreiber sei dabei vor allem die Technik in den Gebäuden – von der Heizung über die Lüftung bis zur Sanitär- und Elektrotechnik. Einen enormen Preis-Push habe der Wohnungsbau seit 2020 erlebt: Seitdem gab es einen Anstieg der Baukosten von mehr als 42 Prozent, so die Wissenschaftler der ARGE. „Um schnell wieder bezahlbare Wohnungen bauen zu können, müssen sofort alle Möglichkeiten genutzt werden, die Baukosten zu senken. Und das geht nur über ein Senken der Standards: Also, wir müssen einfacher bauen. Wir müssen anders bauen. Sonst bauen wir bald gar nicht mehr“, so der eindringliche Appell von Prof. Dietmar Walberg auf dem Wohnungsbau-Tag. (bhw/ela)