Aufgeschobener Winkel
Erweiterung des Gütersloher Stifts-Gymnasiums

Als hätte sich ein Gebäudewinkel über den alten Backsteinflügel geschoben, so sieht die vom Büro Hauer Architekten entworfene Erweiterung des Stifts-Gymnasiums in Gütersloh aus. Dabei wahren die drei neuen Baukörper über Fugen einen respektvollen Abstand zum nicht einmal denkmalgeschützten Bestand.

Das Evangelisch Stiftische Gymnasium in Gütersloh besteht aus drei Gebäuden, die sich um das 1926 erbaute Haupthaus gruppieren und dabei mehrere Pausenhöfe bilden. Da das Gymnasium um einen Ganztagsbereich erweitert werden sollte, benötigte man zusätzliche Klassenräume und eine Mensa. Ein 1948 als zweigeschossiger Klinkerbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite errichtetes Verwaltungs- und Produktionsgebäude für Wasserzähler bot sich für die geplante Erweiterung an. Allerdings musste der aus zwei Flügeln mit Satteldächern bestehende Altbau hierfür erheblich verändert werden. Das Gebäude steht zwar nicht unter Denkmalschutz, dennoch sollte vor allem die Backsteinfassade erhalten bleiben. Daher kam auch kein WDVS zur energetischen Verbesserung der Außenwände in Frage. Das zweischalige Backsteinmauerwerk mit Luftschicht wurde lediglich am Sockel hydrophobiert und der Hohlraum von etwa 8 bis 9 cm zwischen den beiden Mauerschalen im Einblasverfahren mit Perlitekügelchen kerngedämmt.

 

Erweiterung des Bestandsgebäudes

Die Erweiterung des Altbaus erfolgte mit drei neuen Baukörpern und einer Absenkung des bestehenden Kellers. So entwarf das mit der Umbauplanung beauftragte ortsansässige Büro Dipl.-Ing. Hauer Architekten BDA für die Mensa einen eingeschossigen verglasten Flachbau, der das Erdgeschoss des Bestandsgebäudes auf ganzer Länge entlang der Feldstraße begleitet. Der Altbau wurde dabei nicht nur geschont, sondern blieb trotz Erweiterung fast unversehrt. Der Anbau macht aus der von ihm umschlossenen Backsteinfassade eine Innenwand, in der sogar die alten von Sprossen geteilten Holzfenster aufgearbeitet erhalten bleiben konnten. Darüber hinaus nähert sich der mit einer Filigrandecke abgeschlossene Anbau behutsam über eine 50 cm breite gläserne Fuge dem Bestand an.

In der Gebäudeverlängerung des Altbaus entlang der Daltropstraße schoben die Architekten an den Bestand einen dreigeschossigen Flachbau heran, ließen jedoch auch hier eine breite Fuge, einen „Spalt“ zwischen Alt- und Neubau, in dem ein weiteres Treppenhaus seinen Platz fand. Dieses führt bis hinauf in das Staffelgeschoss, mit dem die Architekten das Satteldach auf einem der beiden Altbauflügel ersetzten. Das Staffelgeschoss geht optisch in den Flachbau über. In Kombination sehen beide Baukörper so aus, als hätte man einen Winkel über die zwei Backsteingeschosse des Altbauflügels geschoben.

 

Aufgesatteltes Staffelgeschoss statt Satteldach

Nachdem die Maurer den dreigeschossigen Flachbau bis zur Traufe des Altbaus hochgezogen hatten, rissen die Handwerker das Satteldach des Altbaus ab, um auf den bestehenden Gebäuderiegel ein neues Staffelgeschoss zu setzen. Danach betonierten die Rohbauer über den Mauerkronen und tragenden Innenwänden auf beiden Seiten auf ganzer Gebäudelänge jeweils einen Stahlbetonüberzug, der nur an vier Punkten Lasten auf den Altbau darunter überträgt. „Der Überzug schwebt quasi mit etwa 2 cm Abstand über die ganze Länge und gibt nur über vier Auflagerpunkte Lasten ab, um die erhalten gebliebene Hohlsteindecke nicht zu belasten. Auf der großen Restfläche zwischen Mauerkronen und Überzug liegt Dämmstoff als Trennlage“, sagt der bauleitende Architekt Emanuel Czakan vom Büro Hauer Dipl.-Ing. Architekten BDA. Für jeweils zwei der vier Auflagerpunkte stemmten die Handwerker das Ziegelmauerwerk darunter von innen heraus und ersetzten es aus statischen Gründen durch einen breiten Stahlbetonpfeiler.

Die neuen Wände aus KS-Stein für das Staffelgeschoss errichteten die Maurer dort, wo darunter tragende Wände vorhanden waren. Auf den beiden Überzügen betonierten sie je Seite drei Stahlbetonstützen und darauf jeweils einen Stahlbetonunterzug. Auf diese hievten die Handwerker mit dem Kran die 1,20 m breiten Elemente der Spannbetonhohlkammerdecken, die mit einer Flachdachgefälledämmung und mehreren Lagen Bitumenbahnen abgedichtet wurden. Die Fassade zwischen den Stahlbetonstützen besteht aus einer Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Aluminiumprofilen mit Isolierverglasung, die nur auf der Südseite von außen verschattet wird.

„Eine schallschutztechnische Herausforderung war die im Zuge der Aufstockung erhalten gebliebene Hohlsteindecke“, erinnert sich Emanuel Czakan. Obendrein konnte man von einer solchen Decke auch keinen absolut waagerechten Verlauf erwarten. Daher bildet eine zwischen 8 und 12 cm hohe gebundene Perlite-Schüttung die erste Lage auf der Hohlsteindecke, gefolgt von einer 2 cm dicken Mineralwolle als Trittschalldämmung und drei Lagen Trockenestrich. Als Belag verwendeten die Handwerker Akustik-Linoleum. „Das bringt nochmal zusätzlich 17 dB Schallschutzverbesserung“, so Architekt Czakan.

 

Absenkung des Kellers

Aber nicht nur nach oben, sondern auch nach unten wurde erweitert. Hierzu senkten die Handwerker das bestehende Kellergeschoss auf einer Grundfläche von etwa 10 x 10 m um rund 30 cm ab, um nutzbare Nebenräume für die Mensaküche zu erhalten. Dazu mussten sie nicht nur die alte Kellersohle aufstemmen, sondern unter den Kellerwänden in Abschnitten von 1 bis 1,2 m auch das Erdreich darunter 70 cm tief abgraben. „Die Gesamtlast des Gebäudes wurde so nur in diesen ganz kurzen Stücken unterbrochen“, sagt Emanuel Czakan, denn der jeweils freigegrabene Abschnitt wurde anschließend sofort eingeschalt und mit Beton unterfangen. Danach bildeten die Rohbauer aus WU-Beton eine neue wasserundurchlässige Sohle aus, die abschließend einen Sockel aus Beton mit Fugenblech erhielt. Die Kellerwände dämmten die Handwerker von innen mit 80 mm dicken Mineralplatten. „Das ging für den Zeitraum der Arbeiten natürlich alles nur mit einer Grundwasserabsenkung“, sagt Architekt Czakan.

 

Trockener Innenausbau mit robuster Akustik

Der Innenausbau erfolgte in Trockenbauweise. „Aus architektonischen Gründen ist die Deckenausbildung etwas aufwendiger ausgefallen“, meint Emanuel Czakan bescheiden. Aber gerade die Trockenbaudecken haben es im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Die mit Cleaneo Lochplatten von Knauf bekleideten Deckensegel haben auf ihrer Rückseite ein Vlies, das für eine ausgewogene Raumakustik sorgt. In diese Deckenfelder bauten die Trockenbauer die direkte Beleuchtung ein. Das Licht der indirekten Beleuchtung kommt aus Lichtvouten, die im Versprung zwischen den Deckensegeln und den Bestandsdecken ihren Platz fanden. In der Küche montierten die Trockenbauer hingegen eine Rasterdecke mit besonderen akustischen und antimikrobiellen Eigenschaften.

Die Trennwände stellten die Trockenbauer als klassisches Metallständerwerk auf und beplankten dieses mit Gipskartonplatten. In den Schülerräumen im ersten Obergeschoss verwendeten sie hierfür die besonders dicke und robuste Diamantplatte von Knauf, die zudem für einen besseren Schallschutz zwischen den Räumen sorgt. So bieten die neuen Räume in dem im vergangenen Jahr umgebauten und erweiterten Klinkergebäude an der Daltropstraße in Gütersloh als Ganztagsschule für das Stifts-Gymnasiums eine das Lernen fördernde Atmosphäre mit erstklassigem Schallschutz und einer guten Akustik noch dazu.

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