Lenkwerk: Umnutzung des ehemaligen Bekleidungsamtes der Luftwaffe in Bielefeld
Ein so genanntes Meilenwerk gibt es bereits seit 2003 in Berlin und mittlerweile auch in Düsseldorf und Stuttgart. Mit dem Bielefelder Lenkwerk kommt seit Sommer dieses Jahres ein weiteres, ebenfalls primär für die Präsentation von Liebhaberfahrzeugen umgenutztes Industriedenkmal hinzu.
Das Konzept, schöne alte Autos in alten Gebäuden zu zeigen, ist nicht neu: 2003 eröffnete in einem ehemaligen Straßenbahndepot in Berlin das Meilenwerk. 2006 folgten ein weiteres Meilenwerk in einem ehemaligen Ringlokschuppen in Düsseldorf und 2009 schließlich noch eines in einer ehemaligen Werfthalle und einem alten Hangar in Stuttgart. Es ist wohl der Charme des Authentischen, was beide verbindet: altes Gemäuer und alte Karosse. Dass es meist denkmalgeschützte Industriebauten sind, die für solche Zwecke umgenutzt werden, liegt schlicht an der Größe der Exponate: Es sind eben Autos, die dort untergestellt werden und dafür braucht man Platz.
Ein „Meilenwerk“ in Bielefeld?
Nachdem Franz-Christoph Borchard die ehemalige Verladehalle auf dem Gelände des einstigen Bekleidungsamtes der Luftwaffe aus dem Zweiten Weltkrieg in Bielefeld gesehen hatte, fuhr er 2008 gemeinsam mit dem Bielefelder Architekten Frank Stopfel nach Berlin, um sich dort besagtes Meilenwerk anzuschauen. Was dank einer Investition von rund 11 Millionen Euro zu Beginn des neuen Jahrtausends in Berlin möglich gewesen war, musste auch in Bielefeld gehen. Investor und Architekt sahen sich das ehemalige Straßenbahndepot genau an und kamen zu dem Schluss, dass es mit einer Mischnutzung auch in der ostwestfälischen Metropole möglich sein müsse. Die Dimensionen sind durchaus vergleichbar und liegen bei etwa 15 000 m2. Nur Bielefeld ist eben nicht Berlin.
Die Verhandlungen dauerten über zwei Jahre, bis Borchard den Kaufvertrag unterschrieb. Denn es ging auch in Bielefeld nicht um irgendein Gebäude: Das Ende der 1930er Jahre vom Wuppertaler Architekten Professor Peter Klotzbach entworfene Bekleidungsamt der Luftwaffe zählt zu den drei größten und modernsten Ämtern aus der NS-Zeit. Auf insgesamt etwa 45 000 m2 Nutzfläche wurde damals in Bielefeld die gesamte Bekleidungspalette für die Luftwaffe gefertigt – von den Springerstiefeln bis zum Fallschirm. Seit 1994 steht der Gebäudekomplex unter Denkmalschutz.
Nachbau der alten Dachformen und Betonsanierung
Einzelne Gebäude werden auf dem Areal bereits seit einiger Zeit vom Bund, vom Land NRW und der Stadt Bielefeld genutzt. Nur der Nordost- und Ostflügel und vor allem die große Verladehalle standen jahrzehntelang leer. „Die Züge fuhren in einer Schneise in die große Verladehalle ein, damit man dort die Wagons ebenerdig be- und entladen konnte. Die Halle steht somit auf einem 1,10 m hohen Sockelbau. Damit war klar, dass die Verladehalle zum zentralen Platz für die neue Nutzung werden würde“, erzählt Architekt Frank Stopfel. Die an die Halle angedockten Flügel waren zu Beginn der Sanierungs- und Umbauarbeiten zum Teil bereits verfallen: „Die Gebäude standen seit 1993 leer und waren komplett von der Natur vereinnahmt. Die Dächer waren eingestürzt und im Keller stand 10 cm hoch Wasser“, erinnert sich Frank Stopfel.
Daher galt es für die Handwerker zunächst die alten Dächer, oder das, was von den Holzdachstühlen noch übrig war, abzureißen und durch neue Metalldächer mit einer Stahlbinderkonstruktion zu ersetzen. Dabei folgt die Form der neuen Dächer gemäß den Anforderungen des Denkmalschutzes den alten Holzdachstühlen. Auf die Trapezbleche der Metalldächer verlegten die Handwerker Polystyrolplatten, die sie dort, wo ein Brandüberschlag zu erwarten ist, gegen eine Flachdachdämmung aus Mineralwolleplatten tauschten. Die Büro- und Seminarräume sind in das darunter befindliche Obergeschoss als Trockenbauboxen eingestellt.
Das Dach der großen Verladehalle bestand dagegen von Anfang an aus Beton. Dieser wurde saniert, wobei man einige Binder, die Risse hatten, an beiden Seiten mit Stahlträgern sichtbar verstärkte.
Sanierung der Backsteinfassaden
Eine weitere Hauptaufgabe bestand für die Handwerker in der Sanierung der alten Backsteinfassaden, die sie außen mit Wasserdampf abstrahlten und zum Teil neu verfugten. „Die Handwerker haben die Backsteinwände dabei aber nicht totgefugt, sondern nur dort die Fugen erneuert, wo dies unbedingt notwendig war. So bleibt die lebendige Oberfläche der Fassade erhalten“, sagt Frank Stopfel. Von innen wurden die Backsteinaußenwände dagegen mit feinen Stahlkügelchen abgestrahlt, so dass das Ziegelmauerwerk sichtbar wird. „Nur hier und da sind noch kleine Putzstücke zu sehen, die wir an den Backsteinwänden belassen haben“, so der Architekt.
Alte und neue Fenster und Tore
Die hochformatigen Maueröffnungen, die natürliches Licht bis in die Kellerräume bringen, wurden mit weiß lackierten Holzfenstern mit Sprossenteilung nach historischem Vorbild geschlossen. Für die neuen Tore und Fenster, die vor allem im Erdgeschoss die Flächen gliedern, wählten Architekt und Investor horizontale, anthrazitfarbene Metallkonstruktionen. So lässt sich auf den ersten Blick unterscheiden, was neu ist und was ursprünglich vorhanden war. Auch die aus anthrazitfarbenen Aluminiumprofilen gefertigten T30-Tore von Hörmann passen sich mit ihrer waagerechten Struktur perfekt in die neue Gestaltung ein. Eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang das neue Eingangstor zur Verladehalle: Es wurde komplett in structural glazing, also ohne sichtbare Profile, in einer Breite gefertigt, die Hörmann bisher noch nicht hergestellt hatte.
Einbau einer Spindeltreppe aus einem Pipelineroh
Auch die stählerne Spindeltreppe, die in der Halle vom Erdgeschoss auf die Galerie ins Obergeschoss führt, ist eine handwerkliche Maß- und Sonderanfertigung. Im Kern besteht sie aus einem Pipelinerohr mit einem Durchmesser von 800 mm. Dieses schnitt der Schlosser auf und schweißte daran Trittstufen und einen Wangenmantel aus Stahlwalzprofilen an. „Die Größe der 3,5 Tonnen schweren Treppe bemaß sich an der Größe der Rohbautoröffnung“, sagt Architekt Frank Stopfel.
Moderne Nutzung im Industriedenkmal gelungen
In Bielefeld kam man für den Umbau und die Sanierung mit rund 10 Millionen Euro aus. Das Konzept einer Mischnutzung aus vermietbaren Unterstellplätzen für Liebhaberfahrzeuge, Gastronomie und Event, Archiv für verschiedene Bielefelder Museen sowie Büro- und Seminarräumen ging voll und ganz auf. Investor und Architekt planen bereits Erweiterungsbauten. Auch in Bielefeld ist also möglich, was schon acht Jahre zuvor in Berlin gelang.
Und auch die Denkmalpflege ist zufrieden: „Bielefeld ist einer der Orte, wo die Industrie-Denkmalpflege erfunden wurde, als es um die Rettung der Ravensberger Spinnerei ging. Mit der hochwertigen Sanierung und Neuinterpretation dieses Gebäudes, die den Denkmalwert respektiert, spielen Bauherr und Architekt in der Oberliga der Industrie-Denkmalpflege. Das hier ist eines der wenigen gelungenen ganz großen Beispiele“, lobt Landeskonservator Dr. Markus Harzenetter, Leiter der Denkmalpflege beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in Münster, das Projekt.
Pläne
Hier finden Sie die Pläne des Bielefelder Lenkwerks als PDF zum Dowmload.