Umbau und Erweiterung des Bahnhofsgebäude in Bielefeld-Jöllenbeck zum „Haus der Zahnheilkunde“
Im 1929 erbauten Bahnhof im Bielefelder Stadtteil Jöllenbeck werden heute Zähne untersucht. Hierzu wurde das Erscheinungsbild des um einen Anbau erweiterten Bestandsgebäudes wiederhergestellt, wobei Architekt Thomas Brewitt zum Beispiel die einst vorhandenen Klappläden aus Putz nachbilden ließ.
Jöllenbeck ist ein Stadtteil im Norden von Bielefeld. Einst führte eine mit Dampf betriebene Kleinbahn dorthin, weshalb Jöllenbeck 1929 einen eigenen Bahnhof erhielt. Als solcher wurde das Gebäude aber nur ein Vierteljahrhundert lang genutzt, denn 1955 stellte man den Schienenverkehr nach Jöllenbeck wieder ein. Aus dem Bahnhof wurde eine Gaststätte, deren Name „Alter Bahnhof“ an die ursprüngliche Funktion des Gebäudes erinnerte. Dies blieb bis 2013 so, bis Dr. Fayez Jakubi das rund 1500 m2 große Grundstück an einer viel befahrenen Kreuzung erwarb, um darin ein „Haus der Zahnheilkunde“ zu eröffnen. Für den mit der Umbauplanung beauftragten Bielefelder Architekten Thomas Brewitt war dieser Umstand ein Glücksfall: „Aus dem auf historischen Postkarten abgebildeten Bahnhof war ein Schandfleck geworden, dem keine Zukunft vergönnt schien. Ein neuer Bebauungsplan wies den Abbruch und großflächigen Neubau aus. Andere Bauträger wären dem Bebauungsplan sicher gefolgt und hätten das Gebäude in dieser Form nicht saniert. Dem Bauherrn war die historische Bedeutung des Gebäudes aber bewusst“, so Thomas Brewitt.
Umbau und Erweiterung
„Als die Anwohner erfuhren, dass wir das Grundstück gekauft haben, erhielten wir zahlreiche Anrufe mit der Bitte, das Gebäude bloß nicht abzureißen. Daher wollten wir es erhalten und der Kreuzung einen markanten, historischen Ankerpunkt geben“, sagt Bauherr Dr. Fayez Jakubi. Um dies zu erreichen, musste das ursprüngliche Erscheinungsbild des Bahnhofs wiederhergestellt werden. Da der Bauherr mit weiteren Zahnarztkollegen im „Haus der Zahnheilkunde“ arbeiten wollte, bedurfte es zudem einer baulichen Erweiterung, damit die rund 400 m2 Nutzfläche im Altbau auf insgesamt 540 m2 steigen konnten. Thomas Brewitt stellte dem Bestandsbau mit Walmdach einen schlichten Anbau mit Flachdach zur Seite. Optisch verbindet beide Gebäude die zurückhaltende Farbgebung: grau in der Fläche, weiß um die Fenster herum.
Fensterläden aus Putz
Der am Bahnhofsgebäude vorhandene Putz war in einem vergleichsweise guten Zustand. Die Mitarbeiter der Bielefelder Firma Nattkemper + Brummel, die den überwiegenden Teil der Bauarbeiten quasi aus einer Hand übernahmen, glätteten den alten Spritzputz zunächst mit einer dünnen Putzschicht als Vorbereitung für die nachfolgenden Arbeiten. Diese betrafen im Wesentlichen die Fenster, genauer gesagt, die am Gebäude mittlerweile nicht mehr vorhandenen Fensterläden. Auf alten Fotografien waren diese im Obergeschoss jedoch zu sehen. Klappläden aus Holz wollte Architekt Brewitt aber nicht wieder montieren, sondern diese in Putz nachbilden lassen. „Wir haben uns dann gemeinsam mit einem Fachberater von Brillux überlegt, wie man das machen kann“, erinnert sich Thorsten Brummel, Geschäftsführer der Firma Nattkemper + Brummel. Heraus kam dabei zunächst ein selbst gebautes Werkzeug, um mit einer Kammputzstruktur die Lamellen der Klappläden nachzubilden. „Ein solches Werkzeug gab es einfach nicht. Wir haben 5 cm breite Vertiefungen in eine alte Kelle geschnitten und mit Armierungsmörtel die Riefen zunächst auf einer Musterfläche aufgezogen. Das Ergebnis hat uns und den Architekten überzeugt“, sagt Thorsten Brummel. Armierungsmörtel bevorzugt er für solche, eher ausgefallen Arbeiten, da dieser „schön fein und fest“ ist. Anschließend wurde die im Obergeschoss links und rechts neben den Fenstern in einer realistischen Breite ausgeführte Kammputzstruktur mit Glattputz überarbeitet und weiß gestrichen. Dadurch setzen sich die in Putz ausgeführten Klappläden deutlich von der grau gestrichenen Fläche ab. Der Effekt ist verblüffend, denn dank Farbe und Struktur meint man zunächst, tatsächlich Fensterläden an der Fassade zu sehen. Erst auf den zweiten Blick wird der Entwurfsansatz des Architekten klar: historische Gestaltungselemente so zu interpretieren, dass sie in abstrahierter Form neu abgebildet werden können. „Wenn man erst einmal raushat, wie das geht, ist das nicht weiter schwierig“, meint Thorsten Brummel, räumt aber ein, dass man dafür den Mann mit dem passenden Feingefühlt für solche Arbeiten haben muss.
Faschen um die Fenster des Anbaus
Das Zitat der weißen Fensterläden greift Thomas Brewitt gestalterisch abstrakt auch am Anbau als weiße Faschen um die sprossenlosen Fenster herum auf. Den Anbau mauerten die Handwerker aus Kalksandsteinen und befestigten darauf ein WDVS aus 18 cm dicken Mineralwolleplatten. Damit die Faschen nicht nur mit glatter Putzoberfläche und weißer Farbe optisch aus der ansonsten grauen Kratzputzfläche hervortreten, sondern dies auch tatsächlich tun, doppelten die Maler das WDVS in Form der Faschen mit 2 cm dicken Mineralwolleplatten auf. Den flächenbündigen Anschluss der Fenster an das WDVS stellten sie mit Putzanschlussprofilen her.
Preiswürdige Gestaltung
Nach Abschluss der Sanierungs-, Um- und Anbauarbeiten Mitte 2015 befindet sich im alten Bahnhof in Bielefeld-Jöllenbeck das „Haus der Zahnheilkunde“. Ganz zu recht erhielten Dr. Fayez Jakubi, Thomas Brewitt und Thorsten Brummel die höchste Auszeichnung beim Deutschen Fassadenpreis 2016 in der Kategorie „Historische Gebäude und Stilfassaden“, denn die moderne Interpretation historischer Gestaltungselemente, die neben dem abgesetzten Sockel und Gesims vor allem die originalen Fensterläden mit einer Kammputzstruktur betrifft, ist in Planung und Ausführung ebenso hervorragend gelungen wie die bauliche Erweiterung des Bestandes, die sich selbstbewusst als Zutat unserer Zeit zu erkennen gibt.
Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherren Mariam und Fayez Jakubi, Bielefeld,
Planung brewittarchitektur, Thomas Brewitt,
Bielefeld, www.brewittarchitektur.de
Bauleitung brewittarchitektur, Bielefeld,
und bpb André Glunz, Detmold, www.bpbglunz.de
Statik Laskowski Ingenieurgesellschaft, Bielefeld
Putz- und Malerarbeiten Nattkemper + Brummel, Bielefeld, www.brummel.de
WDVS, Putz und Farbe Brillux, Münster,