Rekonstruktion historischer Tapeten
Wie man historische Wandverkleidungen mit Handdruckmodeln herstellen kann

Die historischen Wandverkleidungen sind in Herrenhäusern und Schlössern oft in einem desolaten Zustand. Nur noch wenige Fachleute können die zur Rettung geforderte Konservierung oder gar eine handwerkliche Rekonstruktion nach wenigen Fragmenten ausführen.

Das Wort „Tapete“ kommt vom lateinischen „Tapetum“, was Gewebe bedeutet. Der Weg zu unserer heutigen bezahlbaren Tapete ist über viele Stationen sehr lang. Vorläufer waren Wandteppiche und aufgespannte Wandverkleidungen aus gemusterten zusammengesetzten Leinwand- oder Seidenbahnen sowie kostbar verarbeitetes Leder. Dieses nahm den Platz der kostbaren Gobelins ein, die seinerzeit sogar von den Herrschern auf Reisen mitgenommen wurden.

Bereits Anfang des 11. Jahrhunderts fertigten die Mauren in Spanien die so genannten Gold-Ledertapeten: rechteckig zugeschnittene, mit Silber belegt, dünne Tierfelle. Die Oberfläche erhielt eine Verformung zu Ornamenten oder eine Punzierung.  Die Bezeichnung „Goldleder“ ist allerdings irreführend. Der goldene Farbton wurde durch einen Überzug aus einer goldgelben Mischung von  Harzen und Ölen erreicht. Es gab damals schon Fälschungen, die durch die Obrigkeit streng bestraft wurden, wenn beispielsweise statt teurem Silber billigeres Zinn eingesetzt wurde.

Als die Mauren Ende des 15. Jahrhunderts von den Christen aus Spanien vertrieben wurden, blieb deren Kunst jedoch erhalten. Die Stadt Cordoba war lange das Zentrum für die Herstellung von Ledertapeten. Die „Goldledertapete“ eroberte Europa unter Mitwirkung von niederländischen Herstellern.

In China und Ägypten war im Altertum bereits unabhängig voneinander mit unterschiedlichen Techniken etwa gleichzeitig das Papier erfunden worden. Ostindische Handelsmissionen brachten im 16. Jahrhundert erste kunstvoll bemalte Papiere als Wandschmuck nach Europa. Diese seinerzeit sehr teuren Papiertapeten als Bögen lösten die textilen Wandbeläge teilweise ab.

Vorläufer der heutigen Tapete waren auch die so genannten farbigen Dominopapiere aus Frankreich. Diese waren jedoch nicht für die Wand gedacht. Damit wurden Schatullen, Truhen und Schränke von innen und außen verziert. In England und Frankreich gab es ab etwa 1580 Vorreiter für die Herstellung von aufwendig gestalteten Papiertapeten.

Die Entstehung der Papiertapeten

Voraussetzung  für die beginnende große Verbreitung der Tapete war die wirtschaftliche Papierherstellung und der Gebrauch des Holzschnittes. Erste Papierbögen wurden ab dem 12. Jahrhundert in Spanien geschöpft. Ab 1390 produzierte die erste Papiermühle bei Nürnberg in Deutschland. Schon damals war bereits Recycling angesagt. Ein großer Anteil des Papiers waren aufgearbeitete textile Lumpen.

Als Werkzeug dienten weiter die geschnitzten Holzmodel in großer Anzahl für jedes Muster, sowie weiter Schablonen und Pinsel für die Musterergänzungen der Handdrucke. Die einzeln bedruckten und bemalten Papierstücke wurden als raumhohe Tapetenbahnen zusammengeklebt. Wie aufwendig die Herstellung, und wie wertvoll solche Tapeten zu ihrer Zeit waren, ist heute kaum vorstellbar. Für jedes Muster und jeden Farbton musste ein Model von Hand hergestellt werden.

Bei großflächigen wandbreiten Bildtapeten wurden oft für eine Tapete die unglaubliche Menge von bis zu 1500 verschiedene Model benötigt. Dazu mussten bis zu 200 unterschiedliche Farbtöne gemischt und nuanciert werden.

Erster Tapetendruck auf Endlospapier

Ab etwa 1840 konnte als große Verbesserung für die Herstellung Endlospapier auf Rollen hergestellt werden. Mit gleichem Aufwand und gleicher Technik wie bei den Modeln mussten die unterschiedlichen Druckwalzen für die ersten Leimdruckmaschinen aus England hergestellt werden.

Der Siegeszug der Tapete löste vielerorts die bisherige gestaltende Arbeit der Maler ab. Das jetzt preiswerte Papier und die neue Drucktechnik machten die Tapete auch für das reich gewordene Bürgertum erschwinglich.

Das führte aber bald zu einer überladenen, oft geschmacklosen Mischung von gegensätzlichen historischen Stilen.

Bis um 1900 setzte sich das oft in schlimmer Form weiter fort. Je besser die Drucktechnik und je preiswerter die Tapete wurde, desto mehr verschlechterte sich die künstlerische Qualität. Viele der historischen Tapetenschätze sind nicht nur den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen. Schädliche Umwelteinflüsse, falsche Behandlungen von Restauratoren und „moderne Baumaßnahmen“  haben zu weiteren bedauernswerten Verlusten geführt.

Schutz und Erhalt alter Tapeten

Die Denkmalpflege hat sich nun seit Jahren aktiv für den  Schutz und für den Erhalt der noch vorhandenen Exemplare eingesetzt.  Es fehlt aber nicht nur Geld, es gibt auch nur noch wenige Fachleute für die Konservierung, Sicherung oder auch Rekonstruktion von historischen Tapeten im Originalverfahren.

Ausgangspunkt für den konservatorisch verantwortlichen Umgang mit historischen Tapeten oder deren Fragmenten ist die restauratorische Untersuchung. Das bedeutet Dokumentation der Schadensbilder, der Herstellungstechnik sowie Herkunft und Datierung. Als Konzept kann vom Restaurator Sicherung, Konservierung oder auch eine behutsame Abnahme zur Archivierung gewählt werden.

Wiederherstellung historischer Tapeten

Ist die Tapetenausstattung fast vollständig verloren gegangen oder unwiederbringlich geschädigt, muss ein qualifizierter Restaurator das historische Interieur wieder perfekt rekonstruieren. Gottlob gibt es noch einige der Letzten ihres Standes für solche Aufgaben. Zu nennen ist hier unter anderem der über 70-jährige Formenstecher Hans Joachim Frindte aus Mühlhausen in Thüringen. Er fertigt heute noch Model und Druckwalzen, wie er es bei seinem Vater gelernt hat. Er arbeitet nach historischen Vorbildern oder Vorgaben von Hand für Tapeten- und  Blaudrucke. Seine Dienste nutzt auch der Dipl.-Restaurator Lutz J. Walter aus Wernigerode bei seinen Arbeiten in Schlössern, Museen und historischen Gebäuden nicht nur in, sondern auch außerhalb Deutschlands.

Durch ein intensives Studium von Originalbefunden und historischen Drucktechniken ist es ihm gelungen, den bereits vergessenen Handdruck für Tapeten neu zu beleben. Dafür hat er alle erforderlichen Voraussetzungen in seinem Atelier „Villa Holfelder“ in Wernigerode geschaffen. Dort rekonstruiert er Handdrucktapeten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts originalgetreu. Für die Rekonstruktion von Maschinendrucktapeten der zweiten Hälfte des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts hat er eine frühe Leimdruckmaschine vor der Verschrottung gerettet und wieder in Betrieb genommen.

Durch den bewussten Rückgriff auf historische Arbeitstechniken und Farbrezepturen ist eine weitgehende Annäherung an die Originale gewährleistet. Das kann mit der heute vielfach ausgeführten modernen Digitaldrucktechnik optisch niemals erreicht werden.

Die Zeit vom Rokoko bis zu den Neostilen des Historismus in den Jahren von 1840 bis 1890 hat uns eine Vielfalt unterschiedlich gestalteter Tapeten beschert. Die wenigen noch vorhandenen Unikate mit dem großen Formen- und Farbenreichtum müssen unbedingt erhalten werden.  Alle Handwerker sollten bei möglichen Funden auf der Baustelle dabei verantwortungsvoll mithelfen, solche historischen Tapeten für die Nachwelt zu retten.

Ab etwa 1895 bis Anfang des 20. Jahrhunderts  fand man nach den Jahren der Tapeten im wilden Stilmix zu besseren Gestaltungen mit einfachen Formen zurück. Das geschah durch den Einfluss der Werkbünde, dem Jugendstil und auch dem Bauhaus.  Diese gute Entwicklung wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Ab den 1960er Jahren ist bei Tapeten wie vor dem Krieg vorerst wieder neu begonnen worden. Heute wird neben Retromustern mit neuen Oberflächen vielfach unterschiedlich experimentiert. Eine prägende Stilrichtung hat sich jedoch noch nicht gefunden. Die größte Sammlung von originalen Gold- und bemalten Ledertapeten des Barock befindet sich in Schloss Moritzburg in Dresden.


Autor

Hans Jürgen Ronicke ist Malermeister, Innenarchitekt WKS, Restaurator im Handwerk und freier Autor unter anderem der Zeitschrift bauhandwerk. Er lebt und arbeitet in Wittenberg.

Durch den Rückgriff auf historische Techniken und Farbrezepturen ist eine Annäherung an die Originale gewährleistet

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