Warum Social Recruiting im Handwerk an Grenzen stößt
Interview mit Dimitrij Krasontovitsch von Candidate Flow
Über Social Media Fachkräfte finden: Dieser Ansatz ist in aller Munde. Das Internet ist gefühlt voller Online-Marketing-Agenturen, die schnell Bewerber vermitteln wollen. Doch wie effektiv sind diese Methoden eigentlich für Handwerker? Stößt „Social Recruiting“ im Handwerk an Grenzen? „Die Ergebnisse für Handwerksbetriebe sind oftmals sehr ernüchternd“, erklärt Dimitrij Krasontovitsch. Er ist Mitgründer der Candidate Flow GmbH mit Sitz in Düsseldorf. Im Interview erklärt er, warum die Handwerksbranche einen alternativen Ansatz braucht. Springender Punkt: eine Identifikation zwischen Betrieb und Bewerber aufbauen. Seine Online-Agentur hat die Candidate-Flow-Methode entwickelt.
Social-Media-Agenturen suchen auf Facebook, Instagram und Co. Fachkräfte und werben beispielsweise mit der 60-Sekunden-Bewerbung. Was sind die Grenzen dieser Methode?
Dimitrij Krasontovitsch: Ich bin der Meinung, dass das Thema „Social Recruiting“ aktuell ein großer Trend ist, der auch wieder abflachen wird, da die Ergebnisse für Handwerksbetriebe oftmals sehr ernüchternd sind. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass nur 20 bis 30 Prozent der Fachkräfte in einer Region (zwischen 20 und 50 Jahren) die sozialen Medien nutzen und davon gerade mal 30 Prozent aktiv mit Werbeanzeigen interagieren. Der Großteil der Nutzer ist passiv oder nutzt die Plattformen nur sporadisch. Das bedeutet: Man kann durch ein „Social Media Recruiting“ auch hier nur eine vergleichsweise kleine Menge an Leuten erreichen.
Lassen sich damit also die richtigen Fachkräfte finden, die zu einem Betrieb passen? Oder eher nicht?
Dimitrij Krasontovitsch: Das ist der springende Punkt. Wir bekommen immer wieder in Gesprächen mit Handwerksinhabern als Rückmeldung, dass bei einer Zusammenarbeit mit einer „Social Media Agentur“ sich meistens Fachkräfte bewerben, die grundsätzlich wechselbereit sind. Diese wollen häufig wegen des Lohns wechseln und verlassen meist dann auch nach sechs bis 12 Monaten bereits wieder den Betrieb, wenn sie eine andere Anzeige über Instagram oder Facebook sehen, wo die Möglichkeit besteht, mehr zu verdienen. Kurzum: Das sind Menschen, die bereit sind zu wechseln, nicht zu bleiben.
„Social Recruiting“ ist ein großer Trend, der auch wieder abflachen wird, da die Ergebnisse für Handwerksbetriebe oftmals sehr ernüchternd seien, sagt Dimitrij Krasontovitsch von Candidate Flow
Foto: Candidate Flow GmbH
Mit Social Media sollen Leute erreicht werden, die gar nicht aktiv auf der Suche sind. Können Sie das bestätigen?
Dimitrij Krasontovitsch: Die meisten Fachkräfte suchen nicht aktiv nach einem neuen Betrieb, selbst wenn sie jahrelang unzufrieden sind. Man erreicht mit dem Ansatz allerdings nicht diejenigen, die man wirklich haben möchte und zu 100 Prozent zum Betrieb passen - auch wenn es häufig genau so beworben wird. Sehr häufig berichten uns Inhaber davon, dass die Bewerber, die bei ihnen am Tisch sitzen, den Eindruck erwecken, als würden sie gerne in der Firma anfangen. Sie bekommen den Arbeitsvertrag in die Hand und nach einer Woche ohne Rückmeldung vom Bewerber heißt es plötzlich, er bleibe doch lieber in seinem ursprünglichen Betrieb. Der Chef habe das Gehalt nachgelegt und ihm Sonderzahlungen oder ähnliches angeboten. Das heißt, das sind Leute, die vorzugsweise diese Möglichkeit nutzen sich woanders zu bewerben, um ihre aktuelle Situation oder das Gehalt in einem Betrieb zu verbessern.
Bewerbungen bei der Arbeitsagentur und bei Jobportalen gelten als veraltet. Sehen Sie das auch oder nutzen Sie diese Plattformen auch mit?
Arbeitsagenturen setzen auf Aktivität: Bewerber müssen aktiv suchen. Bei Social-Media-Methoden hingegen werden auch Personen angesprochen, die nicht aktuell auf Stellensuche sind
Foto: succo/Pixabay
Dimitrij Krasontovitsch: Ich bin der Meinung, dass es nicht darum geht ob etwas „old school" ist, sondern um den Mehrwert. Das Grundproblem an der Arbeitsagentur ist doch, dass Fachkräfte selbständig suchen und sich aktiv bewerben müssen, ansonsten bietet es keinen Mehrwert. Das ist aber in der Handwerksbranche nicht wirklich der Fall. Nach 1000 Gesprächen mit Fachkräften aus diversen Branchen sehe ich ein ganz simples passives Verhalten beim Thema Bewerbung. Ich habe mit Leuten gesprochen, die seit zehn Jahren Überstunden machen, keinerlei Wertschätzung für ihre Arbeit bekommen und sich trotzdem nicht nach einer anderen Firma umschauen. Daher bin ich der Überzeugung, dass man heutzutage neue Wege braucht, um bei den richtigen Fachkräften sichtbar zu werden und den eigenen Betrieb erlebbar zu machen. Erst dann bekommen sie Bewerbungen von Fachkräften, die passen.
Ticken Azubis anders als ältere Jobinteressierte? Lassen sie sich eher mit Social Media „ködern“?
Dimitrij Krasontovitsch: Definitiv! Azubis müssen ganz anders abgeholt werden. Man muss viel mehr Aufklärungsarbeit betreiben, warum es sinnvoll ist ins Handwerk zu gehen, bevor man klassisch ein Jobangebot anbietet. Kanäle wie Tiktok sind dafür sehr gut geeignet, vorausgesetzt die Inhalte werden interessant und modern vermittelt.
Was machen Sie anders? Wie sieht Ihre Methode aus?
Dimitrij Krasontovitsch: Wir sind in der Lage 80 Prozent der Fachkräfte in einer Region zu erreichen und unser Fokus liegt darauf, eine Identifikation zwischen dem Betrieb und dem Bewerber aufzubauen. Dafür haben wir eine eigene Methode entwickelt, um lokal Fachkräfte zu identifizieren, die aktuell nicht zufrieden mit dem Betrieb sind. Wir kombinieren verschiedene Technologien, um digitale Muster und Profile zu erkennen. Im nächsten Schritt können wir die Firma, mit all ihren Vorteilen, Werten und dem Betriebsklima erlebbar in die Sichtbarkeit genau dieser Fachkräfte über diverse Medien bringen, von denen wir wissen, dass sie von Handwerkern regelmäßig aufgerufen werden. Beispielsweise über Google, bekannte Online-Zeitschriften und über 1000 weitere Websites. Mithilfe von Bildern soll die positive Arbeitsatmosphäre rübergebracht werden. Dadurch stellen unsere Partnerbetriebe regelmäßig Fachkräfte ein, die sich mit ihnen identifizieren und nicht ausschließlich wegen Geld wechseln. Auf der Website positionieren wir das Unternehmen dann so, dass die Handwerker darauf aufmerksam werden und sehen können, dass dieser Betrieb exakt die Werte vertritt, die sie sich als Arbeitnehmer wünschen. So schaffen wir es, viele Bewerber zu generieren, wo es davor keine gab.
Autorin
Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Zur Person
Dimitrij Krasontovitsch ist der Mitgründer der Candidate Flow GmbH mit Sitz in Düsseldorf und Mitentwickler der Candidate-Flow-Methode. Die Online-Marketing-Agentur zählt nach eigenen Angaben zu den innovativsten Agenturen im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften in Deutschland, Österreich und der Schweiz geht.