Wohnzimmer im Garten
Minimale Erweiterung einer Doppelhaushälfte aus den 1920 Jahren in Aachen
Beim Umbau einer Aachener Doppelhaushälfte aus den 1920er Jahren für eine fünfköpfige Familie galt es die städtischen Gestaltungsvorgaben zu beachten, da der Bau zu einem denkmalgeschützten Quartier gehört. Durch einen erkerartigen Anbau, Dachflächen- und Panoramafenster kommt jetzt mehr Licht ins Haus.
Maßstäbliche Pläne
Maßstäbliche Pläne (Grundrisse und Schnitte) finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Zeitschrift bauhandwerk.
Die Aachener Siedlung „In den Heimgärten“ gilt als ein herausragendes Beispiel für die in den 1920er Jahren ausgesprochen präsente Gartenstadtbewegung. Der sanierte Bau ist eines von 228 typisierten Reihenhäusern des ursprünglich als „Am Branderhof“ benannten und heute innerstädtisch gelegenen Wohnquartiers. Mit diesem Projekt wurden damals viele „bürgerliche“ Werte und Qualitäten wie etwa „das eigene Haus“, liebevolle Architekturdetails, aber auch repräsentative Straßen und Plätze erstmals für die unteren Einkommensschichten durchgesetzt.
Über die Jahrzehnte stiegen natürlich die Wohnansprüche und schon in den 1970er Jahren gab es die ersten städtebaulichen Vorgaben für die Siedlung, um den Ensemblecharakter zu wahren. So dürfen etwa seit damals keine Garagen mehr in den um ein Vollgeschoss verspringenden, stark geböschten Vorgärten errichtet werden.
Heutzutage gelten für die Siedlung drei bindende Satzungen, an denen sich Umbauten zu orientieren haben: Den allgemeinen Bebauungsplan, die Denkmalbereichsatzung sowie eine speziell hierfür erarbeitete Gestaltungssatzung. Aus diesen folgt, dass die Anmutung der Bauten straßenseitig grundsätzlich erhalten bleiben muss. Sofern Fenster erneuert werden sollen, hat das mit Holz zu erfolgen, und zwar in der ursprünglichen Vertikalteilung. Der Einbau horizontaler Sprossen ist freigestellt, jedoch sind leicht zu reinigende, zwischen die Scheiben eingelegte Stäbe, die in der Satzung als „Sprossen in Aspik“ bezeichnet werden, ebenso wenig zugelassen wie eine zusätzliche Fassadendämmung, etwa durch ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS).
Deutlich weniger Regeln gibt es für die Hausrückseite zum Garten. Diese orientiert sich stark an den Bedürfnissen einer modernen Familie. Außenliegende Dämmsysteme sind genauso erlaubt wie das Vergrößern oder gar das Setzen neuer Fenster. Ins Dach dürfen geschosshohe Gauben generell eingebaut werden, zudem sind Dachfenster auf der gesamten Dachfläche kein Problem – unser Beispiel hat fünf davon (Marke Velux) sowie eine gebäudebreite Gaube, die genau an die Genehmigungsgrenze geht: Drei Reihen des fest vorgeschriebenen Dachziegels Rheinland in Braun werden an den freistehenden Seitenkanten der Doppelhäuser verlangt.
Im Erker unbedingt die Schuhe ausziehen!
Die Eigentümer hatten zuvor schon mehrere Jahre in derselben Straße gewohnt und wussten daher, was sie erwartet. Sie haben drei schulpflichtige Kinder und wollten den Bestand möglichst an ihre Bedürfnisse anpassen. Entgegen kam ihnen, dass die geltenden Satzungen hinsichtlich innerer Veränderungen keine Vorgaben machen. So führten sie die beiden Erdgeschossräume zu einer großen Wohnküche zusammen, die nun fast die gesamte Hausfläche einnimmt. Die gebäudemittige Firstmauer wurde durch einen Doppel-Träger ersetzt, der von einer Brandwand zur anderen spannt. Im vorderen Bereich wird gekocht, während sich nach hinten ein großer Essplatz anschließt.
Die gemütliche Wohnzimmersitzecke wurde dagegen in den Garten verlegt – als ein erkerartiger Anbau. Dazu brachen die Handwerker die Brüstung des bestehenden Gartenfensters ab und verlegten den Sturz um mehrere Steinreihen nach oben, so dass ein komfortabler Durchgang entstand. Daran setzte Architekt Björn Martenson von Amunt Architekten einen 3 m langen und 2 m breiten gläsernen Quader an, der von einer Tageslichtkuppel geschlossen wird. Der langgestreckte Erker schwebt etwa einen halben Meter über dem Boden und wird an der Grundstücksgrenze von einem Streifen- und an seiner Terrassenecke von einem Punktfundament mitgetragen. Auf dessen erhöhter Bodenplatte sitzt eine umlaufende Brüstung aus Porotonsteinen, die zum Nachbarn hin in eine geschosshohe Brandwand übergeht. Die in dem vitrinenartigen Erker eingebauten Fenster sind vom dänischen Hersteller Velfac. Sie zeichnen sich durch ihr Ausstellen nach außen beim Öffnen aus, wodurch es innen keine störenden Fensterflügel gibt. Zudem sind bei der gläsernen Sitzecke die hölzernen Fensterrahmen gleichzeitig die Tragkonstruktion der stark gewölbten Lichtkuppel. Dabei handelt es sich um ein industrielles Standardprodukt, das sonst in großen Hallen verwendet wird. Es besteht aus vier Schichten Kunststoffglas, zwischen denen sich hermetisch abgeschlossene Luftschichten befinden. Insgesamt hat die Lichtkuppel eine Dicke von etwa 20 cm. Geliefert wurde sie als Fertigteil, das mit einem Kompriband einfach auf die Unterkonstruktion aufgesetzt und damit verschraubt wurde. Vom Garten aus erscheint die Erkerbrandwand ausgesprochen dick. Der Architekt erklärt das Detail damit, dass die neue Verkleidung aus ästhetischen Gründen um eine bestehende Brandwand auf dem Nachbargrundstück herumgeführt wurde. Auf dieser, daher jetzt etwa 40 cm breiten Erkermauerkrone, sitzt ein breiter Wasserspeier, mit dem das Regenwasser der Lichtkuppel in ein Wasserreservoir geführt wird. Läuft dieses einmal über, wird es in ein angrenzendes Kiesbett, eine so genannte Rigole, drainiert. Sie erstreckt sich über den gesamten aufgeständerten Bereich unterhalb des Gartenerkers.
Treppe als „Spaziergang durchs Haus“
Vom Erdgeschoss führt eine einläufige Bestandstreppe ins Obergeschoss, wo sich i zwei Kinderzimmer und das „große“ Badezimmer befinden. Schon vor der Sanierung war hier das Bad, nur erschien damals der Raum eher gedrängt und klein: Eine „normale“ Dusche, eine Toilette und ein Waschbecken fanden dort so gerade Platz. Björn Martenson wusste mit zwei Kunstgriffen den Raum beachtlich zu vergrößern. Zum einen ersetzte er die alte Duschwanne durch eine bodengleiche, die ohne eine Duschabtrennung nur an der Duscharmatur und einem Bodeneinlauf als solche zu erkennen ist. Hierzu nahmen die Handwerker im Badbereich die alten Holzdielen auf, platzierten in der vorgesehenen Raumecke eine Unterbauwanne mit Gefälle und stießen daran Betoplanplatten an. Die gesamte Fläche beschichteten die Handwerker dann dauerhaft mit einer grün gefärbten Polyuretanschicht.
Das Waschbecken setzte der Architekt in die Fensterbrüstung. Er ließ die frühere Brüstung entfernen und die Handwerker errichteten unter dem Fenster einen „festen“ Waschtisch aus Betoplanplatten. Eine Wärmedämmung desselben war zunächst zweitrangig, da die bestehende Außenwand ohnehin viel zu dünn war, weshalb das Haus gartenseitig mit einem WDVS verkleidet wurde. Auch im Badezimmer findet sich ein Ausstellfenster, das nach außen öffnet. Daneben sitzt ein raumbreiter wie -hoher Spiegel. Er beginnt oberhalb der Fensterbrüstung und lässt den Raum noch großzügiger erscheinen.
Während die alte Obergeschosstreppe erhalten blieb, wurde diejenige ins Dachgeschoss neu erstellt. Sie ist ebenfalls einläufig, setzt aber rechtwinkelig an der unteren an und läuft entlang des Dachfirstes des traufständigen Hauses. Statisch erforderte ihr Einbau einen Unterzug, der orthogonal zu demselben im Erdgeschoss von der Straßenfassade zur Rückfront des Hauses spannt. Dessen Leimholzbinderkonstruktion ist sehr massiv dimensioniert, und der Architekt hat im Einvernehmen mit dem Bauherrn aus der Not eine Tugend gemacht: Nun findet sich in dem hinteren Kinderzimmer eine große Schaukel, die jedem Spielplatz zur Ehre gereicht.
Indirektes Licht mit Dachflächenfenstern
Im Dachageschoss liegt zur Straße hin das Elternschlafzimmer und, zum Garten orientiert, das dritte Kinderzimmer. Zunächst fällt dort das etwa 5 m² große Panoramafenster auf, dann erst nimmt man eine Leiter wahr und realisiert, dass der Schlafbereich sich dort oben befinden muss, also knapp unterhalb des Firsts. Das Hochbett wird über ein Dachflächenfenster belichtet und schiebt sich über einen weiteren Raum, der nur vom elterlichen Zimmer aus zugänglich ist: ein zweites, auffallend lang gestrecktes Bad. Vor Kopf gibt es eine Toilette, unmittelbar neben dem Eingang ein Waschbecken, dazwischen – ähnlich dem Bad im Obergeschoss – eine bodengleiche Dusche. Deren Tasse ist ebenfalls in einen grünen Polyuretansockel integriert. Auch gibt es, wie einen Stock tiefer, erneut einen durchgehenden Glasspiegel anstatt einer Fliesung. Belichtet und belüftet wird das Badezimmer über ein Dachflächenfenster in etwa 3 m Höhe. Geöffnet werden kann es mit einer Teleskopstange.
Alles neu!
Während der Sanierung tauschten die Handwerker in dem halb unterkellerten Bau alle Stromleitungen und Rohre aus. Dazu nahm ein Schreiner den alten Holzfußboden im Erdgeschoss auf und überholte die Dielung, während die Elektriker dort neue Kabeltrassen und die Installateure eine neue Verrohrung verlegten. Bevor man den Boden wieder schloss, dämmten die Handwerker ihn. Auf die ursprüngliche Sauberkeitsschicht aus Beton legten sie eine PE-Folie als Dampfsperre, auf die über den gesamten Bodenbereich hinweg eine Perlite-Schüttung erfolgte. In ihrer Höhe misst sie die volle Kantholzhöhe plus die der Ausgleichsschicht darunter. Besonderen Wert legten die Bauherrn auf eine durchgehende Schalwandtafelfläche hinter der Küchenzeile. Es ist der sichtbare Teil einer etwa 10 cm dicken Ständerkonstruktion vor der einschaligen Brandwand, die dem Schallschutz dient. Ihre Erfahrungen in der früheren Wohnung haben sie gelehrt, dass dies in diesem Quartier – konstruktionsbedingt – eine unverzichtbare Maßnahme ist.
Autor
Dipl.-Ing. Robert Mehl studierte Architektur an der RWTH Aachen. Er ist als Architekturfotograf und Fachjournalist tätig und schreibt als freier Autor unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.
Die gemütliche Wohnzimmersitzecke wurde in den Garten verlegt