Die Bedeutung des nachhaltigen Bauens

Zumindest als Begriff ist Nachhaltigkeit im Bauwesen angekommen. Wie dringend die Umsetzung ist, zeigen die Prognosen der Klimaforscher. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat ein Zertifizierungssystem entwickelt, das den Planungsprozess nachhaltigkeitsbezogen begleitet.

Um das Leben auf dieser Erde erträglich zu halten, ist zukunftsorientiertes Handeln gefragt. Eine Organisation, die vor 15 Jahren entschieden hat, dass Nachhaltigkeit in Gebäuden plan- und messbar sein muss, ist die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Alle am Bau Beteiligten sind mit ihren spezifischen Fähigkeiten für ein gutes Ergebnis gefordert, in der Planung, in der Ausführung und im Betrieb, im Denk- und im Handwerk.

Mit ihrem Green Deal hat die Europäische Kommission den Plan gefasst, Europa in die Klimaneutralität zu führen und dem Gebäudesektor dabei eine tragende Rolle zugesprochen. Die Gründer der DGNB ­nahmen das Dreisäulenmodell der Nachhaltigkeit bereits 2007 als Grundlage, um eine andere Art des Bauens zu definieren. Sie wollten aufzeigen, dass wir eine Umwelt erschaffen können, in der wir uns wohlfühlen, die Menschen und Tieren nicht schadet.

Drei Säulen der DGNB-Zertifizierung

Als Modellprojekt für die Leistungsfähigkeit des urbanen Holzbaus wurde das Holzhochhaus Skaio in Heilbronn mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2021 ausgezeichnet. Das Wohngebäude erhielt das DGNB-Zertifikat in Gold und einen DGNB-Diamanten für seine gestalterische und baukulturelle Qualität
Foto: Stadtsiedlung Heilbronn GmbH

Als Modellprojekt für die Leistungsfähigkeit des urbanen Holzbaus wurde das Holzhochhaus Skaio in Heilbronn mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2021 ausgezeichnet. Das Wohngebäude erhielt das DGNB-Zertifikat in Gold und einen DGNB-Diamanten für seine gestalterische und baukulturelle Qualität
Foto: Stadtsiedlung Heilbronn GmbH
Um diese Transformation des Bausektors anzustoßen, hat sich die DGNB für den Weg der Zertifizierung entschieden. In Diskussionen mit allen Expertinnen und Experten aus allen Bereichen des Bausektors wurden Kriterien erarbeitet, die den Planungs- und Bauprozess so begleiten, dass am Ende ein ganzheitlich nachhaltiges Gebäude entsteht. Diese lassen sich den drei genannten Säulen zuordnen. Hinzu kommen Kriterien für die technische Umsetzung, den Planungsprozess und den Einbezug des Standorts.

Neben dieser ganzheitlichen Denkweise bildet die Lebenszyklusbetrachtung eine Grundlage der Zertifizierung. Das heißt, Gebäude werden nicht nur von der Planung bis zur Fertigstellung betrachtet, sondern vom Rohstoffgewinn der Baumaterialien bis hin zu einem potenziellen Rückbau. Ein Beispiel: Verbundsysteme erfüllen für eine gewisse Zeit ihren Zweck, aber nach Lebensende sind sie nicht mehr trennbar und gelangen damit auf den Sondermüll.

Die Zertifizierungssysteme der DGNB decken den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes ab. So gibt es Kriterienkataloge für die Betriebsoptimierung oder Sanierung von Bestandsgebäuden ebenso wie für Neubauten oder auch den Rückbau. Zertifizieren lassen sich alle Arten von Gebäuden und ganze Quartiere. Nach erfolgreicher Prüfung erhalten die Bauwerke ein Zertifikat in Platin, Gold, Silber oder Bronze, je nach erreichter Punktzahl.

Der Weg zum Experten für nachhaltiges Bauen

Damit dieses Ziel auch erreicht wird, begleiten DGNB- Auditorinnen oder Auditoren den Planungsprozess und achten darauf, dass die Kriterien erfüllt werden. Den Titel erhalten Planende, Bauingenieure, Architektinnen oder  Techniker, wenn sie den Fortbildungsweg der DGNB-Akademie durchlaufen und eine Prüfung absolviert haben. Vor dieser letzten Stufe der Auditoren-Ausbildung erfolgt die Ausbildung zum DGNB-Consultant. Wer diesen Titel erlangt, ist in der Lage Bauherren zum Thema des nachhaltigen Bauens fundiert zu beraten.

Viele Nachhaltigkeitsanforderungen lassen sich den Themen Klima- und Umweltschutz, der Ressourcenschonung und dem Schutz der Gesundheit zuordnen. Ein großes Thema des klimagerechten Bauens sind die sogenannten grauen Emissionen, die bei der Herstellung von Baumaterialien entstehen. Sie wurden im Gegensatz zu den betriebsbedingten Emissionen bisher kaum beachtet. Mit zunehmender Energieeffizienz und der Errichtung von Null- oder Plusenergiehäusern fallen sie jedoch umso mehr ins Gewicht.

Eine ganzjährig natürliche Belüftung, eine Stampflehmfassade, die kaum graue Energie verursacht und ein lichtdurchflutetes Holzdach: Die Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt hat die höchste DGNB-Zertifizierung in Platin und den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2020 erhalten
Foto: Roland Halbe

Eine ganzjährig natürliche Belüftung, eine Stampflehmfassade, die kaum graue Energie verursacht und ein lichtdurchflutetes Holzdach: Die Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt hat die höchste DGNB-Zertifizierung in Platin und den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2020 erhalten
Foto: Roland Halbe
Ihre Beachtung führt auch zum lauter werdenden Ruf nach dem Erhalt von Bestandsgebäuden. Auch wenn er allein aus baukultureller Sicht nachvollziehbar ist, kommt er heute verstärkt aus der Richtung des Klima- und Ressourcenschutzes. Denn für jedes Gebäude, das nicht abgerissen und neu gebaut werden muss, werden auch keine – weiteren – oder zumindest viel geringere – graue Emissionen ausgestoßen und kaum neue Ressourcen verbraucht. Nachhaltigkeitsberaterinnen und -berater achten deshalb genau darauf, wo in der Konstruktion am meisten CO2-Emissionen entstehen und empfehlen, die Entwürfe und die Materialwahl gegebenenfalls anzupassen.

Gebäude als Rohstofflager

Im Bereich der Ressourcenschonung fällt vermehrt der Begriff der Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft. Gemeint ist damit der möglichst lange Erhalt von Baumaterialien, Bauteilen oder ganzer Gebäude. Im besten Fall werden Baustoffe wiederverwendet. Zugleich ist die Idee der Circular Economy, dass Baumaterialien dokumentiert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausgebaut, ausgetauscht oder weiterverwendet werden können. Man spricht deshalb auch vom Gebäude als Rohstofflager.

Ein drittes großes Thema ist die Gesundheit der Bewohner, Arbeitnehmerinnen oder sonstigen Nutzern von Gebäuden. Sichergestellt wird diese durch die Wahl der Baumaterialien sowie der Überprüfung der Innenraumluftqualität. Bereits in der Ausschreibung stellen Planende konkrete Anforderungen an Baumaterialien in Bezug auf Schadstoffe. Das Ziel ist die Vermeidung von Baustoffen mit schädlichen Substanzen. Gefragt sind dabei auch die Tricks und Kniffe des Handwerks, um beispielsweise auf Kleber oder Montageschäume verzichten zu können.

Nachhaltigkeit im Bauhandwerk angehen

Die angerissenen Themen zeigen, dass für die Transformation der Baubranche alle Akteurinnen und Akteure gefragt sind. Die DGNB ist heute Europas größtes Netzwerk für nachhaltiges Bauen und vereint mit mehr als 1800 Mitgliedern Menschen aus allen Bereichen der Branche unter einem gemeinsamen Ziel.

Autorin

Pia Hettinger ist Projektleiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen in Stuttgart.

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