Bauhaus reloaded: Unscharfe Rekonstruktion der Meisterhäuser in Dessau

Nach jahrelangen Diskussionen ist das Ensemble der Dessauer Meisterhäuser wieder komplett. Es wurde jedoch nicht einfach rekonstruiert, sondern die Kubatur der Häuser in abstrakter Form wieder aufgebaut. Die Hülle besteht aus Dämmbeton, der dank mine­ralischer Lasur optisch homogen wirkt.

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Besonders bei Sichtbeton weichen Idee und Umsetzung gerne voneinander ab. Statt ebenmäßigen und homogenen Oberflächen legt das Entschalen ruppige Wände oder Mauern frei. Vor derlei Diskrepanz bleiben selbst prominenteste und engagierteste Bauvorhaben nicht verschont – auch nicht die beiden „neuen“ Meisterhäuser in Dessau. Mineralische Lasuren von Keim und die Experten der Berliner Arbeitsgemeinschaft Betonlasur retteten dort das architektonische Konzept der beiden neuen Gebäude. Die stehen als die scharfkantige Monolithe dort, wo kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges ein Bombentreffer für Verwüstung sorgte. Damals fielen das 1926 erbaute Direktorenhaus und die benachbarte, einst vom Architekten und Bauhausmeister Moholy-Nagy bewohnte Doppelhaushälfte zusammen. Während letzteres nie mehr aufgebaut wurde setzte man 1956 auf den noch intakten Keller des Direktorenhauses ein Einfamilienhaus mit Satteldach.

Rekonstruktion mit Unschärfe

Während die verbliebenen Meisterhäuser in den vergangenen Jahren nach und nach restauriert wurden, blieben Brache und Satteldach unangetastet. Erst 2002 wuchs die Idee einer Rekonstruktion heran, begleitet von ausgiebigen Diskussionen um Sinn oder Unsinn derselben. Mehrere Architekturwettbewerbe blieben ohne bauliches Ergebnis, erst 2010 sollte sich das ändern. Der Gewinner dieses Wettbewerbs, das Architekturbüro BFM in Berlin, präsentierte eine Wiederherstellung, die nur ansatzweise mit Rekonstruktion zu tun hatte und hat. Statt detailgetreuer Nachbauten lässt das Konzept die Häuser nur als scharfkantige, monolithische Volumen wieder erstehen. Die Kuben bestehen aus Dämmbeton, vor Ort als glatte Flächen errichtet; wo einst Öffnungen waren, ist die Hülle ausgeschnitten und mit transluzenten Gläsern in schmalen schwarzen Rahmen geschlossen. Die Abstraktion ist gewollt, statt das konkrete Abbild zu vermitteln, produziert das Konzept eine Unschärfe, ein vages Bild dessen, was einst war. Dieses Prinzip potenziert sich im Inneren. Die Raumaufteilung hat überhaupt nichts mehr mit der von einst zu tun, die Wände und Decken lösen sich völlig von der Hülle. Eine ausgesprochen eigenwillige und zunächst irritierende Idee, die sich aber nach einer Annäherungsphase als ausgesprochen sinnfällig erweist.

Nun ist die monolithische Wirkung letztlich auch eine Frage der Oberflächen-Homogenität des Dämmbetons. Weil die aber nicht in dem Maße gewährleistet war, wie von den Planern verlangt, stand früh die Überarbeitung mit einer Lasur fest. Neben der Angleichung von Grauverschiebungen, der Aufhellung des insgesamt zu dunklen Betons, dem „Nachschärfen“ der Kanten und dem Ausbessern von Schäden ließen sich so auch die konischen, ausgespachtelten Ankerlöcher der Schalungen verbergen.

Mit Betonlasuren homogenisiert

Für die Umsetzung dieser Homogenisierung waren die Experten der Berliner Betonlasur AG zuständig, die bereits die Betonoptik zahlreicher prominenter Bauten retteten. Für die beiden Meisterhäuser nutzte man die leicht weiß pigmentierte mineralische Lasur Keim Concretal, welche die Maler per Hand mit Bürsten auftrugen. „Das war durchaus eine Herausforderung, weil besonders die Ankerlöcher schwer zu überarbeiten waren“, erinnert sich Oliver Jungheim von der Arbeitsgemeinschaft rückblickend. „Wir planten ursprünglich zunächst einen hydrophobierenden und dann zwei lasierende Arbeitsgänge“, so Jungheim weiter. Tatsächlich setzte das Team drei Lasurgänge um, nur so ließen sich die Helligkeitsunterschiede auf der Fläche wie gewünscht angleichen. So konnten die Handwerker auch die Deckenuntersichten im Außenbereich an die Gesamtwirkung beschichtungstechnisch angeglichen.

„Eigentlich haben wir mit der Lasur die Idee der Unschärfe auf der Oberflächenebene weitergeführt und dem Konzept noch mehr Konsequenz verliehen“, resümiert Oliver Jungheim, der selbst Architekt ist. „Auch wenn sich die Sache einfach anhört, gerade das Lasieren war schwierig angesichts der großen, ungegliederten Flächen, auf denen aber keinerlei Ansätze erlaubt waren“, meint Jungheim.

Autor
Dipl.-Ing. Architektur (FH) Armin Scharf arbeitet als freier Fachjournalist, Texter und Fachbuchautor in Tübingen. Zu seinen Themenschwerpunkten gehören Industrialdesign, Bautechnik und Farbdesign.

„Eigentlich haben wir mit der Lasur die Idee der Unschärfe auf
der Oberflächenebene weitergeführt“

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