Sanierung und Erweiterung des Jüdischen Museums in Frankfurt von Staab Architekten

Staab Architekten sanierten die Bestandsgebäude des Jüdischen Museums in Frankfurt und ergänzten sie mit einem Erweiterungsbau in zeitgenössischer Architektursprache. Das denkmalgeschützte Rothschild-Palais und der neue Lichtbau bilden ein Gebäudeensemble um den neuen Eingangshof.

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Dezent und selbstbewusst in zweiter Reihe: Unweit der Bankentürme fügt sich der Neubau in die städtebaulich heterogene Struktur zwischen Mainpromenade und Schauspielhaus ein. Er ist auf der Gartenseite des Rothschild-Palais platziert, das den Abschluss einer klassizistischen Häuserzeile am Untermainkai bildet. Seit 1988 beherbergen das denkmalgeschützte Gebäude und der benachbarte Altbau das Jüdische Museum. Nach zwei Jahrzehnten sollten die Räumlichkeiten an ein zeitgemäßes Museumskonzept angepasst und auch technisch modernisiert werden. So beschloss die Stadtverordnetenversammlung, den Bestand grundlegend zu erneuern und um einen Erweiterungsbau zu ergänzen. Dieser sollte das Museum mit zusätzlichen Räumen für Wechselausstellungen, mit einer Fachbibliothek und öffentlichem Café einem größeren Publikum öffnen. Im 2012 ausgeschriebenen Wettbewerb und der folgenden Überarbeitung setzten sich Staab Architekten aus Berlin mit ihrem Entwurf unter den drei Preisträgern durch. Als monolithisch-skulpturaler Baukörper setzt der Erweiterungsbau einen neuen Akzent, ohne die Bestandsgebäude aus den 1820er-Jahren zu dominieren. Aus dem Zusammenspiel von Alt und Neu entsteht ein vielschichtiger Dialog.

Städtebauliche Situation

Das Grundstück des Erweiterungsbaus grenzt unmittelbar an die Grünfläche der ehemaligen Wallanlagen an. Für den Entwurf bestand die Herausforderung auch darin, den neuen Baukörper in den Kontext zu integrieren, das Jüdische Museum im Stadtbild sichtbarer zu machen und mit einer einladende Geste zur Stadt zu öffnen, da sich hier nun auch der Haupteingang befindet. Für Staab Architekten war es dabei wichtig, die historische Staffelung aus Villenzeile, Gärten und Wirtschaftsgebäuden zu erhalten und nicht durch einen Anbau zu verunklären. Der Neubau wurde daher als Solitär konzipiert, dessen Farbgebung und Fassadengliederung sich auf die Altbauten bezieht und mit ihnen ein neues Ensemble bildet. Um den Charakter des Bestands zu wahren, ist der auf einer polygonalen Grundrissform basierende Baukörper respektvoll abgerückt und entlang der Hofstraße platziert. Zwischen Neubau und Bestand spannt sich so ein neuer Raum auf – der Vorplatz, der sich zu den Wallanlagen öffnet. An ihn schließt sich als zurückhaltende Sicherheitsbarriere ein abgesenkter Gartenhof an. Dieser wird begrenzt durch einen niedrigen Riegel, der den Neubau im Sockelbereich unauffällig mit dem Rothschild-Palais verbindet und so den freistehenden Eindruck verstärkt. Auf dem Dach des Riegels befindet sich die Terrasse des Museumscafés. Diese ist zwar ebenso wie der Garten aus Sicherheitsgründen von außen nicht zugänglich, nichtsdestotrotz strahlt sie urbane Zugehörigkeit aus.

Das Erscheinungsbild des Neubaus ist zeitgemäß und tritt zugleich mit den Altbauten in einen spannungsvollen Dialog. Deren Sockelgestaltung und horizontale Fassadengliederung nehmen Staab Architekten mit Faschen aus streifenförmigen vorgefertigten Sichtbetonelementen auf, die das Erdgeschoss akzentuieren. Die darüberliegenden Fassadenbereiche sind mit einem Wärmedämmverbundsystem bekleidet. Dessen gleiche Farbigkeit wie die Sichtbetonelemente verstärkt die monolithische Wirkung des Baukörpers. Im Kontrast zu den klassizistischen Fensterreihen sind in den Neubau wenige, unterschiedlich große Öffnungen eingeschnitten: ein langes Glasband betont den Eingang, das große Fenster in der Westfassade die Bibliothek.

Behutsame Sanierung der beiden historischen Palais

In den beiden Bestandsgebäuden wurde die Dauerausstellung neu konzipiert. Sie thematisiert auf drei Etagen die jüdische Geschichte Frankfurts von der jüdischen Emanzipation um 1800 bis zur Gegenwart. Im Zuge der Sanierung sollte die historische Struktur des Rothschild-Palais wieder ablesbar gemacht werden. Das Innere des Palais stand bis auf wenige Räume – Treppenhaus, Direktoren- und Musikzimmer im Erdgeschoss, Flure mit historischen Wandvertäfelungen – nicht unter Denkmalschutz. Die noch in ihrem ursprünglichen Zustand erhaltenen Räume wurden restauriert und stellenweise behutsam ergänzt. Die postmodernen Einbauten aus den 1980er-Jahren, die einen Teil der Räume überformten, wurden zurückgebaut. Staab Architekten rekonstruierten die Räume in Anlehnung an klassizistische Bürgerhäuser in der Anmutung jener Zeit.

Ihre Atmosphäre kontrastiert mit den Museumsräumen im historischen Nachbargebäude; da es im Gegensatz zum Rothschild-Palais keine bauzeitlichen Oberflächen mehr aufwies, wurden die Räume hier in heutiger Architektursprache zurückhaltend ergänzt. Von außen nicht sichtbar wurden zwei Aufzüge integriert, um einen barrierefreien Ausstellungsrundgang zu ermöglichen. Die für den Aufzugskern benötigten Deckenöffnungen in allen Etagen erwiesen sich für die Handwerker als große Herausforderung. Anspruchsvoll waren auch die aufwändige Brandschutzertüchtigungen aller Bauteile – Wände, Stützen und Decken – sowie die Integration der Haustechnik, um die Räume zu klimatisieren. Die neuen hofseitigen Gauben dienen der Aufzugsentrauchung und Außenluftansaugung und wurden mit der Denkmalpflege abgestimmt.

Lichterfülltes Inneres

Das Innere des Neubaus überrascht mit ungewöhnlichen Raumzuschnitten, großzügigen Raumfolgen und vielfältigen Sichtbezügen. Als lichtdurchflutetes Zentrum nimmt das Foyer die gesamte Gebäudehöhe ein. Ein großes Oberlicht in der geneigten Dachfläche überspannt wie schwebend diese atriumartige Halle, lässt das Tageslicht ins Innere fluten und verleiht dem Gebäude seinen Namen – Lichtbau. Die großzügigen Erschließungsflächen vereinfachen den Besuchern die Orientierung im Gebäude durch eine leicht erkennbare Wegeführung und durch Sichtbeziehungen mit Durchbrüchen und Verglasungen. So verbinden große Fenster die Halle mit der Bibliothek und dem koscheren Café-Bistro im ersten Obergeschoss. Diese sind erreichbar über das rechts des Eingangs gelegene Treppenhaus, während eine großzügige Treppenanlage ähnlich einer Freitreppe direkt in das untere Foyer mit Kasse und Garderoben führt. Von hier gelangen die Besucher einerseits zu den Ausstellungsräumen in den Palais, andererseits zu den Bereichen der Wechselausstellungen im Untergeschoss des Neubaus, die die Präsentationsfläche um 600 m2 erweitern. Auch der Museumsshop und der Zugang zum Gartenhof schließen direkt an das untere Foyer an.

Der Vortragssaal im Erdgeschoss ist unmittelbar am Eingang platziert, während im zweiten Obergeschoss die nichtöffentlichen Bereiche untergebracht sind – Werkstätten, Archiv und Magazin der Bibliothek.

Materialkontraste und hochwertige Oberflächen

Trotz der komplexen Raumzuschnitte strahlt der Lichtbau eine große Ruhe aus, erzeugt durch die bewusst reduzierte Materialwahl und die minimalistische und klare Gestaltung. Der Charakter der Foyers und Treppenanlagen wird wesentlich geprägt durch die Sichtbetonflächen der Wände und Decken. Diese führten die Handwerker mit großer Präzision und in hoher Qualität aus. Verwendet wurde ein Weißbeton mit Mainkies als Zuschlagstoff sowie eine glatte, kunststoffbeschichtete, nicht saugende Schalung. Die Oberflächen erhielten eine oleo- und hydrophobe Imprägnierung. In den Sichtbetonflächen werden die Türen und Verglasungen mit Laibungen und Rahmen aus Eschenholz akzentuiert. Im Kontrast zu den Erschließungsräumen sind die weiteren öffentlich zugänglichen Bereiche gestaltet: So sind der Lesesaal der Bibliothek, Garderobe und Shop mit hellem Eschenholz ausgekleidet. Der hohe Raum der Bibliothek öffnet sich mit dem großen Fenster zum Vorplatz und bietet gemütliche Leseecken für interessierte Besucher ebenso wie ruhige Arbeitsplätze für Forscher. In Zukunft sind hier auch Lesungen und Workshops geplant. 

Kulturbau mit Ausstrahlung in den Stadtraum

Als neuer Stadtbaustein belebt das Jüdische Museum den vormals unscheinbaren und wenig genutzten Grünraum am Beginn der ehemaligen Wallanlagen. Der neue Eingangshof verschränkt das Museum mit der Stadt und trägt zu einer Aufwertung des öffentlichen Raumes bei. Zudem öffnet sich der neue Kulturbau künftig nicht nur mit Veranstaltungen verstärkt interessierten Bürgern – denn Bibliothek, der Shop mit Buchhandlung und das Café sind auch ohne Museumsticket zugänglich.

Autorin

Dipl.-Ing. Claudia Fuchs studierte Architektur an der TU Mün­chen. Sie arbeitet als freie Redakteurin und Autorin un­ter anderem für die Zeitschriften Detail, Baumeister, dach+holzbau und bauhandwerk.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr Stadt Frankfurt am Main, https://frankfurt.de 

Nutzer Jüdisches Museum Frankfurt am Main, www.juedischesmuseum.de 

Architekten Staab Architekten, Berlin, www.staab-architekten.com 

Bauleitung schneider + schumacher Planungsgesellschaft, Frankfurt am Main, www.schneider-schumacher.de 

Statik Leonhardt, Andrä + Partner, Stuttgart, www.lap-consult.com 

Rohbau Firma Anton Schick, Bad Kissingen, www.schick-bau.de 

Fassadenbauarbeiten Neubau Edil Color, Gau-Algesheim, www.edil-color-gmbh.de 

Fassadensanierungsarbeiten Fuchs+Girke Bau und Denkmalpflege, Ottendorf-Okrilla,  www.fuchs-girke.com 

Holzfensterbau Ost Holzfenster, Gründau 

Tischlerarbeiten Jehn Schreinerei, Ebersburg, https://jehn-schreinerei.de

VHB Vereinigte Holzbaubetriebe W. Pfalzer & H. Vogt, Woringen, https://vhb-memmingen.de 

Restaurierungsarbeiten Restauratorenteam Böddeker & Schlichting, Paderborn,  www.restauratorenteam-b-s.de 

Innenputzarbeiten Hema, Heusenstamm, www.hema-maler.de 

Trockenbauarbeiten Kaefer Construction, Weiterstadt, www.kaefer-construction.com 

Malerarbeiten Firma Damian Werner, Kalbach, www.damianwerner.de

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