Planetarium im ehemaligen Gasometer in Halle an der Saale
Der frühere Gasometer in Halle an der Saale – ein Industriedenkmal vom Ende des
19. Jahrhunderts – nimmt seit kurzem ein modernes Planetarium auf. In die historische Ziegelhülle haben RKW Architektur + den neuen Baukörper aus Stahlbeton präzise und behutsam eingefügt.
Am Holzplatz in Halle an der Saale wurde von 1889 bis 1905 der Gasometer erbaut. Der heute 16,40 m hohe und etwa 37 m im Durchmesser große zylindrische Baukörper diente als Gasspeicher. Mit seiner differenziert gestalteten Ziegelsichtfassade ist er ein repräsentatives Beispiel für die Architektur von Funktionsbauten des Historismus und steht heute unter Denkmalschutz.
Haupteingang mit dem Schriftzug des Vorgänger-Planetariums „Sigmund Jähn“. Die Originalbuchstaben wurden aufgearbeitet
Fotos: Gunter Binsack
Nach gelegentlichen kulturellen Nutzungen in den vergangenen Jahren entschied die Stadt Halle, das Industriedenkmal als Standort des Planetariums neu zu beleben. Dessen markanter Vorgängerbau auf der Peißnitzinsel war durch das Hochwasser 2013 stark beschädigt, ein Wiederaufbau an diesem Ort erschien nicht sinnvoll. So wurden für das Umnutzungs- und Umbauprojekt RKW Architektur + im Zuge eines VgV-Auswahlverfahrens mit der Planung beauftragt.
Ausgangssituation und Herausforderungen
Zwei wesentliche Aspekte bestimmen den Entwurf der Architekten. Zum einen liegt auch der Gasometer in einem Hochwasserschutzgebiet der Saale, so dass das neue Erdgeschossniveau auf 91 cm über die Hochwasserlinie von 2013 angehoben wurde. Zum anderen galt es, die denkmalgeschützte Fassade zu erhalten sowie das neue Raumprogramm präzise und behutsam in die Ziegelhülle einzufügen. Dieses umfasst neben dem Herzstück des Gebäudes, dem „Sternensaal“ mit 12 m Durchmesser und der 6 m hohen Projektionskuppel, auch eine Sternwarte mit Beobachtungsterrasse auf dem Dach sowie ein Café, interaktive Ausstellungsflächen, Veranstaltungsräume und eine Bibliothek.
Der innere Stahlbetonzylinder mit dem Kuppelraum wird vom hohen, luftigen Foyer umgeben, das auch das Café und Ausstellungsbereiche aufnimmt
Foto: Gunter Binsack
Um die neuen Bereiche kompakt in den Hohlraum des Gasometers zu integrieren, entwickelten die Architekten ein Konzept aus mehreren Stahlbetonringen: Ein innerer Zylinder nimmt den Kuppelraum des Planetariums auf, ein zweiter höherer Zylinder trägt die Beobachtungsterrasse. Zwei radiale Stahlbetonscheiben im Abstand zur historischen Ziegelaußenwand schaffen Raum für die beiden Treppen in das Obergeschoss. So entstehen spannende, luftige Bereiche wie das 7,5 m hohe Foyer. Im Obergeschoss reihen sich die Räume ringförmig entlang der Fassade um den über die Dachterrasse belichteten Flur. Die Dachflächen sind von der Ziegelhülle als hohe Attika umschlossen, nur die Sternwarte mit der Kuppel des Teleskops ragt über den Gasometer hinaus. Sie ist aus der Ferne als weiße Kugel zu sehen und macht die neue Nutzung ablesbar.
Instandsetzung der Gebäudehülle
Der Gasometer wurde als traditioneller Mauerwerksbau aus Vollziegeln auf einem Sockel aus Stampfbeton errichtet. Das dicke, sich nach oben verjüngende Sichtmauerwerk ist durch Pfeiler und Gesimsbänder mit profilierten Zierelementen aufwändig gegliedert. Auch die Fenstereinfassungen sind mit vor- und rückspringenden Ziegeln und Rundbögen betont, und bogenförmige Profilierungen bilden den oberen Abschluss der Mauerkrone.
Die denkmalgerechte Sanierung der Fassade stimmten Planer, Bauherren, Denkmalschutz und ausführende Fachbetriebe im Projektverlauf detailliert ab. Sie umfasste die Substanzsicherung ebenso wie den Schutz vor eindringendem Wasser, die Fugensanierung und die Ergänzung schadhafter oder fehlender Ziegel. Das historische Mauerwerk reinigten und verfugten die Handwerker neu. Risse in den Fugen über fast allen Fenstern wurden innen- und außenseitig mit Edelstahlankern vernadelt. Auch der Stampfbetonsockel wurde gereinigt und die Risse saniert. Ein Kunst-Graffiti aus Sternenbildern, realisiert vom Verein „Pro Halle“ auf Anregung des Denkmalschutzes, schützt die Oberfläche vor „wildem“ Graffiti.
Bewehrung für die untere, 50 cm dicke Bodenplatte mit Verzahnung im bestehenden Stampfbetonsockel
Foto: RKW Architektur +
Auch auf der Innenseite wurde das Mauerwerk gereinigt, neu verfugt, fehlende Steine ergänzt. Gemäß dem EnEV-Nachweis erhielten die dünnere Ziegelwand des Obergeschosses sowie der Stampfbetonsockel im Erdgeschoss einen innenseitigen Wärmedämmputz. Im Bereich der Lufträume des Foyers und der Treppenhäuser ist dagegen die historische Ziegelfassade erlebbar. Auch die Führungsschienen der Gasglocke mit den Seilwinden und eine Füllstandsanzeige verbleiben in Situ und sind als Zeugnisse der Industriearchitektur ablesbar. Entsprechend der auf historischen Fotos erkennbaren Sprossenteilung und Profilierung wurden die isolierverglasten Fenster neu gefertigt. Da aus Denkmalschutzgründen kein außenliegender Sonnenschutz möglich war, erhielten sie eine Sonnenschutzverglasung.
Statisches System
In die bestehende Hülle ist der Neubau als Haus-im-Haus eingefügt. Dabei folgen die Anordnung der Räume sowie die radialen Wände konsequent der Rundform des Gasometers. Der Stahlbetonzylinder ist klar von der Ziegelumfassung abgerückt, was den luftigen Zwischenraum des Foyers schafft, der Ausstellung und Gastronomie aufnimmt und einen reizvollen Dialog zwischen Alt und Neu schafft. „Bei diesem Projekt haben wir die denkmalgeschützte Ziegelfassade saniert und im Inneren eine statisch mit dem Bestand verzahnte Stahlbetonkonstruktion errichtet, die alle Nutzungen trägt“, erläutert die Projektleiterin Romy Fuchs aus der Leipziger Niederlassung von RKW Architektur + den Entwurf. Das Tragsystem besteht aus dem oben angesprochenen inneren und äußeren Ring, die Decke des Obergeschosses liegt zudem auf einem ringförmigen Unterzug auf, dessen Lasten über Sichtbetonsäulen abgetragen werden.
Zentraler Knotenpunkt der Bewehrung im „Stempel“ mit etwa 3,50 m Durchmesser für die Stahlbetonrippendecke über dem Kuppelraum des Planetariums
Foto: RKW Architektur +
Der innere Zylinder ist eine 25 cm dicke Stahlbetonwand, die die Planetariumskuppel und den darüber liegenden Luftraum mit Installations- und Wartungsraum umschließt. Eine zweite Tragstruktur bildet der äußere Ring, dessen Sichtbetonwände zudem die Treppenräume brandschutzgemäß abschließen. Er nimmt auch die Lasten aus dem oberen Flachdach auf. Die untere Dachfläche der Beobachtungsterrasse ist eine Stahlbetonrippendecke mit einem Durchmesser von 17,50 m. Die besondere Herausforderung dabei war die Herstellung der Schalung der radial auf den Mittelpunkt zulaufenden schmalen Rippen der Deckenträger. Hier war Handwerkskunst ebenso gefragt wie beim Einbringen des Betons und der komplexen Bewehrung des zentralen Knotenpunkts mit 3,50 m Durchmesser.
Hochwasserschutz und neue Eingangsebene
Um den Bau vor Hochwasser zu schützen, ist der neue Fußboden um etwa 5,20 m bezogen auf die Bestandsbodenplatte des Gasometers angehoben. Im ersten Schritt wurde der vorhandene Aufbau abgetragen, ein Pflasterbelag sowie die Schotterfüllung von 1,20 m. Auf der Bestandsbodenplatte stand etwa 1 m hoch Wasser, so dass zunächst mit Unterwasserbeton aufgefüllt wurde. Danach war der Boden begehbar, und die Bewehrung für die 50 cm dicke untere Bodenplatte wurde eingebracht. Im Randbereich ist sie mit zylindrischen Bewehrungskörben verzahnt. Diese sind in 50 cm tiefe Bohrungen im Sockel einbetoniert und stellen so eine tragfähige Verzahnung des Neubaus mit dem Bestand her. Auf die Bodenplatte wurden die Fundamente für die darüberliegenden Wände betoniert, die Zwischenräume mit Schotter aufgefüllt und die unterseitig gedämmte, 30 cm dicke Erdgeschoss-Bodenplatte errichtet.
Der Sternensaal ist das Herzstück des Neubaus. Der im Durchmesser 12 m große Kuppelraum des Planetariums befindet sich im Zentrum der Gasometerhülle
Foto: Gunter Binsack
Das nun höherliegende Erdgeschossniveau wird über das neu modellierte Gelände erschlossen, mit ebenerdigem Zugang an allen Türen. Der Haupteingang liegt an der Nordseite, an der sich auch der historische Zugang zum Gasometer, erkennbar am einzigen zusätzlichen hohen Mittelfenster, befand. Auf die Geschichte verweist auch der Schriftzug „Raumflug-Planetarium“: Die Originalbuchstaben stammen aus dem Vorgänger-Planetarium „Sigmund Jähn“ und wurden aufgearbeitet. Der Weg führt durch das Foyer ins Herz des Neubaus – den Sternensaal, in dem die Besucherinnen und Besucher dank moderner Fulldome-Projektionstechnik über 360° in die Welt der Sterne und Galaxien eintauchen. Der Raum bietet 110 Personen Platz und wird von der halbkugelförmigen Projektionsfläche aus fein gelochtem Aluminiumblech überwölbt. Zu Himmelsbeobachtungen lädt die Sternwarte mit einem leistungsstarken Teleskop-Fernrohr auf der Dachterrasse ein.
Neu und Alt in Symbiose
Industrielle Tradition mit moderner Ästhetik verbindet das Gestaltungskonzept auch im Innenausbau. „Wir haben beispielsweise alle Installationen an der historischen Fassaden-Innenseite als Sichtinstallationen ausgeführt, in Kupfer oder Schwarz auf der Ziegelwand“, erklärt Romy Fuchs. Robuste Böden aus geschliffenem Gussasphaltestrich oder Eiche-Stirnholzparkett unterstreichen die industrielle Anmutung ebenso wie die erhaltene Infrastruktur. „An die neue Nutzung angelehnt sind farblich abgestimmte, runde Akustikelemente. Sie schweben wie Planeten im Foyer und über dem Café. Auch die eingestreuten linsenförmigen Leuchten wecken astronomische Assoziationen“, erläutert die Projektarchitektin die Gestaltung.
Als Neubau erfüllt das Planetarium die aktuellen gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich Barrierefreiheit, Wärme-, Schall- und Brandschutz – und füllt zugleich den vorhandenen charaktervollen Industriebau mit neuem Leben. Das introvertierte Planetarium in den großvolumigen Behälter zu integrieren, ist überzeugend, die Symbiose aus Alt und Neu gut umgesetzt. Entstanden ist ein Ort, der zeitgemäße Bildung mit wertschätzender Wiederbelebung der Geschichte verbindet.
AutorinDipl.-Ing. Claudia Fuchs studierte Architektur an der TU München. Sie arbeitet als freie Redakteurin und Autorin unter anderem für die Zeitschriften Detail, Baumeister, dach+holzbau und bauhandwerk.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Stadt Halle an der Saale
Planung RKW Architektur +, Rhode Kellermann Wawrowsky, Leipzig, www.rkw.plus
Tragwerksplanung Ing.-Büro für Tragwerksplanung Jakob, Halle/Saale
Restauratorin Dipl.-Des. Andrea Himpel, Halle/Saale
Rohbauarbeiten Leinetaler Hochbau, Wallhausen-Helme
Stahlbauarbeiten Lindner Stahl- und Metallbau, Berga, www.lindnerstahlbau.de
Dachdeckerarbeiten Dach und Haus Stefan Ullrich, Magdeburg, www.dachundhaus.com
Kuppelbau Sky-Skan, Seeshaupt
Putzarbeiten W&H Bau, Naumburg
Trockenbauarbeiten Lieberam Trockenbau, Halle (Saale), www.lieberam-trockenbau.de
Apleona R & M Ausbau München, Leipzig
Malerarbeiten Heinrich Schmid, Leipzig, www.heinrich-schmid.com
Estrichlegerarbeiten KFK Estrich, Torgau, www.kfk-estrichbau.de