Umbau eines kleinen Backsteinhauses in Viersen
Linus Weber hat ein Backsteinhaus seiner Heimatstadt Viersen erworben und restauriert, das zuvor 20 Jahre leergestanden hatte. Nach der Bestandsaufnahme entwickelte der Inhaber eines Denkmalpflegebetriebes ein Farbkonzept, dass von den im Hausflur vorgefundenen Mettlacher Jugendstilfliesen abgeleitet ist.
Schlendert man in Viersen-Süchteln an der Kirchenmauer von St. Clemens entlang, trifft man in der Probsteistraße 10 auf ein kleines, verwinkeltes Backsteinhaus, das sich an die Probsteimauer schmiegt. Es wirkt geheimnisvoll, verwinkelt und doch einladend, mit großen, weiß gerahmten Fenstern in der zweigliedrigen Ziegelfassade. Die dunkelgrüne Eingangstür sitzt mittig in der Biegung der Hauslinie und weist darauf hin, dass in Zeiten der Erbauung im späten Mittelalter zwei kleinteilige Wohneinheiten à 50 m2 genutzt wurden. Früher flankierten eine ganze Reihe solcher Bauten die Kirche. Nach einem Brand im Jahr 1893 wurden bis auf dieses Eckhaus alle zerstört. Der eigentliche Charme des Hauses verschwand durch viele Umbauarbeiten: enge, dunkle Räume, geziert von Blümchen- und Streifendekor, ohne Heizung und Wasserleitungen. Baupläne sind nicht überliefert. Lediglich ein Aufriss und ein Vermerk in einem historischen Plan der Stadt zeugen von seiner Konstruktion und Lage. Seit 1988 ist es ein eingetragenes Denkmal der Stadt Viersen. Als sich im Dezember 2013 die „Linus Weber Denkmalpflege“ entschloss, das Haus instand zu setzen, stand es schon 20 Jahre lang leer.
Linus Weber Denkmalpflege
Der gebürtige Viersener Linus Weber lebte einige Jahre im Ausland. In Kanada lernte er nicht nur seine heutige Lebenspartnerin, sondern auch den viktorianischen Baustil kennen. „Das ist vor allem farbgestalterisch interessant“ erzählt er, „denn in Kanada, aber auch in Großbritannien, den Niederlanden und Belgien wohnt man sehr viel bunter als wir das in Deutschland kennen. Dort wird sehr viel mehr gestrichen und farbästhetisch hochwertig kombiniert“. Er erlebte Farbgestaltungen, die ihn noch heute inspirieren, weil die Raumwirkungen durch hochwertige Farben und Farbkombinationen im Spiel des Lichts und in Korrespondenz miteinander beeindruckten; u.a. in Vancouver begegnete ihm die Verwendung einer ganzen Palette neuer Farbtöne des englischen Herstellers Farrow & Ball, dessen Farben im Gestalterumfeld lange als Geheimtipp galten und heute weltweit Wohn-Trends setzen. Wieder in Europa angekommen hatte er einen ganz neuen Blick für historische Häuser und Materialien entwickelt. Er reist regelmäßig nach Belgien und in die Niederlande, lässt sich vielfältig farblich inspirieren und kauft Materialien für Projekte ein. „Auch viele kleine Firmen beginnen wieder, historische Farbrezepturen zu verwenden und Farben auf möglichst natürlicher Basis und mit hoher Qualität zu produzieren“, sagt er.
Denkmalpflegerischer Ansatz
Denkmalpflege hat er zu seinem Beruf gemacht. Er entwickelt Instandsetzungskonzepte für historische Häuser mit tragfähigem Nutzungskonzept, berät und projektiert. Die farbliche Gestaltung spielt dabei meist eine wesentliche Rolle. Bauliche Veränderungen bewerkstelligt er mit kooperierenden Architekten. Geleitet vom Respekt vor der historischen Bau- und Handwerkskunst und frei nach Karl Friedrich Schinkel vertritt er das Credo, „dass lebendige Historie nicht bedeutet, das Alte festzuhalten oder zu wiederholen, sondern so zu bewahren, dass es mit der Zukunft und mit moderner Nutzung vereinbar ist“. „Solche Häuser sollen ja keine Museen sein, sondern Lebensorte“, sagt er. Sein Ziel sind authentische, lebendige Gesamtkompositionen, die überzeugen und den Anforderungen der Denkmalpflege gerecht werden. „Wie nah eine Instandsetzung diesem Ziel kommt spürt man, wenn man solche Häuser betritt“, erklärt er. „Oft sind es kleine Elemente, die einen Raum unharmonisch wirken lassen.“ Er arbeitet mit einem Team von festangestellten und freien Handwerkern, die historische Techniken beherrschen und sich diesem Credo und der Freude an der gestalterischen Arbeit, dem Sinn für das Ganze und für die Zusammenarbeit der Gewerke verbunden fühlen. Auf Webers Baustellen wird gemeinsam Pause gemacht und über das Projekt gesprochen. Man berät sich und packt an, wenn es notwendig ist. „Das ist für das Gesamtergebnis sehr viel wert, und was manchmal viel Zeit kostet zahlt sich im Endergebnis dann meist aus“, sagt Weber.
Der Instandsetzungsprozess
Die Freilegungsarbeiten brachten einige Schätze zum Vorschein. „In diesem Ausmaß ist das natürlich Glückssache“, kommentiert Linus Weber. An den Fenstern, die die rückwärtige Hauswand freigab erkennt man, dass die rund 50 cm vom Haus entfernte Probsteimauer erst sehr viel später dazu kam. Sie waren samt dem Originalglas hinter Ziegeln und Holzplatten verborgen. Sehr gut erhalten eröffnen sie heute Blickverbindungen mit der grün bewachsenen Mauer. Das Farbkonzept leitet Linus Weber von den im Hausflur vorgefundenen Mettlacher Jugendstilfliesen ab, deren Farben er mit sehr hellen Cremetönen hochwertiger Farben, die mit dem Licht lebendig korrespondieren, aufnimmt. Die einfach gewendelte Holztreppe wurde mit „New White“ und „Dove Tale“ von Farrow & Ball aufgehellt und wirkt nun licht und einladend. Historisch nachgebildete Stufenverlängerungen verbessern die Begehbarkeit. Der mit einem Schrägdach gedeckte Innenhof wurde freigesetzt und trägt heute wesentlich zur natürlichen Belichtung der Wohnküche bei. Wände und Decken strichen die Handwerker mit „Lehm direkt weiss“ von Claytec. Türen und Sockelleisten mit „New White“. Er probierte an die sechs Weißtöne, bis er diesen perfekt passenden Ton fand. Die stark verrottete Tür zum Innenhof wurde durch eine moderne ersetzt, und der davon ausgehende Flur zugunsten der großräumigen Wohnküchengestaltung aufgegeben. Bauseits vorgefundene Holzdielen, zeitgenössische Fliesen und historische Feldbrandsteine bereiteten die Handwerker auf und verwendeten sie wieder. Im Haus kamen unter anderem eine vom Flur abgehende Tür, einfache Wandmalereien, ein kleines Sichtfenster im Treppenhaus und sehr gut erhaltenes und mit einzelnen Schnitzereien verziertes Deckengebälk zum Vorschein. Letzteres wurde im Original belassen und geölt.
Der Dachboden wird noch zum Elternschlafzimmer mit Bad und WC ausgebaut. Er wurde mit Zellulose-Einblasdämmung von Isofloc gedämmt. Das Wohnkonzept entspricht dem einer Familie. Aktuell enthält es rechts vom Flur abgehend eine Wohnküche (25 m2), links abgehend ein Musikzimmer mit anschließendem Hauswirtschaftsraum (25 m2), eine Gardarobe unter der Treppe, ein Gäste WC, sowie im oberen Geschoss ein Wohnzimmer (25 m2) mit Arbeitsplatz und ein Schlafzimmer mit Bad und WC (25 m2). Im gereinigten Gewölbekeller befindet sich heute die Brennwert-Heizanlage, die zusammen mit den Wasserleitungen installiert wurde. Zwei originale schmale Fenster belüften den Keller.
Wohnkücheninstandsetzung
Linker Hand ziert den Raum eine in wildem Verbund gemauerte Feldbrandsteinwand. Davor steht ein Küchensideboard aus Holz. „Wir haben die Wand drei Mal versetzt, bis sie genau an dieser Position und mit dieser Fugung stand“, sagt Linus Weber. Diesbezüglich sei er Perfektionist, weil solche Details wichtig für die gesamte Raumwirkung seien. Das Küchenmöbel ist mit der Farbe „Plummett“ gestrichen, eine vorgefundene Eichendiele dient als Arbeitsplatte. Das Ensemble wirkt authentisch und gleichzeitig modern und stylisch. Das Holzwerk wurde geölt.
Küchenboden
Für den Küchenboden wurden mattbeige, 10 cm x 10 cm große Fliesen verlegt, die im 19. Jahrhundert von der Firma Charles Michelet Utzschneider in Belgien hergestellt worden war. Sie stammen aus dem Rückbau einer belgischen Klosterküche und weisen einen Brandrand und leichte Unregelmäßigkeiten in Größe und Dicke auf. „Wegen des Brandrandes wollte die Fliesen keiner haben“, erzählt Linus Weber. Gerade der hat ihn aber beeindruckt, weil sie dem Boden den besonderen Charme seiner Zeit verleihen. Jede einzelne Fliese wird durch fräsen und schneiden vom alten Fugenmörtel befreit. Traditionsreich verlegt hat sie der Terrazzobauer Arno Cancian aus Viersen Frisch-in-Frisch und auf knirsch im Mörteldickbett. Kante an Kante verlegt entsteht nur eine kleine Minifuge, die bei gelungener Verlegung auf der Bodenfläche kaum mehr sichtbar ist. „Man macht sich beim Verlegen Gedanken über das Fliesenbild, darüber, wohin die Toleranzen verlegt werden, damit sich keine einzelnen Felder hervorheben“, erklärt Arno Cancian. Im Gegensatz zum heute üblichen Verkleben industriell gefertigter Fliesen im Dünnbettverfahren verlegt er im Mörteldickbett auf dem Rohboden, auf dem er gleichzeitig den Estrich, der die Konstruktionshöhe bestimmt, miterstellt (Frisch-in-Frisch). Auf Magerbeton bringt er dafür weicheren Mörtel auf, in den er die Fliesen hineinlegt. Für die rund 25 m2 große Fläche braucht er knapp drei Tage. „Im Durchschnitt kann man von einer Tagesleistung von 20-40 m2 ausgehen, die bei dieser Technik und Fliesengröße nicht erreichbar ist, weil der Aufwand gut doppelt so hoch ist“, sagt er. Das Gesamtbild wirkt homogen. „Daran erkennt man die hohe Kunst der Traditionsverlegung, die Erfahrungssache ist und durch die man dem Material anerkennt, wie es zu handhaben ist“, sagt der Terrazzobauer mit Leidenschaft für die Restaurierung historischer Böden.
Wohnzimmerboden
„Wir haben die bauseits vorgefundenen Dielen in die Werkstatt geholt und zunächst mit Metallsuchgeräten alte Nägel und Metallstücke entfernt“, sagt Wilhelm Reiners, Inhaber der mit den Arbeiten am Holzfußboden beauftragten Tischlerei. „Die Hölzer wurden dann grob vorgeschliffen und so wie es die Räume erfordern schräg und in Stücken auf einer Formatkreissäge angepasst. Die Schnittkanten sollten ja zueinander passen. Das war ein ordentlicher Aufwand, weil die Bretter so krumm und unterschiedlich sind, dass sie sich nicht durch die Hobelmaschine ziehen und auf das gleiche Maß bringen lassen. Wir haben die Fläche in der Werkstatt aufgezeichnet und die Dielen darauf aufgelegt, angepasst, numeriert und sind dann erst zur Montage auf die Baustelle gefahren“, erzählt Reiners. Die Köpfe und Seiten wurden dort genutet und mit Federn verleimt, dann wurde die Konstruktion auf den Deckenbalken verschraubt, in die vorher mit einem Forstnerbohrer 10 mm Löcher gebohrt wurden, verschlossen mit Querholzstopfen. „Die Stopfen und alles wurden noch einmal übergeschliffen und geölt. Dadurch, dass die Dielen von der Oberseite her genutet wurden, konnte man den Versprung in den Brettern egalisieren“ betont Reiners. Preislich ist das nicht billig, aber dafür wirkt der Boden in der historischen Umgebung authentisch und lebendig. Die Gesamtarbeit beläuft sich auf rund 5000 Euro.
Die Bodenabsenkung von rund 12 cm nach hinten wurde belassen. Allerdings musste im Schlafzimmer das Bett angepasst werden, damit eine ausgewogene Liegefläche entsteht.