ExklusivUmnutzung der Alten Polizei in Gütersloh zu Loft-Wohnungen

Es gibt in fast jeder Stadt Gebiete, die einst der industriellen Produktion vorbehalten waren. Einmal funktionslos geworden, verfallen sie dann meist – es sei denn, es gibt eine städtebauliche Planung inklusive finanzkräftiger Investoren. Dann wird häufig reichlich abgerissen, aber – wie auf dem Gelände der ehemaligen Seidenweberei Gebr. Bartels in Gütersloh geschehen – auch das eine oder andere Gebäude einer neuen Nutzung zugeführt. In der so genannten Alten Polizei, einem ehemaligen Kontorkomplex der Seidenweberei, entstanden nach Plänen des ortsansässigen Architekturbüros Hauer & Kortemeier exklusive Loft-Wohnungen mitten in der Stadt.

Einst waren die ostwestfälischen Städte Bielefeld und Gütersloh für ihre florierende Textilindustrie bekannt. In den Hecheleien, Spinnereien und Webereien stellte man dort Kleidung und Stoffe her, die in aller Welt Abnehmer fanden. Noch heute ist die Firma Seidensticker in Bielefeld ansässig. Doch die Stoffe und die Kleidung kommen heute meist schon lange nicht mehr aus der Region – in Fernost produziert man sie viel kostengünstiger. Zügig machte in den 1970er Jahren daher ein Betrieb nach dem anderen zu. Übrig blieben die Gebäude als eindrucksvolle Zeugen der industriellen Vergangenheit.

 

Ideen für ein Industrieareal

 

In Gütersloh stand die Seidenweberei Gebr. Bartels bereits seit Mitte der 1970er Jahre leer: ein ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert gewachsenes Industrieareal mit Produktionshallen und Verwaltungsgebäuden. Wie in anderen Städten tat man sich auch in Gütersloh schwer mit einer neuen Nutzung für die riesigen Räume. 2005 lobte die Stadt daher für das Areal einen städtebaulichen Ideenwettbewerb aus, den das Büro Schmidt + Schmersahl aus Bad Salzuflen gewann. Der Entwurf sah eine aufgelockerte Wohnbebauung vor. Die nach dem Ende der industriellen Produktion noch bis in die ausgehenden 1980er Jahre von der Polizei genutz­ten Kontorgebäude sollten dabei erhalten bleiben – auch ohne Denkmalschutz. Gleiches galt für die auf dem Gelände vorhandene Kleinkinderschule (siehe Beitrag ab Seite 30).

„Baurechtlich hätte man die Alte Polizei auch abreißen können. Das hätten die Projektentwickler am liebsten auch getan. Wir haben aber schon früh das Potenzial erkannt und im September 2005 der Öffentlichkeit die ersten Pläne für eine neue Nutzung vorgestellt“, erinnert sich Walter Hauer vom Büro Hauer & Kortemeier. 2006 erwarb die G eins Industrie- und Wohnbau GmbH die Alte Polizei vom Projektentwickler und beauftragte das Gütersloher Büro mit der Umbauplanung.

 

Gewachsener Bestand

 

„Auch wenn es heute sehr homogen erscheinen mag, so handelt es sich doch um ein für die Industriebauweise der vorletzten Jahrhundertwende typisches, aus vielen Gebäude­teilen gewachsenes Ensemble. Dieses Konglomerat war auch die planerische Herausforderung, denn viele konstruktive Fragen ergaben sich aus den aufgrund der unterschiedlichen Entstehungszeit recht ungleich dimensionierten Bau­teilen“, sagt Walter Hauer.

Keimzelle des Komplexes war ein 1893 ursprünglich als Speisesaal für die Belegschaft der Seidenweberei Gebr. Bartels in Stahlbetonskelettbauweise mit Ziegelaußenwänden errichteter eingeschossiger Bau. 1921 kam im Nordosten des zu diesem Zeitpunkt bereits als Lager genutzten Speisesaals ein dreigeschossiges Kontorgebäude hinzu, das der Gütersloher Architekt Fritz Viemann an eine bereits existierende eingeschossige Produktionshalle anschloss. Im Zuge dieser Erweiterung setzte man auf den ursprünglichen Speisesaal ein weiteres Geschoss. 1938 erhielt dieser ein drittes Geschoss und wurde in südwestlicher Richtung mit zwei Stützenachsen um etwa 10 m verbreitert. Anbau und Aufstockung machten zudem einen Treppenhaus­turm im Winkel zwischen dem ehemaligen Speisesaal und dem Kontorhaus erforderlich, der damals einen Beobachtungsaufsatz für Flackgeschütze erhielt. 1949 stockte man das gesamte Gebäudekonglomerat um ein weiteres Geschoss auf. Mit der letzten, 1955 fertiggestellten Erweiterung, fügte das Gütersloher Baugeschäft von Adolf Schlüpmann im Südwesten mit zwei Stützenachsen abermals etwa 11 m an den Bestand an. In diesem Jahr entstand auch das vom Gütersloher Architekten Reinhard Junghänel entworfene Pförtnerhäuschen.

 

Arbeiten an der Substanz

 

Ende Januar 2006 begannen auf dem Areal in Gütersloh die Abbrucharbeiten und die alten Produktionshallen verschwanden. Stehen geblieben sind neben dem Schornstein und einer Sheddachhallenwand, hinter der ein Supermarkt entstand, nur die Kleinkinderschule und die Alte Polizei. „Bei der ersten Begehung der Alten Polizei erwarteten uns zerschlagene Trockenbauwände und auf den Dächern wuchsen Birken“, erinnert sich Friederike Kriete, die im Büro Hauer & Kortemeier mit der Projektleitung betraute Architektin.

Im Zuge der Rückbauarbeiten entfernten die Handwerker im Gebäude alle trocken eingebauten Wände und Decken. Das durch Undichtigkeiten im Dach ein­gedrungene Wasser hatte vor allem in den Gebäudeecken zu starken Feuchteschäden geführt. Bevor die Handwerker die Innendämmung mit Mulitpor-Platten inklusive einem glatten, 5 mm dünnen Gipsputz anbringen konnten, mussten sie daher das alte Ziegelmauerwerk innen mit Kalkzementputz neu verputzen, wobei auch Un-ebenheiten des alten Mauerwerks sichtbar bleiben durften. „Außen haben wir das Ziegelmauerwerk in seinem Alterungszustand belassen und daher nicht gesäubert. Wir haben lediglich die Fugen kontrolliert und, wo diese porös waren, den Mörtel erneuert“, sagt Friederike Kriete. Stemmarbeiten waren nur dort notwendig, wo Bauteile – wie das alte, aus Stahlprofilen konstruierte Vordach – in die Ziegelfassade eingebunden waren. Hier mussten die Handwerker mit Bohrmeißel und Schneidbrenner die nach der Vordachdemontage in der Fassade übrig gebliebenen Stahlteile entfernen.

Um zwischen den beiden Gebäudeteilen A und B einen Übergang zu schaffen, musste die an den Treppenhausturm anschließende Verlängerung der im Gebäudeteil B einzigen tragenden Innenwand auf einer Länge von 3 m abgebrochen werden. Die Deckenlasten nimmt anstelle der Wand nun ein Doppel-T-Träger auf, der mit Rippenstreckmetall ummantelt und mit Kalkzementputz verputzt wurde und so als Sturz unter der Decke verschwindet. „Die alte Dachabdichtung mussten wir leider samt Dämmung abreißen, obwohl wir gehofft hatten, dass man darauf aufbauen könnte“, erinnert sich Friederike Kriete.

 

Licht ins Dunkel

 

Im Zuge der Abbrucharbeiten entdeckten die Handwerker im Erdgeschoss des 1893 ursprünglich als Speisesaal errichteten Gebäudeteils einige aus Stahlsprossen gefertigte Rundbogenfenster, die man bei der Gebäudeerweiterung damals einfach von innen und außen zugemauert hatte. Die Fenster wurden freigelegt und aufwendig aufgearbeitet, neu verglast und auf der Innenseite mit einem isolierverglasten, weiß lackierten Holzfenster funktional zu einem Kastenfenster erweitert. Die ansonsten aus Holz gefertigten alten Fenster mussten ausgebaut und durch ebenfalls weiß lackierte neue Holzfenster mit Isolierverglasung ersetzt werden. Im Zuge dieser Arbeiten wurden auch Brüstungen entfernt und beigemauert, um einige Fensterformate auf Bo­dentiefe zu erweitern und Bal­kone anschließen zu können. Da man das Kontorhaus 1921 im Nordosten an eine bereits bestehende Produktionshalle angebaut hatte, waren im Erdgeschoss keine Fenster vorhanden. Deshalb mussten die Handwerker hier nun neue Öffnungen ins Mauerwerk brechen, wobei sie sich dabei an der Fensterteilung der darüber liegenden Geschosse orientierten. Die Ziegelfassade wurde anschließend außen verputzt, um die einst vorhandene Nahtstelle zur abgerissenen Produktionshalle im Erdgeschoss sichtbar zu machen. „Vom Vorbild der alten Fenster mit den vielen Sprossen haben wir uns dabei gelöst und nur die Hauptteilung mit Mittelkämpfer und zwei Fensterflügeln aufgenommen“, erläutert Friederike Kriete.

Die Öffnung des Atrium im dritten Obergeschoss des Gebäudeteils A war im Bestand bereits angelegt – mit Holz­balken verdeckt. Hier bauten die Tischler raumhoch verglaste Schiebetüren ein. Das Atrium erlaubt dem Eigentümer nun einen ungestörten Aufenthalt im Freien inmitten seiner Wohnung.

Trockenbau auf Distanz zum Bestand

Im August 2006 begann G eins offensiv mit der Vermarktung und fand zügig Käufer für die einzelnen Loft-Wohnabschnit­te. „Die Grundstruktur des Bestandes sollte bei der Auftei­lung der Grundrisse für die neue Nutzung erhalten bleiben. Innerhalb der mit Trockenbauwänden hergestellten Einheiten waren die Bauherren in der Aufteilung der Grundrisse frei. Wir mussten nur die Ver- und Entsorgungsstränge an bestimmten Punkten bündeln“, so Friederike Kriete.

Daher begann nach Abschluss der Grundsanierung und dem Einbau der Fenster die Arbeit für die Trockenbauer mit der Herstellung der gewünschten Raum­aufteilung nach Absprache zwischen den jeweiligen Bauherren und den Architek­ten. Hier hätten die Bauherren auch andere Architektur- oder Innenarchitekturbüros beauftragen können. De facto wendeten sich alle Bauherren aber an das Büro Hauer & Kortemeier, so dass die Gesamtplanung für das Gebäude bis zum fertigen Innenausbau komplett in Händen eines Architekturbüros blieb. Bei der Aufteilung der Grundrisse mit Leichtbauwänden war den Architekten ein respektvoller Abstand des neu Hinzugefügten zum Bestand wichtig: „Die Trockenbauwände enden bei einer Höhe von 2,60 m. Mit Glas geschlossen, bleibt bei einer Raumhöhe von 3,60 m so das Raumgefüge mit sichtbaren Unterzügen in den Wohnun­gen weiterhin erlebbar“, sagt Friederike Kriete.

Die Bad- und Funktionsräume stellten die Trockenbauer als ebenfalls 2,60 m hohe Boxen ein. Außerdem verzichteten die Architekten darauf, die Stützen des alten Stahlbetontragwerks in die Achsen der Leichtbauwände zu integrieren. Stattdessen stellten sie diese, zum Teil von Uplights in Szene gesetzt, bewusst frei.

Guter Schallschutz

für dünne Decken

 

Die aufgrund unterschiedlicher Entstehungszeiten ungleich dimensionierten Stahlbetondecken bereiteten den Architekten Kopfzerbrechen: „Wir hatten schon frühzeitig zwei Kernbohrungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass wegen der geringen Dicke der Stahlbetondecken mit zum Teil nur 12 cm ein besonderes Augenmerk auf den Schallschutz gelegt werden musste“, erinnert sich Friederike Kriete. Daher wurden schon im Vorfeld Messungen und Berechnungen für den Schallschutz der beiden Deckentypen mit 12 und 15 cm Dicke durchgeführt. Das Resultat war ein 18 cm hoher Fußbodenaufbau mit 16-20 mm Parkett und 45-60 mm Fließestrich auf einer zweilagigen Dämmung aus 40 mm Trittschalldämmung und 50-80 mm Wärmedämmung als Ausgleichsschicht. „Am Ende wurde alles noch einmal schallschutztechnisch überprüft. Herausgekommen ist dabei ein Wert, der sogar noch besser ist als der, der rechnerisch zu erwarten war“, resümiert Friederike Kriete die Bemühungen der Architekten. 

Fazit

 

„Dieses Projekt war in Verbindung mit einer intensiven Bauherrenbetreuung alles andere als Standard. Zudem wurde von den Käufern, die die Wohnungen nur in ihrer Grundstruktur gesehen hatten, bei den Planungsgesprächen eine ganze Menge Fantasie gefordert“, so Friederike Kriete. Entstanden sind dabei Loft-Wohnungen, die in Sachen Wärmeschutz den Neubaustandard gemäß EnEV erreichen und dabei ein für die Stadt Gütersloh einmaliges Ambiente bieten. Zur Exklusivität der bis zu 450 m2 großen Loft-Wohnungen gehört auch, dass sich auf der Dachterrasse des neu hinzugefügten zweigeschossigen Anbaus ein Swimmingpool befindet, der vom Wellnessbereich im Gebäudeteil B aus für die Hausbewohner zugänglich ist.

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