Wohnen in der Betonskulptur
Wohnhausneubau in einer historischen Scheune in Niederbayern

In Niederbayern wurde eine Scheune mit Kuhstall zu einem privaten Wohnhaus umgebaut. Erhalten blieben dabei die Außenmauern und das alte Dach und Sprengwerk. Den Neubau aus Ortbeton passten die Handwerker formschlüssig darunter ein.

Der ehemalige Vierseitenhof aus dem 16. Jahrhundert liegt etwa auf halber Strecke zwischen Landshut und Passau, fernab jeder Autobahn. Der nächste Ort ist etwa zwei Kilometer entfernt. Das Anwesen steht auf dem leicht ansteigenden Nordhang eines sanften, für Niederbayern typischen Tales.

Heute besteht die Anlage noch aus drei Gebäuden: dem alten bäuerlichen Wohnhaus im Westen, der sanierten Scheune im Süden sowie einem weiteren, stallartigen Gebäude im Osten. Der einstige Nordflügel ist nicht erhalten geblieben – eine mit Bäumen bestandene Böschung und eine Quellfassung darin begrenzen stattdessen in dieser Richtung den Hof.

Die zentrale Planungsidee für das Ensemble war es, die äußere Erscheinungsform des Gehöftes grundsätzlich zu bewahren. Dennoch sollte die Sanierung aber bei genauerem Hinsehen vor allem an der Scheune ablesbar sein.

Die Architekten Ilg und Ulmer entwarfen ein Konzept, um das vorhandene, lichte Raumvolumen des Scheunendaches mit einer amorph geformten Betonskulptur zu verdichten. Dazu maßen Sie die bestehende Konstruktion exakt auf, die Handwerker zerlegten das Dach vollständig und errichteten an dieser Stelle zunächst einen kompletten Neubau in Ortbeton. Dabei wurde jedoch das aufgehende Mauerwerk des Bestandes, das den eigentlichen Stallbereich definierte, nicht abgerissen, sondern in den Neu- beziehungsweise Umbau mit einbezogen.

 

Raumaufteilung in der Betonskulptur

Die zusätzlichen, neu in Beton gegossenen Räume schließen nach Osten an den gemauerten Bestand der historischen Scheune an beziehungsweise liegen darauf auf und formen so das neue Obergeschoss. Dieser neue Ostflügel füllt die ehemalige Tenne auf – der Ort, wo einst der Heuwagen stand. Der Ostflügel beinhaltet das sich über alle Geschosse erstreckende Treppenhaus mit der zweiläufigen Treppe ins Obergeschoss und an der Stirnseite im Erdgeschoss, ein Büro, einen Hauswirtschaftsraum und darüber das Schlafzimmer der Eltern mit einem angeschlossenen Bad. Der ehemalige Stallbereich wurde zu einer großen, offenen Wohnlandschaft.

Das Obergeschoss dient vornehmlich zum Schlafen. Es wurde um einen durchgehenden, ziemlich genau unter dem Dachfirst verlaufenden Flur angeordnet, der zu beiden Seiten erst an den Stirnwänden der Scheune endet. Diese sind hier jeweils mit einer Glastür durchbrochen und führen beide auf kleine, balkonartige Podeste. Die vom Flur abgehenden Zimmer werden über Erker belichtet, die entweder knapp unter der Traufe des Scheunendaches hervorlugen, oder radikal die Dachfläche durchdringen. Die Planer sprechen bei diesen Erkern gerne von Lichtkanonen.

 

Betonschalung als handwerklich
anspruchsvolle Sonderkonstruktion

Bedingt durch den skulpturalen Charakter des Betonkörpers, der das Dach formt, mussten die Handwerker nicht nur eine Innen- sondern auch eine Außenschalung erstellen. Architekt Klaus Ilg bezeichnet die geforderte Schalung als temporären Dachstuhl. Denn die Handwerker sollten sie so erstellen, dass sie weitgehend zerstörungsfrei wieder demontiert werden konnte, wenn es galt, den ausgehärteten Beton auszuschalen. Die Planer hatten daher in der Ausschreibung die Rücknahme der Schalung zur Vergabebedingung gemacht. Diese Anforderung war einer der wesentlichen Gründe, warum die Ausführung des Gewerks an die Schreinerei Bammersperger aus Arnstorf vergeben wurde. Deren Mitarbeiter bauten eine handwerklich anspruchsvolle Sonderkonstruktion.

Das neue Dach weist nun eine im Schnitt 25 cm dicke Betonwandung auf, die nach außen mit 14 cm Mineralwolle gedämmt ist. Eingebracht wurde die Faser in eine nicht hinterlüftete Holzunterkonstruktion, die von einer 19 mm dicken OSB-Verkleidung nach außen geschlossen wird. Diese Spanholzplatten belegten die Handwerker mit zwei Lagen grüner Bitumenschindeln, welche die eigentlich wasserführende Schicht bilden.

Der Betonkörper ist an seiner Oberseite abgeflacht und hat keinen First. Dieser Bereich ist über eine Dachluke zugänglich. Es ist angedacht, ihn auch als Freisitz zu nutzen. Jedoch müssten zuvor noch Absicherungen, wie etwa Geländer, installiert werden. Obwohl frei von direkter Sonneneinstrahlung, überrascht dieser Dachraum mit einer ungeahnten Helligkeit. Zahlreiche Glasschindeln, welche die Dachdecker in die Dachfläche locker eingestreut haben, sorgen neben den offenen Ortgängen für ausreichend Licht.

 

Ausblicke und Erker als Lichtkanonen

Blickbeziehungen nach außen waren den Architekten besonders wichtig. Dabei peilten sie kein spezielles Ziel an, vielmehr ging es ihnen um eine an dieser Stelle eher unerwartete Perspektive. Einfluss darauf nahmen sie durch eine völlig freie Wahl der Brüstungs- beziehungsweise Sturzhöhe. So ist bei manchen Öffnungen der Horizont etwa nur im Sitzen und im Stehen nur das unmittelbar umgebende Gelände zu sehen. Andere Öffnungen erlauben dagegen nur einen abstrakten, weil sehr fokussierten Blick gen Himmel: Am Tag auf Wolken, nachts auf Sterne. Dazu zählen die von den Architekten als Lichtkanonen bezeichneten nach außen gestülpten Erker. Passender in Bezug auf ihre wahre und durchaus beeindruckende Funktion ist jedoch der Begriff „Sammeltrichter“: Denn sie sammeln sowohl das Tageslicht, als auch ausgewählte Eindrücke der Außenwelt ein.

Auch die Erker bestehen aus Ortbeton und sind in identischer Bauweise angefertigt worden. Zunächst erstellten die Handwerker allerdings das Volumen des Kernbaus mit Anschlussbewehrungen für die Erker. Daran stellten die Mitarbeiter der Schreinerei Bammersperger eine sägeraue Brettschalung an, um die gewünschte gröbere Sichtbetonopitk für die Innenwandflächen zu erhalten. Auch der Außenwandabschluss erforderte eine präzise Schalung, um die Maßhaltigkeit bei diesen plastischen Raumgebilden sicherzustellen. Klaus Ilg vergleicht das Vorgehen mit dem Bauen einer schiefen Wand. Ein besonderes Ziel der Handwerker war zudem, die zwangsläufig entstehende Anschlussfuge hin zum Gebäudekern so präzise und damit so unscheinbar wie möglich auszuführen. Der gesamte Sichtbetonkörper sollte insbesondere in seinem Inneren als eine monolithische Einheit erscheinen.

Wie die anderen geneigten Betonflächen unter dem historischen Dach wurden auch die Erker mit einer doppelten Lage grüner Bitumenschindeln als wasserführende und äußerste Schicht belegt. Jene Lichtrichter aber, die das abschließende Satteldach durchdringen, schlossen die Handwerker mit einer die Dachfenster umgebenden Metallblechkonstruktion an die sanierte Dachziegeloberfläche an.

Der größte vertikale Lichterker ist rund 3 m hoch. Obwohl die Schalungsarbeiten zu allen 15 Erkern handwerklich sehr aufwendig waren, konnte der Rohbau dieser Bauteile in nur drei Wochen fertiggestellt werden.

 

Montage des alten Dachstuhls
über der neuen Betonskulptur

Über den Neubau aus Beton stellten die Handwerker das alte Scheunendach wieder auf. Dabei mussten sie allerdings keinerlei Anforderungen hinsichtlich Dichtigkeit oder Isolation erfüllen. Das Dach fungiert einfach als zusätzlicher Schirm – bei schönem Wetter gegen die Sonne, bei schlechtem gegen Regen. Darüber hinaus wirkt das alte Scheunendach wie ein Klimapuffer. Es minimiert im Sommer die direkte Sonneneinstrahlung und wirkt im Winter aufgrund eines latenten Windschutzes starken Frostangriffen entgegen. Natürlich wurde im Zuge der Sanierung das alte Dach von den Handwerkern an seinen schadhaften Bauteilen instandgesetzt.

Beeindruckend ist insgesamt die schon eingangs erwähnte Passgenauigkeit des Betonkörpers. War man während der Bauzeit geneigt, die eine oder andere Ausformung der Exzentrik der Architekten zuzuschreiben, erkennt man nun, inwiefern die verschiedenen Auffaltungen allein dazu dienen, einem historischen Binder respektvoll Platz zu machen.

Die wenigsten Eigentümer einer maroden, alten Scheune verfallen auf die Idee, das Gebäude überhaupt zu sanieren, um es in ein Wohnhaus umzunutzen. Umso mehr gilt es diejenigen zu würdigen, die zudem bestrebt sind, die historischen Bauteile zu erhalten, instandzusetzen und schließlich die neuen Elemente so offensichtlich zu gestalten, dass auf diese Weise ein formaler Kontrast zum Altbestand geschaffen wird. Das alles mit einem bemerkenswert hohen handwerklichen Anspruch. Respekt!

 

Autor


Dipl.-Ing. Robert Mehl studierte Architektur an der RWTH Aachen. Er ist als Architekturfotograf und Fachjournalist tätig und schreibt als freier Autor unter anderem für die Zeitschriften dach+holzbau und bauhandwerk.

Da für den Betonkörper sowohl eine Innen- als auch Außenschalung erforderlich war, wurde diese von einer Schreinerei als Sonderkonstruktion gebaut

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