Studie: So attraktiv ist das Handwerk
Materialengpässe, explodierende Preise, Fachkräftemangel: Das Handwerk ist krisengeschüttelt. Wie ist die Sicht der Betriebe auf ihre eigene Situation? Und wie sehen Jugendliche die Handwerksbranche? Diese Fragen sind Bestandteile des neuen Isotec- Handwerkskompass.
Die Studie wurde vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW consult) erarbeitet und zeigt, wo das Handwerk aktuell stark ist, wie aufgeschlossen Jugendliche ihm gegenüberstehen – und sich dennoch mehrheitlich gegen einen Handwerksberuf entscheiden.
„Wir müssen den Stellenwert des Handwerks stärken“, fasst Horst Becker, Inhaber und Geschäftsführer von Isotec, den Sinn des ersten Handwerkskompass zusammen. Die Studie soll Richtungen aufzeigen, um das Handwerk stärken. „Der Handwerkskompass zeigt auf, dass viele Potenziale ungenutzt und die besonderen Stärken des Handwerksberufs zu wenig kommuniziert und herausgestellt werden. Wir zeigen auf, wo Chancen liegen und was Handwerksbetriebe tun können, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern und worauf es den wahren Machern von Morgen besonders ankommt.“
Das Handwerk und die wirtschaftliche Bedeutung
Horst Becker, Isotec-Gründer, gab den Anstoß zur Studie
Foto: Isotec
Fest steht: Das Handwerk ist eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft. Etwa eine Million Handwerksbetriebe beschäftigen im Jahr 2022 rund 5,61 Millionen Menschen und damit 12,3 Prozent aller Erwerbstätigen. Dabei stellt das Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, auf das sich der Handwerkskompass konzentriert, fast die Hälfte aller Unternehmen im Handwerk und beschäftigt 52 Prozent aller Lehrlinge.
Dr. Hilmar Klink vom Institut der deutschen Wirtschaft Consult (IW Consult) erläuterte die Studienergebnisse: Für die Untersuchung zur Attraktivität des Handwerks befragte das Institut im Auftrag des Sanierungsspezialisten Isotec 248 Unternehmen des Bauhaupt- und Ausbaugewerbes. Außerdem standen 214 Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahre Rede und Antwort. Die Befragungen fanden in den Monaten Mai und Juni 2023 statt.
Sicht der Jugendlichen auf das Handwerk
Im Handwerk herrscht akuter Fachkräftemangel. Seit 2015 gibt es hier mehr offene Stellen als arbeitslose Handwerker. Jede sechste Lehrstelle blieb im Jahr 2022 unbesetzt. Dabei können sich laut Handwerkskompass 29,4 Prozent der befragten Jugendlichen eine Karriere im Handwerk vorstellen, 9 Prozent sind zumindest unentschlossen. Das tatsächlich aber nur knapp jeder Zehnte (9,8 Prozent) der Befragten im Handwerk berufstätig ist, zeige eine Diskrepanz zwischen der positiven Einstellung und dem tatsächlichen Verhalten. Woran liegt das?
„Als ausgesprochen positiv bewerten Jugendliche, dass handwerkliche Berufe besonders sinnhaft sind und durch sie etwas Konkretes geschaffen wird, worauf die Ausführenden stolz sein können“, so Dr. Klink. Sie bescheinigen ihnen darüber hinaus eine „hohe Wirksamkeit“, indem Kunden konkret geholfen oder durch die eigene Arbeit deren Lebensqualität erhöht wird.
Betriebe können, laut Isotec-Handwerkskompass, Sondervergütungen anbieten, um junge Leute anzuziehen. Die Politik muss die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern.
Foto: Ono Kosuki / Pexels
Aus Sicht der Unternehmen werden diese Aspekte auch in hohem Maße erfüllt (über 80 Prozent). Außerdem heben neun von zehn der im Handwerk Tätigen Vertrauen, Teamwork, Arbeitsplatzgestaltung und Gesundheit, Arbeitsbedingungen am Einsatzort, die Verwendung moderner Werkzeuge und einen konsequenten Arbeits- und Gesundheitsschutz als besonders attraktiv hervor. Auch sieht sich das Handwerk in Konkurrenz zu Industriebetrieben als stark, wenn es um einen sicheren Job (91 Prozent) und die Förderung leistungsstarker Mitarbeiter (81,3 Prozent) geht. Sie halten dies für wesentliche Stellschrauben, um berufliche Karrieren im Handwerk zu gestalten und für mehr Attraktivität zu sorgen.
Jugendliche: Defizite bei Gehalt und Karriere
Für die befragten Jugendlichen sind besonders das Gehalt, Arbeitsplatzsicherheit und Karrieremöglichkeiten wichtig. Weit oben auf der Wunschliste steht ein „gutes“ Einkommen (71,5 Prozent). Dieses beträgt im Handwerk für einen Gesellen im Durchschnitt 3100 Euro brutto, Meister verdienen etwa ein Drittel mehr. Gepaart mit aus ihrer Sicht vermeintlich geringeren Karrieremöglichkeiten als etwa in Industriebetrieben, ist das für die befragten jungen Leute aber offensichtlich zu wenig. „Hier fällt die tatsächliche gegenwärtige Umsetzung in den Betrieben hinter die grundsätzliche Bedeutung für die Attraktivität im Handwerk zurück“, so Klink. Rund 80 Prozent der Betriebe sehen jedoch in einer Vergütung über dem Branchendurchschnitt, Gehaltsteigerungen je nach Erfahrung und Verantwortung sowie finanziellen Sonderleistungen, wie zum Beispiel Urlaubsgeld, noch Potenzial zur Attraktivitätssteigerung.
Handwerksbetriebe: Fachkräfte gewinnen und binden
Die Autoren des Handwerkskompasses resümieren: „Das Handwerk und seine Betriebe stehen unter großem Druck, für Attraktivität zu sorgen und adäquate Strategien zur Fachkräftegewinnung und -sicherung zu etablieren.“ Dies gilt beispielsweise bei der Gewinnung von Auszubildenden, Gesellen, Meistern und Selbstständigen, der Einführung eines trialen Studiums (Ausbildung-Meisterbrief-Studium) oder der Digitalisierung zum Handwerk 4.0, den einen Königsweg dahin sehen sie allerdings nicht.
In den Betrieben, insbesondere den kleineren, sind viele Attraktivitätslücken auf fehlende oder ausbaufähige Managementsysteme zurückzuführen. Laut Handwerkskompass werden dadurch bereits vorhandene Attraktivitätsaspekte, wie die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit, nicht überzeugend kommuniziert, wozu sich niederschwellige Kommunikationswege wie die Social-Media-Kanäle der Betriebe besonders eignen würden. Dazu zählen die Themen Gehalt, Betriebs- und Führungskultur, Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzgestaltung und betriebliche Karriereoptionen.
Was Politik und Betriebe tun können
Junge Leute sehen im Handwerksberuf in erster Linie etwas Sinnhaftes.
Grafik: Isotec-Handwerkskompass
Um das Handwerk für Auszubildende, Gesellen, Meister und Selbständige wieder attraktiver zu machen, muss aber auch die Politik die Rahmenbedingungen verbessern. Der Handwerkskompass mahnt daher den Abbau von Bürokratie, steuerliche Entlastungen, Förderung der Selbstständigkeit und Vergünstigungen insbesondere für Auszubildende analog zu denen für Studierende an. „Für Studienabbrecher könnte es eine Transferprämie geben, für Azubis im Handwerk Bafög“, so Klink.
Nicht zuletzt sollten Betriebe, Verbände und Politik vernetzt bei Nachwuchskräftegewinnung, Digitalisierung, Kommunikation und Imageförderung vorgehen – mit Medienkampagnen und Social-Media-Kommunikation. Nur so ließen sich Einblicke in den Berufsalltag, das Aufgabenspektrum und das Potenzial des Handwerks vermitteln, um Nachwuchskräfte zu gewinnen und zu binden.
Für die Firmen gilt: Auch wenn sie tarifgebunden entlohnen, könnten sie sich selbst durch ein betriebseigenes Vergüstungssystem attraktiv machen, denkbar seien Sonderzahlungen oder Gewinnbeteiligungen. Auch teambildende Maßnahmen wie Weihnachtsfeste, Ausflüge etc. können junge Leute interessieren. (bhw/ela)
Den vollständigen Isotec-Handwerkskompass können Interessierte kostenlos downloaden unter:
www.isotec-handwerkskompass.de.