Fugen aus Blei
Sanierung der Natursteinfassaden am Kaufhof an der Kö in Düsseldorf
Als letzte Arbeit des österreichischen Architekten Joseph Maria Olbrich (1867-1908) entstand ab 1907 eines der schönsten Kaufhäuser Deutschlands: das Düsseldorfer Warenhaus Tietz. Die monumentale Natursteinfassade des heutigen „Kaufhof an der Kö“ wurde im vergangenen Jahr unter Einsatz von Bleiwolle saniert.
In Spitzenzeiten flanieren rund 6000 Menschen pro Stunde über Düsseldorfs elegante Einkaufsmeile. Viele führt der Bummel zur Königsallee 1, zum Kaufhof an der Kö. Der repräsentative Jugendstilbau zählte bei seiner Eröffnung im Jahr 1909 zu den mondänsten Kaufhäusern überhaupt. Mit seiner monumentalen Fassade, einer höchst aufwendigen Innenausstattung und drei großen Lichthöfen setzte das Kaufhaus neue architektonische Maßstäbe.
Weil sich an der kunstvollen Natursteinfassade mit den Jahren deutliche Alterserscheinungen bemerkbar gemacht hatten, wurde die historische Außenhülle 2012 einer umfassenden Sanierung unterzogen. Restauratoren reinigten, reparierten und erneuerten Fassadenteile auf insgesamt 3000 m². Von zentraler Bedeutung war dabei die zuverlässige Abdichtung aller Anschlussfugen. Der Bauherr traf in Abstimmung mit dem bauleitenden Ingenieurbüro die Entscheidung, die Fugenarbeiten mit Bleiwolle auszuführen, da sich dieser Werkstoff speziell für stark beanspruchte Fugen als Dichtungsmaterial eignet und im Prinzip wartungsfrei ist.
Monumentaler Prachtbau
Der Kaufhof an der Kö wurde von 1907 bis 1909 im Auftrag des jüdischen Kaufmanns Leonhard Tietz erbaut. Das siebengeschossige Gebäude trug lange Zeit den Namen „Warenhaus Tietz“ und ist vielen Ortskundigen auch heute noch so bekannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde das oberste Geschoss fast vollständig zerstört, bis 1960 aber schrittweise wieder aufgebaut. Heute zählt das Warenhaus mit einer Verkaufsfläche von 20 000 m2 zu den Vorzeigeobjekten der Warenhauskette Galeria Kaufhof.
Während die Innenräume über die Jahrzehnte dem Zeitgeist angepasst wurden, ist die Jugendstilfassade aus Sandstein weitgehend originalgetreu erhalten geblieben. Gestalterisch beeindruckend ist ihre klare senkrechte Strukturierung, bei der drei Fensterbahnen jeweils ein Ensemble bilden. Dazwischen befinden sich stärker ausgebildete Stützen, die am oberen Abschluss mit Zierelementen das Erscheinungsbild prägen. Die Fassade ist auf Höhe des vierten und fünften Geschosses zurückgesetzt, was das darüber liegende Kupferdach weniger dominant erscheinen lässt. Die Ecken der Längsseiten zieren geschwungene Giebel mit kunstvollen Figuren, die Schmalseiten prägen jeweils fünf hervorstechende Gauben mit Kuppeldächern.
Bröckelnde Fassade
Die Natursteinfassade bietet Umwelt- und Witterungseinflüssen viele Angriffspunkte. Über die Jahre zeigte sich ein ausgeprägtes Schadensbild: Auf dem Naturstein bildete sich eine immer dunklere Patina, Oberflächen sandeten teilweise ab. Es entstanden feine Risse im Stein. An vielen Fugen war das Füllmaterial bereits herausgefallen. Bei den Anschlussfugen an den Metallabdeckungen war der Schaden besonders groß; Feuchtigkeit drang ins Mauerwerk ein, und die Steine sogen sich durch die andauernde Nässe mit Wasser voll. Es drohte eine irreparable Schädigung der Natursteine und ein Feuchtigkeitseintritt in die Innenräume. Vorangegangenene Sanierungen mit Mörtel und Silikon hatten nur vorübergehend Erfolg und mussten spätestens nach 15 Jahren wiederholt werden. Da viele sensible Stellen in schwer zugänglichen Bereichen liegen, musste dazu das Gebäude für Wartungs- und Sanierungsarbeiten stets erneut eingerüstet werden.
Als dauerhafte Lösung für alle Anschlussfugen an Blechabdeckungen kam deshalb bei der jüngsten Fassadensanierung Bleiwolle zum Einsatz. Als Rohmaterial wurden 1,3 Tonnen feine Bleiwolle in Zöpfen zu je 2 kg geordert: Das Material ist UV-beständig, feuchtigkeitsresistent und kann thermische oder materialbedingte Bewegungen sehr gut ausgleichen. Bleifugen sind über Jahrzehnte wartungsfrei. „Je stärker Anschlussfugen der Witterung ausgesetzt sind, desto mehr kommt Bleiwolle für eine Sanierung in Betracht“, betont Projektleiter Carsten Schäfer vom Dortmunder Ingenieurbüro Assmann. „Die Kosten für den Einsatz von Bleiwolle werden durch eine deutliche verlängerte Haltbarkeit und entfallende Wartungen mehr als kompensiert.“
Werkstoff Blei
Bleiwolle ist als passgenaues Abdichtungsmaterial für Anschlussfugen, Spalten und andere Zwischenräume unterschiedlicher Größe und Ausprägung an der Fassade gefragt, weil sie stabil ist und alle materialbedingten Bewegungen ausgleichen kann. Bei großen Spalten kommt oft flüssiges Blei zum Einsatz. Der Werkstoff hat mit 327 Grad einen besonders niedrigen Schmelzpunkt. Bleistreifen oder -blöcke lassen sich in einer Kelle über dem Bunsenbrenner schmelzen und gezielt in die Öffnungen gießen. So verteilt sich das Material auch in schwer zugängliche Zwischenräume. Die Füllung wird nachträglich mit dem Meißel verstemmt und geglättet. Bleiverguss kommt zur Anwendung bei horizontalen Fugen, und beim Eingießen von Ankern und Dübeln.
Architektonische Details und exponierte Flächen wie Vorsprünge, Gesimse, Fensterbänke und Ornamente erfordern eine passgenaue Verwahrung. Walzbleibleche lassen sich durch Treiben und Falzen in jede erdenkliche Form bringen. Durch das hohe Eigengewicht von Blei sind nur wenige direkte Befestigungen im Mauerstein notwendig; so wird die Bausubstanz geschont.
Restaurierung der Natursteinfassade
Die Restaurierungsarbeiten erstreckten sich über einen Zeitraum von rund zehn Monaten. Die weitläufige Fassade wurde in Teilabschnitten eingerüstet, um den Geschäftsbetrieb nicht übermäßig zu stören. Mit der Ausführung wurde der Fachbetrieb Nüthen Restaurierungen beauftragt. Zwei Mitarbeiter waren damit beschäftigt, Fugen in einer Gesamtlänge von rund 270 m mit Bleiwolle zu verwahren. „Wir greifen verstärkt auf Bleiwolle als Dichtungsmittel für Anschlussfugen zurück, weil sie eine nachhaltige Sanierungslösung darstellt“, sagt Bauleiter Christian Gierke von Nüthen Restaurierungen. Christoph Mazur, materialtechnischer Berater des Bleiwerkstoffherstellers Anton Schneider Söhne bestätigt: „Uns erreichen immer mehr Anfragen zum Einsatz von Bleiwolle auch im Denkmalschutz.“
Zunächst reinigten die Restauratoren die Natursteinoberfläche. Dazu wählten sie gezielt Musterflächen aus und behandelten sie probeweise im Strahlverfahren. So ermittelten die Spezialisten den passenden Druck sowie das geeignete Strahlmittel, um die gesamte Fassade sanft zu reinigen. Bei der Überarbeitung der Architekturelemente wurden in Teilbereichen Vierungen eingesetzt oder komplett neue Werkstücke vom Steinmetz hergestellt. „Wir haben besonders viel Wert darauf gelegt, die neuen Flächen exakt an den Bestand anzugleichen“, betont Gierke. Wann immer möglich, gingen die Restauratoren konservatorisch vor. Sie schlossen Risse, festigten sandende Oberflächen und böschten Kanten an.
Verfugung mit Bleiwolle und Walzblei
Während der Steinmetzarbeiten wurden sämtliche Metallabdeckungen aus Kupfer kontrolliert und bei Bedarf ergänzt oder komplett erneuert. Der Übergang zwischen Kupferabdeckung und Naturstein wurde mit Bleiwolle geschlossen. Dazu reinigten die Handwerker zunächst die Flanken der Fugen mit ölfreier Druckluft und entfernten sämtliche Rückstände in der Fuge mit einem Handeisen. Anschließend wurde die Bleiwolle für das Verstemmen vorbereitet. „Bleiwolle verdichtet sich in der Fuge am besten, wenn sie in einem Arbeitsgang verlegt wird“, so Bauleiter Gierke. „Deshalb ist die Wahl der Materialmenge besonders wichtig.“ Dazu prüften die Handwerker zunächst die Fugendimensionierung. Dann wählten sie aus den Bleizöpfen die passende Materialmenge aus. Die Handwerker drehten das Material per Hand zu einer Schnur mit einem Durchmesser von rund 1 cm.
Anschließend legen sie das Dichtungsmaterial in die Fuge und trieben es gleichmäßig ein. Hierzu verwendeten die Handwerker einen eigens hergestellten Meißel aus Schmiedeeisen, der exakt auf die Breite der Fuge angepasst war. Dabei wurde sorgfältig darauf geachtet, die Fugenflanken des Natursteins beim Eintreiben der Bleiwolle nicht zu beschädigen. Abschließend wurde die Bleifüllung mit einem Meißel an der Oberfläche geglättet und dem Bestand angepasst.
Bei der Restaurierung kam neben Bleiwolle auch Walzblei zum Einsatz, denn einige Kupferabdeckungen, insbesondere an exponierten Stellen, zeigten starke Abnutzungserscheinungen. Um diese Stellen noch wirksamer zu verwahren, wurde zusätzliche eine Bleikrempe über die Kupferabdeckung gesetzt. Zur Verankerung im Mauerwerk schnitten die Handwerker per Trennschneider eine Fuge von rund 1 cm Höhe und 2 cm Tiefe in den Naturstein. Für die Krempe kamen bis zu 12,5 cm breite Streifen aus 2 mm dickem Walzblei zum Einsatz. Die Handwerker kanteten die Streifen dreifach um und befestigten sie in der Fuge. Anschließend formten sie das Walzblei mit einem Treibhammer an das darunterliegende Kupferblech an. Die Bleikrempe überlappt die Kupferabdeckung um 7 cm und schützt das Gesims von oben. Auch hier wurden alle Anschlussfugen mit Bleiwolle abgedichtet.
Weiterentwicklung der Bleiwolle
Das Bauprojekt in Düsseldorf profitiert von einer enormen Weiterentwicklung des Werkstoffs Bleiwolle. Planer, Handwerker und Bleiproduzenten stehen in engem fachlichen Austausch. „Viele Anwender berichten uns über ihre Erfahrungen im Umgang mit Bleiwolle und geben Anstöße zur Weitentwicklung“, so Fachmann Christoph Mazur. Ein Beispiel: Zunächst gab es auf dem Markt nur Bleiwolle in grober Ausführung. Heute können Abnehmer bei Bleiwolle zwischen einer groben und feinen Variante wählen. Auch die Legierung wurde auf Anregung von Praktikern weiter optimiert. Viele Anwender erhitzen Bleiwolle an der Fugenoberfläche, um ein möglichst glattes Fugenbild zu erzielen. So verfärbte sich in Einzelfällen durch freigesetzte Öle das angrenzende Mauerwerk. „Wir haben das Herstellungsverfahren den Praxisanforderungen angepasst und produzieren Bleiwolle nunmehr komplett fettfrei“, sagt Christoph Mazur.
Autor
Tim Gabriel Holz ist freier Fachautor für Bau und Immobilien.
„Je stärker Anschlussfugen der Witterung ausgesetzt sind, desto mehr kommt Bleiwolle für eine Sanierung in Betracht“