Berufsbekleidung: Plädoyer für Warnkleidung
Das fluoreszierende Orange von Warnkleidung wird klassischerweise mit der Müllabfuhr oder Straßenarbeitern in Verbindung gebracht. Dabei hat die auffällige Kleidung längst ihr Image aufpoliert und wird in diversen Bereichen des Baugewerbes eingesetzt.
Viele Handwerker machen aber um die „Klamotte“ in fluoreszierendem Gelb oder Orange und mit den Reflexstreifen einen Bogen. Dabei begeben sie sich in ähnlich gefährliche Situationen wie ihre straßenbauenden Kollegen, etwa wenn beim Kunden kein Parkplatz zur Verfügung steht und sie ihre Transporter auf öffentlichen Straßen be- und entladen müssen: Hier können Reflexstreifen an den Hosenbeinen schon beim Aussteigen die Erkennbarkeit deutlich verbessern.
Aber auch auf Baustellen kann es brenzlig werden: Von den großen Höhen eines Krans lässt sich das Treiben am Boden nur undeutlich erkennen. Dort geht es ohnehin unübersichtlich zu: Es sind große Maschinen im Einsatz, das Verkehrsaufkommen ist hoch, Lkw rangieren. Regen und Dunkelheit verschlimmern die Situation. Wer bei solchen Bedingungen mitten im Geschehen unterwegs ist, läuft Gefahr, übersehen zu werden. So kommt es auf Baustellen jedes Jahr wieder zu Überfahr-Unfällen. Durch das Tragen von jederzeit sichtbarer Warnkleidung ließe sich möglicherweise mancher Unfall verhindern. Daher sind mehr und mehr Handwerksbetriebe dazu übergegangen, ihren Beschäftigten Warnkleidung zur Verfügung zu stellen. Sie soll sicherstellen, dass die Mitarbeiter bei allen Lichtverhältnissen auffällig sichtbar sind.
Unnatürlich auffällig
Damit dies gelingt, macht sich Warnkleidung zwei Besonderheiten zu Nutze. Für das so genannte Hintergrundmaterial werden fluoreszierende Farben verwendet, die in der Natur nicht vorkommen. Warngelb, -orange und -rot fallen daher schon von Weitem ins Auge und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings sollte das Einsatzumfeld bei der Auswahl der Farbe berücksichtigt werden: Eine gelbe Warnschutzkombi (Jacke + Hose) ist beispielsweise vor einem gelben Rapsfeld eher ungünstig. Zudem ist die Wirkung der Fluoreszenzfarben nur auf Tageslicht beschränkt, in der Dunkelheit verlieren sie ihre „Strahlkraft“. Nachts übernehmen daher so genannten Retroreflexstreifen die Warnfunktion: Sie spiegeln Scheinwerferlicht gerichtet zurück, so dass die Streifen wirken, als würden sie selbst leuchten. Die Menge der beiden Komponenten spielt bei der Erkennbarkeit eine große Rolle; sie wird durch die zuständige Norm ISO 20471 beschrieben und bestimmt zugleich die Schutzklasse, von denen es drei gibt. Klasse 1 bildet das niedrigste Schutzniveau ab; die Fläche des fluoreszierenden Hintergrundmaterials beträgt 0,14 m², die des Retroreflexstreifens 0,1 m². Eine entsprechend zertifizierte Warnkleidung muss tragen, wer im Straßenverkehr mit einer Geschwindigkeit von ≤ 30 km/h arbeitet. Liegt das Tempo der Fahrzeuge bei einer Geschwindigkeit von > 60 km/h, ist Warnkleidung der Leistungsklasse 3 vorgeschrieben. Ihre Retroreflexfläche ist doppelt so hoch wie die der Klasse 1, die Fläche des Hintergrundmaterials ist fast sechs Mal höher. In Abhängigkeit der erforderlichen Schutzklasse umschließen retroreflektierende Reflexstreifen und fluoreszierende Oberstoffe den Torso sowie Hosenbeine und Ärmel mehr oder weniger ganz, was zu der vom Gesetzgeber angestrebten erhöhten Sichtbarkeit führt. Es ist jedoch kaum möglich, die für Leistungsstufe 3 geforderte Menge des farbigen Materials in sehr kleinen Konfektionsgrößen unterzubringen, weshalb sie in der Regel erst bei Größe S beginnt. Auch Bermudas sind mit der hohen Sicherheitsstufe nicht machbar. Bei einer geringeren Schutzklasse bestehen diese Einschränkung aufgrund der geringeren Mindestflächenvorgaben aber nicht.
Risiken durch Straßen- und
Baustellenverkehr berücksichtigen
Auch wenn die ISO 20471 grundlegende Rahmenbedingungen für Warnkleidung definiert, ergibt sich der tatsächlich notwendige Schutzumfang einer Kleidung immer aus der Gefährdungsanalyse, die jeder Betrieb durchführen muss. Dazu gibt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) in ihrem Regelwerk BGI/GUV-I 8591 wertvolle Hilfestellung zur Umsetzung von staatlichen Arbeitsschutzvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften, besonders auch für Arbeiten im Straßenverkehr. Durch die Ermittlung der Risikostufen „hoch“, „mittel“, „niedrig“ kann der Arbeitgeber die entsprechende Schutzklasse auswählen. Unbedingt zu berücksichtigen ist dabei auch, ob das ganze Jahr über in Verkehrsbereichen gearbeitet wird. Dann ist unter Umständen nicht nur Warnschutz, sondern auch ein ergänzender Nässe- und Kälteschutz notwendig.
Während im Straßenbau, der Brückeninstandsetzung, dem Gleisbau und diversen anderen Berufen das Tragen von Warnkleidung durch Rechtsvorschriften verbindlich geregelt ist, gibt es für Bauhandwerker keine entsprechenden Vorgaben. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels empfiehlt sich jedoch, die vom Straßen- und Baustellenverkehr ausgehenden Gefährdungen in die Bewertung der Arbeitssicherheit eines Betriebs einzubeziehen.
Die Optik stimmt
Der moderne Look, ein hoher Tragekomfort und eine große Funktionalität der aktuellen ISO 20471-Kollektionen dürfte Handwerksbetrieben die Entscheidung „pro“ Warnkleidung leichter machen. So bieten schmal geschnittene Hosen aus Stretch-Geweben und Softshell-Jacken sowie Damen- und Herrenmodelle jedem Team-Mitglied eine hohe Bewegungsfreiheit. Für mehr Schick sorgen die Besatzfarben, die in den unverzichtbaren Trendtönen Anthrazit, Schwarz, Tintenblau und Königsblau gehalten sind. Sie werden – je nach Leistungsklassen – mehr oder weniger umfassend mit Hi-Vis gelb, orange und in jüngster Zeit auch mit fluoreszierendem Rot kombiniert.
Bei Wäsche und Aufbewahrung
ist Sorgfalt geboten
Warnkleidung zählt zur persönlichen Schutzausrüstung. Bei der Auswahl der Ausstattung für die Mitarbeiter sollte man darauf achten, dass Oberteile und Hosen nach der geltenden Norm ISO 20471 zertifiziert sind. Diese ist an dem Symbol einer Warnweste und einer rechts davon stehenden Zahl (1 bis 3 für die Leistungsklasse) zu erkennen. Die Norm fordert außerdem, dass die hoch sichtbare Kleidung mindestens fünf Reinigungsgänge aushalten muss, ohne an Wirkung zu verlieren. Damit die persönliche Schutzausrüstung im Gebrauch dann auch hält, was der Hersteller verspricht, müssen dessen Waschanweisungen eingehalten werden. Betriebe, die ihre Warnkleidung selbst waschen, sollten daher ein Augenmerk auf die vorgegebene Waschtemperatur legen: Wer sich im Job sehr dreckig macht, sollte Jacke und Hose bei 60°C pflegen oder in die chemische Reinigung geben können. Andernfalls kann Schmutz auf der Kleidung zurückbleiben, der die Sichtbarkeit einschränkt. Auch bei den Waschmitteln muss man die Herstelleranweisungen befolgen: Da Pulverwaschmittel optische Aufheller enthalten, die fluoreszierende Farben „überlagern“, empfehlen die Waschanleitungen spezielle, aufhellerfreie Colorwaschmittel. Um die Farbe nicht anderweitig zu schädigen, sollen außerdem auf Fleckentferner und Bleichmittel verzichtet werden. Man sollte sich grundsätzlich fragen, ob die Haushaltswäsche die richtige Lösung ist. Umsicht ist auch bei der Aufbewahrung von Warnkleidung geboten: sie sollte trocken und lichtgeschützt – also nicht den ganzen Sommer im Auto – gelagert werden.
Kontrolle ist unerlässlich
Genaugenommen ist die Wirkung von Warnkleidung auf 5 Reinigungszyklen begrenzt – es sei denn, der Hersteller gibt in seinen Informationen und/oder dem Pflegekennzeichen eine höhere Anzahl an. Selbstredend können Jacken und Hosen auch nach Erreichen der Mindestreinigungszyklen weiter genutzt werden. Die Mitarbeiter müssen aber die Schutzkleidung vor jeder Benutzung durch Sichtprüfung auf ihren ordnungsgemäßen Zustand kontrollieren. Für einen Laien ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Wer kann schon mit bloßem Auge bestimmen, ob die in der Norm vorgegebenen Normfarbwertanteile der Hi-Vis-Farben eingehalten oder die Mindestrückstrahlwerte der Reflexstreifen erreicht werden? Immerhin kann ein mit Blitz geschossenes Foto zeigen, ob die Reflexstreifen überhaupt noch eine Reflexwirkung haben. Mehr Sicherheit bietet der textile Mietservice, der als Inverkehrbringer der Warnkleidung für deren Funktionsfähigkeit verantwortlich ist. Üblicherweise werden in der Branche optische Vergleichsstandards herangezogen. Dem Textilserviceanbieter diemietwaesche.de (Villingen-Schwenningen) ist es jedoch gelungen, die Qualitätsprüfung von Warnkleidung zu „automatisieren“. Mit Hilfe eines portablen, patentierten Messgeräts, dem HiVisionizer, wird jedes einzelne Bekleidungsteil vermessen. So können Wirkungsverluste an den Reflexstreifen und den Hi-Vis-Farben festgestellt und über Reparatur oder Austausch eines Teils entschieden werden. Außerdem setzt das Unternehmen das Messgerät zur Kontrolle von Neuware ein und stellt dadurch sicher, dass wirklich „drin ist was draufsteht“.
AutorinDipl.-Ing. Sabine Anton-Katzenbach ist Textil-veredlungsingenieurin und Inhaberin der Textilberatung Hamburg. Sie arbeitet als Beraterin und Journalistin. www.textilberatung.com