Umnutzung eines Bunkers zu Wohnungen im Hamburger Stadtteil Ottensen
Im beliebten Hamburger Stadtteil Ottensen entstanden in einem ehemaligen Bunker 15 unterschiedlich große Wohnungen. Tatsächlich erhalten wurden letztlich nur die 1,10 m dicken Außenwände, während die innere Struktur gänzlich neu gestaltet werden musste.
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War der 1943 im Hamburger Stadtteil Ottensen erbaute Bunker in den 1980er Jahren noch mit einem speziellen Lüftungssystem nachgerüstet worden, um seine Funktionstüchtigkeit auf den neuesten Stand zu bringen, hatte das Gebäude an der Friedensallee zuletzt Raum für Kunst und Kultur geboten. 2014 begannen schließlich die ersten Planungen für eine Umnutzung und somit die Möglichkeit, an dieser Stelle nach zu verdichten. „Die Idee, gemeinsam als Projektentwickler zu agieren war in der Nachbarschaft gewachsen und wurde vor allen Dingen von dem Ehepaar Nicole Alpers und Sebastian Schröder initiiert und getragen. Der Bunker gehörte für viele Anwohner schon immer in das Viertel und bot innerhalb seiner Kubatur eine Menge Möglichkeiten“, erzählt der Architekt Björn Liese, auf dessen Entwurf der Umbau beruht. Was aber konnte genutzt, welche Gebäudeteile sinnvoll erhalten bleiben?
Bagger frisst sich von oben nach unten durch den Bunker
Recht schnell war klar, dass die gesamte innere Struktur auf Grund einer zu geringen Geschosshöhe in der bestehenden Form nicht beibehalten werden konnte. Das Gebäude musste also komplett entkernt werden, um die Geschosse anschließend neu aufzubauen. „Für den Abriss wurde ein 40t-Bagger von einem 220t-Kran auf das Dach des Bunkers gehoben, um dessen Inneres von oben nach unten abzutragen“, so Architekt Liese. Dabei war die oberste Decke, also das Dach des Bunkers, mit einer Dicke von fast 2 m die eigentliche Herausforderung. „Alle anderen Decken hatten eine Dicke von 20 oder 25 cm, wie sie in Wohn- oder Bürobauten üblich sind“, erinnert sich Marco Sperling, dessen Unternehmen, die AVG Nord GmbH aus Woltersdorf, den Abriss durchgeführt hat. „Da sich das Objekt in einem Innenhof innerhalb dichter angrenzender Nachbarbebauung befindet, mussten wir sehr genau überlegen, mit welchem Gerät wir den Abriss durchführen, um möglichst wenig Erschütterungen zu erzeugen.“ Die Entscheidung fiel auf einen Hydraulikbagger, dessen Greifschaufel durch eine Anbaufräse ausgetauscht wurde. Durch die mit Wolfram bestückten Meißel der Fräse wurde die Decke Stück für Stück abgetragen. Der sehr feine Bauschutt fiel dann durch ein zunächst gefrästes Loch auf die darunter liegende Decke. Über diesen Schuttberg konnte schließlich der geländegängige Bagger, nachdem er die Decke, auf der er stand, fast vollständig entfernt hatte, wie über eine Rampe in die nächste Etage gelangen. Die Arbeit an den wesentlich dünneren Zwischendecken war zwar einfacher, barg allerdings die Schwierigkeit, dass diese wiederum zu dünn waren, um den Bagger zu tragen. Sie mussten daher alle mit Kanthölzern (16/16) nach einem vom Statiker vorgegebenen Raster unterstützt werden. „Nachdem sich der Bagger durch Dach und Zwischendecken gefressen hatte, konnte er über die ebenfalls neu gefräste Garagenausfahrt das Gebäude wieder verlassen“, beschreibt der Architekt das Unterfangen.
Schlitzung der 1,10 m dicken Betonwände
Parallel zum Abtrag der Decken wurden die massiven, 1,10 m dicken Betonaußenwände für die vertikalen Fensterbänder geschlitzt. Mit einer Diamantseilsäge wurden die Konturen der Fenster über die gesamte Höhe des Gebäudes eingeschnitten. Hierfür wurde das Sägeseil zunächst von unten an der äußeren Gebäudewand nach oben geführt, über die Dachkante gelegt und im Inneren wieder nach unten geleitet. Am unteren Ende wurden die Seilenden miteinander verbunden, um dann mit einer Geschwindigkeit von etwa
120 km/h die Betonwand zu durchschneiden. Jede Schlitzung beanspruchte knapp 1,5 Tage. „Diese hydraulische Hochleistungsmaschine muss so eingestellt sein, dass sie das Seil strafft, aber es nicht reißt“, erklärt Abbruchunternehmer Sperling. „Damit das Seil exakt geradlinig läuft, wird es in einer Führung, die einfach aus Holz gebaut werden kann, gehalten.“ Die Wandabschnitte, die herausgetrennt werden sollten, wurden dann geschossweise zunächst mit der Fräse geschwächt und anschließend mit der Abbruchzange herausgebissen. Durch dieses Vorgehen blieben am Ende acht relativ schmale Wandstücke wie sehr hohe, schmale Pfeiler stehen. Zur Sicherung des Bauzwischenstandes und zur Aussteifung, wurde bereits während des Abbruchs am oberen Ende der Außenwände ein Ringbalken aus Stahlprofilen als Provisorium eingebaut. In der anschließenden Rohbauphase wurde die innere Struktur entsprechend den neuen Anforderungen aus Stahlbeton wieder aufgebaut und die Stabilität des Gebäudes damit wieder hergestellt.
Erschwerte Baustellenlogistik
Das Bunkergebäude befindet sich in einer recht beengten Hinterhofsituation. Dementsprechend schwierig war die Zuwegung zur Baustelle insbesondere für die für den Abbruch notwendigen schweren Geräte, wie dem 220t-Telekran. Bei den beiden an der Straßenseite rechts und links anschließenden Nachbargebäuden handelt es sich zudem um denkmalgeschütze Häuser des Spätklassizismus. Eine besondere Schwierigkeit war in diesem Fall, dass die Häuser unterkellert sind und die alten Kellerwände dem Erddruck, der durch das Überfahren der Zufahrt auf sie wirken würde, nicht hätten standhalten können. Was also tun? „Zunächst war hier über eine Pfahlgründung nachgedacht worden, wodurch die Kosten enorm in die Höhe geschnellt wären. Wir haben dann einen Sondervorschlag unterbreitet, der schließlich umgesetzt wurde“, so der Geschäftsführer des auf den Abbruch von Bunkern spezialisierten Unternehmens. „Stattdessen haben wir L-förmige Schwerlast-Betonschutzwände, die den Druck abfangen konnten, auf die Gründungsebene der alten Häuser gestellt.“ Zunächst wurde also bis auf die Sohlhöhe ausgekoffert, dann die Betonwände auf die Gründungsebene gestellt und anschließend wieder lagenweise mit Schotter verfüllt. Zur Verteilung der Lasten wurde für die Bauphase auf die Schotterschicht abschließend eine 25 cm dicke Lage Bongossi-Baggermatratzen gelegt.
Neue innere Struktur
Der Ablauf für den Aufbau des Neubaus innerhalb des Altbaus klingt sehr simpel. Die neue Struktur wurde im Prinzip „nur“ in die vorhandene Hülle eingestellt. „Vom Grundgedanken her war es tatsächlich so einfach“, bestätigt Tragwerksplaner Jan Lüdders vom Büro WTM Engineers GmbH. „Ein Thema war allerdings zunächst die durch die Fensterbänder geschwächte äußere Tragstruktur, da drei der Wände mehr oder weniger durchlöchert waren. Wir haben daher lange gemeinsam mit dem Architekten überlegt, wo überhaupt Fenster eingeplant werden, welche Stiele stehen bleiben können und wie die durchlaufenden Fensterbänder statisch kompensiert werden können.“ Eine der daraus resultierenden Maßnahmen war die Sicherung der quasi freistehenden Pfeiler durch das Stahlfachwerk. Die innere Struktur selbst besteht tatsächlich nur aus tragenden Stahlbetonwänden oder -stützen sowie Betondecken, die an die Bestandswand angeschlossen werden mussten. Hierfür wurden Kernbohrungen in die Bunkerwand gesetzt, die Bewährung eingeführt und die neuen Decken vergossen. „Statisch war dies an sich keine große Herausforderung, wenngleich wir, wie es oft im Altbau ohne Planunterlagen der Fall ist, eine gewisse Detektivarbeit bezüglich der vorhandenen Bewährung leisten mussten, um die richtigen ingenieurtechnischen Entscheidungen treffen zu können“, so Ingenieur Lüdders. „Im Bereich der Tiefgarage wurde allerdings ein neuer 115 cm hoher Abfangbalken in der Außenwand notwendig, um die Tiefgaragenöffnung in der Bestandswand an der vom Architekten gewünschten Stelle realisieren zu können.“
Im Inneren trifft also eine neue Stahlbetonstruktur auf die alte Stahlbetonhülle. Die historische Substanz sollte sichtbar bleiben. Dementsprechend bestimmen im Haus fast überall Sichtbetonoberflächen die Atmosphäre. Eher wie im coolen Loftstil wirken die Wohnungen, insbesondere dort, wo sich die Eigentümer für Zementestrichböden entschieden haben. Die neuen Wände und Decken wurden also in unverputztem Beton (Sichtbeton B1) umgesetzt. Den Bewohnern stand allerdings offen, Wände und Decken individuell anzupassen. Um die alte Struktur und die ehemalige Funktion des Gebäudes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, entschied sich der Architekt dafür, die Abbruchkanten der alten, in die Außenwände eingebunden Decken, Unterzüge und Wände sichtbar zu lassen, so, als seien sie soeben erst von der Wand gerissen worden.
Kleid bis zum Sockel
Trotz der extrem dicken Außenwände musste das Gebäude gedämmt werden. „Eine Dämmung der Außenbauteile war durch die Anforderungen der Energieeinsparverordnung notwendig“, erläutert hierzu Architekt Liese. „Nach einer intensiven Auseinandersetzung und unter Betrachtung von zahlreichen architektonischen und technisch-konstruktiven Aspekten haben wir uns letztlich für die Ausführung in Form einer Außendämmung entschieden. Die neue Gebäudehülle hatte viele Vorteile, wenngleich sich durch diese Entscheidung der Erhalt der Bunkercharakteristik besonders auf die Innenräume konzentrieren musste.“
Die mit einem 20 cm dicken WDVS ertüchtigte und mit einem dunkelgrauen mineralischen Kratzputz versehene Außenwand beginnt erst oberhalb des unbeheizten Erdgeschosses. Da sich im Erdgeschoss nur Nebenräume sowie Pkw- und Fahrradstellplätze befinden, liegt die Sockelzone außerhalb der neuen thermischen Gebäudehülle, wodurch die alte Bunkeraußenwand hier sichtbar bleiben konnte.
Energetisch versorgt wird das Gebäude, das 2019 vom Architekten- und Ingenieursverein (AIV) zum Bauwerk des Jahres gewählt wurde, übrigens CO2-neutral, dank einer kombinierten Technik aus einer Solar-Wärmepumpe, einem 106 m3 großen Eisspeicher sowie Wärmerückgewinnung.
Barrierefrei bis zum Dach
Auch beim ersten Obergeschoss handelt es sich um ein Sondergeschoss, das als Gemeinschaftsetage mit einem großen Raum für gemeinschaftliche Veranstaltungen geplant wurde. Auf diesem Geschoss befinden sich zudem die Abstellräume der Wohnungen. Auf die übrigen fünf Regelgeschosse verteilen sich insgesamt 14 Eigentumswohnungen. Die Grundrisse wurden dabei als Zwei- bis Vierspänner organisiert. Bei Bedarf ließen sich Wohnungen zusammenschalten oder von der großen Wohnung eine kleine Wohneinheit für eine Pflegekraft abtrennen, denn das Wohnen im „Frieda“-Bunker ist so geplant, dass ein Wegzug aus Altersgründen nicht notwendig sein soll. Dazu gehört auch, dass alle Geschosse, einschließlich des Dachgartens, barrierefrei über einen Aufzug angefahren werden können. Die Erreichbarkeit dieser Gemeinschaftsfläche über den Dächern von Ottensen ist ein wesentlicher Punkt im Konzept der Bauherrn gewesen und es wurden keine Mühen gescheut, dies auch beim Bauamt durchzusetzen, da hier an sich keinerlei Aufbauten erlaubt waren.
AutorinDipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Frieda Ottensen, Hamburg, www.frieda-ottensen.de
Entwurf und Ausführungsplanung Björn Christopher Liese M.A. Architekt, Hamburg, www.bjoernliese.de
Projektsteuerung und Überwachung
MO Architekten Ingenieure, Hamburg, www.mo-architekten.de
Statik WTM Engineers, Hamburg, www.wtm-engineers.de
Brandschutzplanung Ingenieurbüro T. Wackermann, Hamburg, www.wackermann.com
Abrissarbeiten AVG Nord, Woltersdorf, www.avg-nord.de
Geschwindigkeit von etwa 120 km/h durch die 1,10 m dicken Betonwände