Denkmalgerechte Translozierung
Umzug und Sanierung einen Umgebindehauses
Umgebindehäuser sind eine Kombination aus Block-, Fachwerk- und Massivbauweise. Man findet sie im Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien. Ein typischer Vertreter ist das Stellmacherhaus in Zgorzelec/Görlitz, dessen Translozierung auf der denkmal 2012 mit dem Bernhard-Remmers-Preis ausgezeichnet wurde.
Die Umgebindehäuser entstanden im 15./16. Jahrhundert. Dorfhandwerker vereinten seinerzeit die Fachwerk- und Blockbauweise miteinander. Die Block- oder Bohlenstube – einem Holzkasten gleich – wird hierbei von einem Tragwerk „umbunden“, auf dem das Dach oder Fachwerkobergeschoss ruht. Die Stützkonstruktion ist das Umgebinde. Für diese Bauweise gab es auch einen praktischen Grund. Der Webstuhl in der Wohnstube sollte seine Schwingungen nicht auf das Tragwerk übertragen.
Die Anforderungen von Wohnen und Arbeiten wurden in idealer Weise durch die geeignete Verwendung vor Ort vorkommender Materialien und den daraus entwickelten Konstruktionen erfüllt. Die verschiedenen Haustypen, Bauelemente und Materialkombinationen mit Bruchstein-, Ziegel- und Natursteinmauerwerk sowie Blockbau und Fachwerk erfordern eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Baugefügen.
Das mehrstöckige Stellmacherhaus aus dem Jahr 1822 ist als Stock-Umgebindehaus mit Block-Erdgeschoss und Fachwerkstock ein wertvolles Beispiel der ehemaligen Lausitzer Architektur. Es sind die vielen Details, die die Einzigartigkeit dieses Baudenkmals ausmachen, wie die Pfosten mit Zierholzschnitzereien, verstärkt mit kurzen, bogenförmigen Kopfbändern, das Mansardendach, die Steinbinder, das Portal und die schmiedeeisernen Elemente der Türen und Gitter.
Das bereits vom Verfall bedrohte Gebäude schien nun endgültig dem Untergang geweiht, denn der Fachwerkbau stand ursprünglich im 23 km entfernten Wigancice Zytawskie. Diese alte Dorflandschaft sollte wegen der Expansion des nahegelegenen Bergwerks Turów vollständig eingeebnet werden. Dann kam die Idee der Verlegung, der Translozierung des kompletten Bauwerks. Öffentliche Mittel wurden zugesagt und das Projekt konnte starten.
Demontage des Stellmacherhauses
Bereits 1999 erfolgte eine exakte zeichnerische Bestandsaufnahme sowie eine detaillierte Bau- und Zustandsbeschreibung als Dokumentation und Grundlage der Translozierung. Zur Sicherung des Gebäudes wurden zunächst die Fenster und Türen des Stellmacherhauses komplett ausgebaut und die Öffnungen mit Brettern geschlossen. Zur Vermeidung von Feuchte- und Schwammschäden an den Hölzern entfernte man die Fußböden und die Lehmfüllungen.
Der „Rückbau“ wurde 2005 in Form einer wand- beziehungsweise gebindeweisen vorsichtigen und die Substanz schonenden Demontage in nur drei Tagen vorgenommen. Nach Abnahme der Dachziegel nummerierten die Handwerker die 520 Einzelteile der Konstruktionshölzer von Blockstube, Umgebinde und Fachwerkskelett einzeln und imprägnierten diese mit Adolit Holzwurmfrei. Die demontierten Holzbalken, die nicht sofort geschützt werden, unterliegen meist einem beschleunigten Zerfall. In diesem Fall gelang es aber, alle Teile binnen zwei Wochen durch die Imprägnierung sorgfältig zu konservieren. Die Zeit verwendeten die Handwerker dafür, um allseitig einen sehr effektiven vorbeugenden und bekämpfenden Holzschutz am Einzelteil durchzuführen. Aufgrund des guten Zustandes des Lärchenholzes mussten die Zimmerleute nur sechs Teile ersetzen.
Der Abbau des ersten Stockwerkes erfolgte ohne Demontage der Pfeiler des Umgebindes, die mit den Holmen verbunden waren. Der durch die örtliche Polizei gesteuerte Transport erforderte Spezialfahrzeuge, denn die Ladung hatte Übergröße – die längsten transportierten Pfeiler hatten eine Länge von 17,05 m.
Errichtung des Stellmacherhauses am neuen Standort
Neun Tage dauerte das Aufrichten der Holzkonstruktion am neuen Standort in Zgorzelec und der Zusammenbau des originalen Stützwerks ohne Schrauben und Nägel. Zur Vorbereitung waren der gemauerte Teil des Erdgeschosses und der Keller mit Betondecke am neuen Standort bereits fertiggestellt, ebenfalls die Kreuzgewölbe aus Ziegel.
Für die Ausführung im Holz- und Bautenschutz arbeiteten die beteiligten Unternehmen eng mit der Baudenkmalpflege und mit Experten der Firma Remmers zusammen. Zur Bekämpfung holzzerstörender Insekten und Pilze sowie zum Schutz der Holzkonstruktion vor Neubefall setzten die Handwerker „Holzwurmfrei“ und „Anti Insekt“ ein. Für den dekorativen Holzschutz verwendeten sie die HK-Lasur von Remmers, die das Konstruktionsholz auch vor Bläue, Fäulnis, Algen, Insekten und UV-Strahlung sowie Feuchte schützt. Für Gefachfüllungen, die nicht erhalten werden konnten, verwendeten die Handwerker neuen Gefachmörtel. Nachdem bei den Innenwänden, Decken und Blockhölzern die alten Farbschichten abgenommen wurden, zeigen die Oberflächen jetzt wieder zum größten Teil die ursprüngliche Schönheit durch eine Beschichtung mit farbigem Hartwachs-Öl. Die Verfestigung aller Natursteinelemente erfolgte mit KSE 300, ein Präparat auf Basis von Kieselsäureestern. Die Sandsteinoberflächen hydrophobierten die Handwerker mit Funcosil SNL, uns sie gegen Durchfeuchtung und Zerfall zu schützen. Fehlstellen besserten sie mit farblich angepasstem Restauriermörtel aus.
Als Bauwerksabdichtung verwendeten die Handwerker das Verkieselungspräparat Kiesol und die Elastoschlämme 2K als Verbundabdichtungen, die neben Sulfatexschlämme und Sanierputz zum Einsatz kamen. Als Fußboden wurden in der Blockstube die auf dem Dach nicht wieder verwendbaren alten Biberschwänze verlegt. Sie erhielten als Finish eine Epoxy Imprägnierung.
Die geschnitzten und profilierten Holzteile der Umgebindeständer und der Decke in der Blockstube, das Portal und die Steingewände der Fenster, die Fensterbekleidungen und die Schmiedearbeiten zeigen heute wieder die außerordentliche Lausitzer Handwerkskunst. 80 Prozent der Fenster und Türen, inklusive Futter und Innenbekleidungen, blieben erhalten. Von den 66 Außenfenstern bauten die Handwerker den weitaus größten Teil wieder ein, weitgehend auch die mundgeblasenen Glasscheiben aus der Entstehungszeit. Die Fenster und die Türen sind zum Teil original aus der Bauzeit erhalten, wie die Haustür und die handgeschmiedete Stahltür zum ehemaligen Werkstattbereich.
Vom Dorf Wigancice ist nichts übrig geblieben – außer dem Stellmacherhaus als letzten Zeugen der Dorfgeschichte an anderem Ort.
Das Umgebindehaus wurde zur Demontage wand- beziehungsweise gebindeweise zerlegt