Rekonstruktion als
Architektur der Gegenwart?
Dieser schwierigen Frage stellte sich die diesjährige, 33. Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz am 19. Mai in Hessen. Die zwischen Frankfurt und Mainz besichtigten Gebäude waren durchaus dazu angetan, die Bandbreite dieses Themas kontrovers zu diskutieren: sie reichte von der Komplettrekonstruktion bis zur Ergänzung mit Materialien und Formen, die deutlich als Zutaten unserer Zeit zu erkennen sind. Den Anfang machten nach der Evangelischen Stadtakademie in Frankfurt zwei vom Architekten Christoph Mäckler komplett rekonstruierte Gebäude: die Ausstellungshalle „Portikus“ und die ehemalige Stadtbibliothek, in der sich heute das Literaturhaus Frankfurt befindet. Mäckler baute die infolge von Kriegsschäden verloren gegangene Stadtbibliothek sogar bis auf die Lampen genau nach. Man mag sich darüber streiten, ob eine Rekonstruktion bis ins letzte Detail wirklich erforderlich ist. Letztlich überzeugen aber gerade die Details. So zum Beispiel, wenn Mäckler die Funktionalität der Kastenfenster mit in der Laibung zwischen beiden Scheiben laufendem Schiebeladen erläutert: „Wenn das äußere Fenster geöffnet ist, wird der Schiebeladen zur außen liegenden Verschattung“, erklärt der Architekt.
Bei der zweiten Station, dem 1798 vom französischen Architekten Nicolas Alexandre Salins de Montfort für den Frankfurter Bankiers Friedrich Metzler entworfenen Lili-Tempel in Offenbach am Main, handelt es sich aus heutiger Sicht im Grunde genommen um einen Anbau. Der zur Ruine heruntergekommene Lili Tempel, dem Dächer und Decken mittlerweile fehlten, drohte der endgültige Verfall, wäre da nicht der beherzte Unternehmer Volker Hohmann gewesen, der gemeinsam mit seinem Frankfurter Architekten Christopher Pierre Hefele an den Bestand einen Neubau im Stil des Bauhauses anfügte und im Zuge dieser Arbeiten auch den Lili Tempel restaurierte.
Beim dritten vorgestellten Gebäude, dem Rumpenheimer Schloss in Offenbach, waren die Seitenflügel noch komplett erhalten – allein der repräsentative Mitteltrakt fristete seit vielen Jahrzehnten infolge von Kriegsschäden das Dasein einer Ruine. 1972 wollte man im Rahmen eines Investorenwettbewerbs sogar Hochhausscheiben auf dem Gelände errichten. Als Gegenbewegung gründete sich im Folgejahr eine Bürgerinitiative, die sich dafür einsetzte, stattdessen das Schloss und den Park in historischer Form wieder aufzubauen. Ganze 30 Jahre brauchte es, bis sich die Bürgerinitiative durchgesetzt hatte und der Mitteltrakt in alter Form wieder entstand. Freilich merkt man schon von außen an den vielen eng beieinander liegenden Gauben, dass das Dachgeschoss heute bewohnt wird. Auch im Treppenhaus wird wegen des dort reichlich vorhandenen Sichtbetons schnell klar, dass es sich hier um ein Gebäude aus dem 21. Jahrhundert handelt. Das vierte und letzte Objekt, das Jagdschloss Platte in Wiesbaden, dürfte insbesondere der Denkmalpflege besonders gut gefallen, sind doch hier Alt und Neu deutlich in Material und Form voneinander zu unterscheiden: heute werden die Bruchsteinaußenwände der Schlossruine nämlich von vier mächtigen Glasschirmen über-spannt. Deren aus Stahlrohrstützen bestehendes Tragwerk wächst im Gebäude empor, um sich wie Bäume unter dem Glasdach zu verzweigen. Damit war die Bandbreite von dem, was man auch in der Denkmalpflege unter einer Rekonstruktion verstehen kann, klar: sie reicht von der Reparatur und Ergänzung einzelner Bauteile bis hin zur Wiederherstellung verloren gegangener Gebäude.