Schieferdach schützt historisches Kleinod

Die Villa Gericke steht unweit der russischen Siedlung Alexandrowka in Potsdam. Ihre Ge­staltung weist traditionelle Züge einer nordisch-russischen Bauweise auf. Nach der Komplettsanie­rung – das Dach mit Alt­deut­scher Deckung und Bischofsmützen – erstrahlt das reich ver­zier­te Bauwerk wieder in ganzer Pracht.

„Ich hab gebaut nach meinem Sinn, und wem das Haus nicht gefällt, der bau es besser für sein Geld, Anno 1863“. So steht es an einem Erker der Villa Gericke in Potsdam. Das mit vielen deko­rativen Elementen versehene Gebäude wurde 1892 vom Architekten F. Gericke errichtet und soll, so heißt es, eine Kopie der Villa Ende sein, die vorher im Berliner Tiergarten stand. Teile dieser Villa, die wegen einer neuen Bahnlinie abgerissen werden musste, sind hier verbaut. Das Denkmal ist eine Backstein-Holz-Architektur mit reichen Laubsägedekorationen, steilen Dächern und wie gedrehte Säulen aussehenden Schornsteinen.

Komplettsanie­rung war notwendig

Nach der Deutschen Einheit war das Bauwerk im Herzen Potsdams hochgradig sanierungsbedürftig. Als bourgeoise Architektur in der ehemaligen DDR verpönt, hatte die Villenarchitektur wenig Für­sprecher im Arbeiter und Bauernstaat. Die Dächer waren ungepflegt und undicht. Bewohnt war die Villa nur in den unteren Räu­men. Im Jahr 2005 erstand dann ein international tätiges Anwaltsehepaar die Villa. Das Dach war zu diesem Zeitpunkt undicht und unvollständig, der Dachstuhl schadhaft. Feuchtigkeit fand sich vielerorts, die Bausub­stanz war durch Hausschwamm stark angegriffen. Wer einen solchen Bau als Privatmann angeht, muss sein Konto im Auge behal­ten. Das tat der Bauherr und behielt gleichzeitig seine Handwerker im Auge. Er wählte sie persönlich aus. Der Dachdecker war eine Empfehlung, der Zimmermann ebenfalls.

Der Bauherr ist quasi selbst ein Bauprofi. Er hat schon viele alte Häuser weltweit saniert, gilt als sachkundig, kann genau zuhören und drückt die Preise nicht; er fordert aber die Ehre des Handwerks.

Im Detail der Außenarchitektur sind Antike und Mittelalter gleichermaßen zu finden. Die Ornamentik der Holzarbeiten, das sind insbesondere die Schwebegiebel an allen vier Hausseiten – mit den Krabben auf den Ortgängen – Ranken, Vielpaßbögen und Dolorien sind sowohl von normannischer wie skandinavischer und Schweizer Vorbildern inspiriert. Die Reliefs auf den Brüstungen darunter sind dagegen antikisch aufgefasst.

Auffallend dabei ist die Farbigkeit der Architektur, hier die Farben gelb und rot, die das Ganze überziehen. Die Reliefs sind themengestaltet und über den Fensterstürzen sind vereinzelt noch Verse zu erkennen, die besonders häufig an Häusern der Neugotik zu finden sind. Insbesondere solchen Häusern, die durch ihren ausgeprägt malerischen Charakter auffallen.


Die aufwändige Sanierung dauerte mehrere Jahre

Dieses Haus galt es unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten zu sanieren. 2005 begannen die Bauarbeiten, 2006 wurde das Gebäude komplett mit einem Gerüst mit Überdach (inklusive Blechdach) eingehaust.

Die Dachdecker rissen die alte Dachdeckung ab und zeich­neten dabei die Details des Daches auf. Die Dachdeckung bestand zum Teil aus Altdeut­scher Deckung und zum Teil aus Bischofsmützen. Der Turm hatte keine Turmspitze mehr. Hier wurde nur noch die Flachdach-Notdeckung abgerissen. Im Zuge der Abrissarbeiten wurden Schäden an sämtlichen Anschlüssen, Ortgängen, Kehlen und Giebeln festgestellt.

Dann kamen die Zimmerer. Sie bargen sämtliche Giebeldreiecke und restaurierten sie in der Werkstatt. Fehlende Teile wurden ersetzt oder vollkommen zerstörte Details passgenau eingesetzt und somit originalgetreu wiederhergestellt.


Tragwerkskonstruktion musste erneuert werden

Dann wurde die Vollschalung rückgebaut und das Holztrag­werk untersucht. Die Konstruktion musste weitgehend erneuert werden. Der Turm erhielt wieder ein Kegeldach. Dabei wurde das Dach, zwischen den 14er-Sparren gedämmt und innen mit einer Dampf­brem­se versehen. Dann wurde das gesamte Dach wieder komplett verschalt und für die Schiefer­deckung mit einer diffusionsoffenen Vordeckung vorbereitet.

Im Zuge der Dacharbeiten fanden die Handwerker auf dem Dachboden verschiedene alte Dach-Bauteile. Zum Beispiel alte Firstverzierungen, Schornsteinteile oder Teile einer aufge­legten Rinne. Sie wurden vom Bauherren genauestens in Augenschein genommen, für die anste­henden Baumaßnahmen genutzt oder im Auftrag des Bauherren in den benötigten Stückzahlen nachgebaut


Bischofsmützen und Altdeutsche Deckung

Im Januar 2007 begannen die Arbeiten am Schieferdach. Nach einge­hender Sichtung alter Unterlagen und alter Bilder stand fest, dass die Satteldachflächen im Ursprung mit Bischofsmützen gedeckt waren. Es wurden für die Satteldächer Bischofsmützen der Größe 50 x 25 cm gewählt. Die Schiefer lieferte Rathscheck Schiefer aus Mayen. Die Firste bekamen wieder ihre al­ten Verzierungen und an allen Enden jeweils Zierspitzen. Auch die schlan­ken Satteldachgauben krönt jeweils eine Zierspitze aus Titanzink. Für Firste und Trau­fen kamen ent­spre­chen­de Zubehörschiefer als Rechtecker zum Einsatz. Die Regenrinne wurde wie einst als auf­ge­legte Rinne ausge­führt.

Der Kegelturm erhielt eine Altdeut­sche Deckung aus Moselschiefer. Nach einer alten Schwarz­weißbild-Vorlage ist die Altdeutsche Deckung hier waagerecht, ohne Gebinde­stei­gung gedeckt. Nach jeweils fünf rechts gedeckten Rei­hen folgt ein links gedecktes Gegenge­bin­de. So entstehen vier waagerechte Felder zu je fünf Deckreihen und drei Gegen­ge­binde. Die Kegeldeckung des Turmes entspricht auf diese Weise mit seinem Streifenmuster wieder exakt dem historischen Vorbild.


Orientierung an alten Zeichnungen und Bildern

Nach vorgefun­denen Zeichnungen und alten Bildern wurden auch die Anschlüsse an Kehlen, Gauben, Ortgän­gen und Traufen mit Blechen (mit Wasserfalz) gelöst. Dabei verwende­ten die Dachdecker 0,7 mm dickes Titan­zink. Abweichend vom Originalzustand wurden mit Zu­stim­mung der Denkmalpflege in zwei von Außen nicht einsehbare Dachflächen zwei Dachflä­chen­fenster eingebaut. Ansonsten folgt das gesamte Dachbild dem historischen Vorbild. Das gelungene Dach ehrt den Handwerker und bestätigt die Vorgehensweise des Bauherren.


Bedächtige Vorgehensweise der Handwerker und des Bauherren

Ähnlich konsequent ging der Bauherr auch bei den Mauerwerks- und Fassadenarbeiten vor. Bei dem Innenausbau wurde das Mauerwerk in Teilbereichen mittels Injektage und durch Fluten mit einem Schwammsperrmittel behandelt. Die Kassettendecken und das bleigefasste Fenster erhielten eine sorgfältige Überarbeitung und Restaurierung. Die Wendeltreppe im Turm ist aus dem Bestand des Bauherren und wurde hier zur Erschließung des Spitzbodens montiert.

Die noch vorhandene Altdielung wurde werkstattmäßig aufgearbeitet und wieder verlegt. Einige Räume im Dachgeschoss erhielten eine neue Kieferndielung. Im Spitzboden wurde eine historische Altdielung aus Fichtenholz mit Friesbrettern verlegt.

Nach der Renovierung glänzt die Villa Gericke mit einem neuen Schieferdach mit besonderen Details wie der Altdeutschen Deckung und den Bischofsmützen. Zudem prägen ungewöhnlich reizvolle und liebevoll vollendete Holzarbeiten und Mauerwerksdetails die Villa.



Autoren


Gerard Halama ist Fachjournalist und betreibt ein Büro für Fachpublizistik in Bremen. Martin Schmiechen ist Zimmermeister. Sein Betrieb ist auf Sanierungsarbeiten spezialisiert. Seine Frau Ulrike schreibt und koordiniert Objektberichte von den Baustellen.

Die Außenarchitektur ist inspiriert durch die Antike und das Mittelalter

Die Deckung entspricht mit seinen Streifenmuster dem historischen Vorbild

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