Digitales Fachwerkbild dank Zitterstrich in den Fassadenplatten des „Kleiner Ritters“ in Frankfurt
Ein Fachwerkhaus in Frankfurt am Main war so marode, dass es abgerissen werden musste. Der Neubau „Kleiner Ritter“, der anstelle des Vorgängerbaus entstand, nimmt nicht nur die alte Kubatur auf sondern zeichnet auf der Fassade auch das einstige Fachwerk mit „Zitterstrichen“ nach. Mit Video!
In Frankfurt Alt-Sachsenhausen ist es mit der Bausubstanz nicht überall gut bestellt. Viele, teils historische Häuser leiden unter Übernutzung und ungenügender Wartung. Selbst eine umfassende Sanierung kann sie nicht immer retten. Das erlebte ein Bauherr, der ein altes Dreier-Ensemble in der Kleinen Rittergasse erhalten wollte. Die statischen Schäden waren zu groß, um das Gebäude zu bewahren. Weil das Ensemble in einem so genannten „Vorbehaltsgebiet“ stand, musste die Denkmalschutzbehörde sowohl dem Abriss als auch dem Neubau zustimmen.
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Der „Kleiner Ritter“ genannte Neubau orientiert sich an der Kubatur seines Vorgängerbaus, der Raumplan hingegen folgt heutigen Anforderungen an Wohn- und Geschäftsräume. Auch die Fassade ist keine Rekonstruktion, sondern zeigt selbstbewusst, dass hier ein neues Gebäude steht. Und doch taucht Fachwerk auf – als Abstraktion mit einer eigenen Geschichte.
„Das Fachwerk sollte als Nachbild erscheinen. Aus der Distanz betrachtet, lässt sich das Fachwerk erkennen, je näher ich komme, desto mehr löst es sich auf. Das heißt, die Vergangenheit wird immer verschwommener und besteht dann nur noch aus einzelnen Linien.“ Architekt Bernhard Franken begeisterte Bauherr und Denkmalschutz von dieser Idee. Wie erzeugt man ein solches subtil wirkendes Nachbild? Franken erinnerte sich an den „Darmstädter Zitterstrich“ – jene Methode, die Handskizzen einst den Duktus zwischen Exaktheit und Unbestimmtheit verlieh. Dieses Relikt aus analogen Zeiten übersetzte Franken zusammen mit seinem Team in die digitale Welt – sprich in einen eigens entwickelten Algorithmus, mit dem der Rechner einen täuschend „echten“ Zitterstrich so produziert, dass sich dessen Beweglichkeit beliebig parametrieren lässt. Ausschläge, Schwingungslängen, Verschlaufungen und Verdichtungen lassen sich wie seine Strichstärke variieren. „Dennoch zittert die Linie zufällig“, erläutert Bernhard Franken.
Putzträgerplatte für gefrästen Zitterstrich
Der Zitterstrich sollte schließlich als vertiefte Linie in der Fassade laufen – und sich dort verdichten, wo einst die Balken des Fachwerks zu sehen waren. Nun musste der Zitterstrich nur noch auf die Fassade kommen. Versuche mit einer manuell geführten Oberfräse und mit einem 5-Achs-Fräsroboter führten noch nicht zu einer baustellentauglichen Lösung. An dieser Stelle kam die Putzträgerplatte „StoDeco Plan“ ins Spiel: Gefertigt aus einem mineralischen Leichtwerkstoff, weist sie die notwendige Drucksteifigkeit und Feinporigkeit auf, ist massiv und nicht brennbar (A2-s1, d0). Die Tafeln, Leisten und Körper sind zudem frostsicher, schlagfest und durch das geringe Gewicht (550 kg/m³) leicht zu verarbeiten – auch im Sinne des Denkmalschutzes.
Dass sich die Platten mit einer CNC-Fräse bearbeiten lassen, war schon lange vor dem Projekt bewiesen. Für den „Kleinen Ritter“ fertigte die Verotec GmbH (ein Unternehmen der Sto Gruppe) eine neue Testfräsung. Das Ergebnis überzeugte die Planer, die Idee konnte Realität werden. Also zerlegte Projektarchitekt Robin Heather die Fassade oberhalb des mit Naturstein verkleideten Sockels in 144 unterschiedlich große Teilflächen, integrierte den Zitterstrich und stellte alles als Datensatz für die Herstellung in Lauingen zusammen. Dort kontrollierte Bernd Eckl, Projektservice Architekturelemente, die Lage der Platten und der notwendigen Dehnungsfugen. Die legte man so, dass sie später im Gesamtbild nicht störend wirken – auch um die steinernen Fensterlaibungen musste eine entsprechend dimensionierte Fuge eingeplant werden. Dann kam die CAD-Fräse zum Zuge und schnitt den Zitterstrich in Form einer V-Nut ein. Jede Platte erhielt eine Nummer, um sie auf dem Verlegeplan klar identifizieren zu können.
Die Montage der Platten direkt auf dem dahinter liegenden WDV-System übernahm das erfahrene und zuvor eingeübte Team des Frankfurter Malerfachbetriebs Helmut Lindt. „Die vorgefertigten Platten wurden gemäß Verlegeplan von einer Ecke ausgehend ganzflächig verklebt.“ Ronald Homburg, technischer Berater von Sto, begleitete die Umsetzung, wobei die Montage auf der armierten und verdübelten Dämmebene des EPS-basierten Fassadendämmsystems „StoTherm Vario“ besonders hohe Sorgfalt verlangte, um ein Verrutschen oder Verkippen der Platten zu verhindern.
Um die Forderung nach Putzoptik zu erfüllen, sandeten die Handwerker die dreifache Deckbeschichtung leicht ab – hellgrau ist die Oberfläche übrigens, damit das Licht- und Schattenspiel des Zitterstrichs besonders lebendig wirkt. „Tatsächlich entsteht der Effekt des Zitterstrichs nur durch Licht und Schatten, daher sieht er auch immer wieder anders aus“, freut sich Bernhard Franken. Man kann den Kleinen Ritter als Beitrag zur aktuellen Rekonstruktionsdebatte in Frankfurt und darüber hinaus sehen. Und auch als spannenden Ausblick auf das künftige Bauen mit digitalen Methoden und Prozessketten.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Rittergasse GmbH, Frankfurt/Main
Architektur Franken Architekten, Frankfurt/Main
Statik, Brandschutz und Bauphysik Tichelmann & Barillas Ingenieure, Darmstadt
Rohbauarbeiten Kühnbau, Bürstadt
Fassadenarbeiten Helmut Lindt Malerfachbetrieb, Frankfurt/Main
Naturwerksteinarbeiten DK Steintechnik,
Frankfurt/Main
Zimmerer- und Dachdeckerarbeiten Weyershäuser Dachdeckermeisterbetrieb, Wohratal-Wohra
Herstellerindex (Auswahl)
Fassadenplatten Verotec, Lauingen,
WDVS Sto, Stühlingen, www.sto.de
Baudaten (Auswahl)
U-Wert Außenwand 0,26 - 0,39 W/m2K
U-Wert Dach 0,16 W/m2K
U-Wert Fenster 1,10 - 1,30 W/m2K
Im Internet finden Sie einen Film über die Entstehung des Zitterstrichs für das digitale Fachwerkbild an der Fassade des „Kleinen Ritters“ in Frankfurt am Main.