Spukschloss
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
Bisher nur ein Spuk im Bundestag und in den Köpfen der geplagten Wettbewerbsjury soll es nun Realität werden: das Stadtschloss in Berlin. Gebaut wird das so genannte Humboldt-Forum nach Plänen des italienischen Architekten Francesco Stella, den in Deutschland eigentlich keiner kennt. Macht ja nichts. Die mit einem Preisgeld von 100 000 Euro verbundene Entscheidung für die Rekonstruktion des Stadtschlosses fiel Ende November vergangenen Jahres. Auch wenn das Schloss im Inneren mit der Leichtigkeit italienischer Plätze liebäugelt, wird äußerlich das historische Erscheinungsbild wieder hergestellt. Sogar die barocke Kuppel soll rekonstruiert werden. Niemand soll erkennen können, dass da ein Neubau steht – als wäre nichts gewesen, kein Krieg, keine DDR, kein Abriss. Gesprengt hatte die DDR-Regierung 1952 das, was der Zweite Weltkrieg vom Schloss übrig gelassen hatte. Stehen bleiben durfte nur das Balkon-Portal, von dem aus Karl Liebknecht 1913 die „Freie Sozialistische Republik Deutschland“ ausgerufen hatte. Dieses Portal, das auch schon damals nur noch zu einem Fünftel aus Originalsubstanz bestand, integrierte das Architektenkollektiv Roland Korn und Hans-Erich Bogatzky später in die Fassade des Staatsratsgebäudes der DDR.
Warum also nun ein Schloss und warum ein historisches Original vorgaukeln? Um 1700, als Andreas Stühler das Schloss auf seine endgültige Größe und barocke Pracht ausbaute, gab es einen König, später sogar einen Kaiser als Nutzer. Da fragt sich „Kleinfritzchen“ doch: Wozu ein Schloss ohne König? Für die staatlichen Museen – ja klar. Aber dafür braucht man doch „einfach nur“ ein Museum zu bauen – oder? Selbst die Jury war am Ende der seit Jahren schwelenden Diskussion unsicher geworden und wollte keine Rekonstruktion in den engen Grenzen der bundeseigenen Vorstellungen feudaler Schlossarchitektur mehr. Und das kostet natürlich alles auch ein Heiden-Geld: über eine halbe Milliarde Euro.
Dabei steht allerorten alte Bausubstanz ungenutzt beziehungsweise unsaniert herum. Wir haben uns vor der eigenen Haustür umgesehen und sind mit dem Gelände der ehemaligen Seidenspinnerei Gebr. Bartels in Gütersloh schnell fündig geworden. Auf diesem Konversionsgelände, wo bereits reichlich städtischer Wohnraum in Form anspruchsvoller Neubauten entstanden ist, stellen wir in dieser Ausgabe der BAUHANDWERK zwei Gebäude vor, deren Erhaltung von den jeweiligen Architekten maßgeblich vorangetrieben wurde: Ab Seite 20 ein zuletzt als Polizeidirektion genutztes Kontorhaus und ab Seite 30 die auf dem Industrieareal erhalten gebliebene Kleinkinderschule. Beide Gebäude bauten die Handwerker nach Plänen der ortsansässigen Architekturbüros Spooren sowie Hauer & Kortemeier zu exklusivem Wohnraum um. Und das ist im Gegensatz zur Schlossrekonstruktion in Berlin sehr sinnvoll, denn das Wohnen in der Stadt wird immer beliebter, der hierfür noch zur Verfügung stehende Platz ist jedoch begrenzt. Was sollen wir also mit einem Schloss ohne König, wenn Wohnraum in der Stadt benötigt wird?
Viel Erfolg bei der Arbeit wünscht